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Stuttgart und die Dieselfahrverbote
"Es geht um eine Verkehrswende"

In Stuttgart war die Belastung durch Feinstaub und Stickoxide in den letzten Jahren besonders hoch. Darum ist es wahrscheinlich, dass dort innerstädtische Fahrverbote relativ schnell umgesetzt werden. Wie reagieren die Stuttgarter auf das Urteil, und wie gehen Politiker und Umweltaktivisten mit dem aktuellen Urteil um? Eine Bestandsaufnahme.

Von Thomas Wagner | 28.02.2018
    Ein Auto mit dreckiger Stoßstange steht am 24.02.2017 vor dem Gelände des Staatstheaters in Stuttgart (Baden-Württemberg). Die Stadt Stuttgart will ein Fahrverbot von älteren Dieselfahrzeugen im Stadtgebiet prüfen.
    Gibt es bald Fahrverbote in Stuttgart? (picture-alliance / dpa / Lino Mirgeler)
    Munter gluckerts durch den Zapfhahn. Stuttgarter, Cannstatter Straße - eine Großtankstelle: Viele Schwaben, die hier ihr dieselbetriebenes "heilig's Blechle" mit Kraftstoff füllen, wissen nach dem jüngsten Urteil nicht, wie lange sie das noch tun werden:
    "Ich überlege mir gerade, ob ich das Auto wechsele. In Zukunft weiß ich nicht, ob ich in Stuttgart noch damit fahren kann. Also bei mir persönlich...also es kostet ganz viel Geld."
    "Auf der einen Seite ist es richtig, der Umwelt zuliebe und den Anwohnern zuliebe. Auf der anderen Seite: Die Autofahrer sind die Gelackmeierten, wenn sie die Kosten begleichen müssen für die Umrüstung."
    Die einen befürchten, gleich ihr Auto verkaufen zu müssen. Die anderen hoffen auf bessere, auf reinere Luft. Und darum geht es:
    "Das Land kann nun für ältere Dieselfahrzeuge wahrscheinlich zum 1.1.19 Fahrverbote erlassen", fasst Fritz Kuhn, Stuttgarts Grüner Oberbürgermeister, jenes Urteil zusammen, das das Bundesverwaltungsgericht Leipzig kurz zuvor verkündet hat: Kommunen können, ja müssen in bestimmten Fällen Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge erlassen, wenn sie es ansonsten nicht schaffen, die EU-Vorgaben für Schadstoff-Grenzwerte an neuralgischen innerstädtischen Problemzonen einzuhalten.
    "Man kann sich das vielleicht so vorstellen: So wie es heute schon eine Tempo-30-Zone gibt, könnte es in Stuttgart eine Art 'Saubere-Diesel-Zone' geben. Das ist vielleicht ein Hilfsbegriff. Aber gemeinst ist natürlich, das nur noch neuere Dieselfahrzeuge dort noch fahren dürfen, also dass die älteren ausgesperrt sind und dort nicht fahren können."
    Verkehrsminister: Die Länder müssen handeln
    Pressekonferenz im baden-württembergischen Verkehrsministerium. Hausherr ist Winfried Hermann, ein Grüner zwar, der aber trotzdem gegen kommunale Fahrverbote geklagt hat, weil er eine bundesweit einheitliche Regelung befürwortete. Doch das, was er verhindern wollte, nämlich kommunale Fahrverbote, wird jetzt kommen. Somit ist Hermann erst einmal Verlierer dieses Rechtsstreites. Wirklich Verlierer?
    "Wir sind ja nicht vor's Gericht gezogen, um Sieg oder Niederlage zu finden. Sondern wir sind vor Gericht gezogen, weil wir Rechtsklarheit haben wollten. Und deswegen sind wir erleichtert: Jetzt ist es klar: Die Länder müssen handeln, auch wenn der Bund nicht handelt. Es gilt europäisches Recht. Es gelten europäische Grenzwerte."
    Und schließlich: Auf die Feinheiten komme es an: So stehe in dem Urteil eben auch drin, dass bei der Anwendung von Fahrverboten für ältere Diesel-Fahrzeuge das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist.
    "Das heißt: Man kann nicht relativ neue Fahrzeuge, die Menschen gekauft haben im guten Glauben, sie kaufen den höchsten Standard, gleich aussperren. Aber ältere Diesel, die eben deutlich schlechter sind, und von denen man aber auch weiß, dass sie schlechter sind, die kann man zuerst beschränkend behandeln. Und dann kämen erst in einer späteren Phase Euro-5-Fahrzeuge. Aber man muss auch sagen: Euro-5-Fahrzeuge kann man nachrüsten. Dann würden sie dann auch von der Beschränkung wieder ausgenommen werden."
    Und schließlich stehe in dem Urteil auch drin, dass Fahrverbote eingebunden werden müssten in eine Vielzahl von Maßnahmen, die allesamt dem einen Ziel dienen: Reinere Luft in belasteten Städten.
    "Es geht nicht nur um Fahrverbote. Es geht um eine Verkehrswende in den Ballungsräumen: Mehr öffentlicher Verkehr. Mehr Umsteiger. Mehr Fahrradfahrer, mehr Fußgänger. Mehr gemeinschaftliches Nutzen von Fahrzeugen. Und möglichst in sauberen Fahrzeugen. Und nicht in alten Stinkern."
    Doch vorläufig sind sie noch unterwegs - die, wie es Hermann formuliert, alten Stinker. Stuttgarter Neckartor, gestern abend, also genau dort, wo über Jahre hinweg die bundesweit häufigsten Grenzwertüberschreitungen bei Feinstaub und Stickoxiden gemessen wurden: Klirrende Kälte, viel Verkehr, schlechte Luft - ob sich durch Fahrverbote, die frühestens in einem halben Jahr kommen können, irgendetwas ändern wird?
    "Ich bin grundsätzlich eher skeptisch. Man merkt es auch an den Fenstersimsen. Es ist schon wahnsinnig, wie viel Feinstaub hier ist und wie viel Dreck allgemein auf den Straßen ist. Ich bin aber der Meinung, dass die Automobilwirtschaft und der Bund in der Pflicht sind. Wird sich jetzt durch die Fahrverbote etwas verbessern? Das glaube ich nicht."
    "Ich bin nicht dagegen, ich bin dafür. Irgendwas muss man ja machen. Die Belastung von dem Feinstaub, das geht ja derart auf die Lunge, auf die Atmung - da müssen zuerst mal die Flugzeuge weg, dann kommen die ganzen LKW. Und dann kommen die PKW. Und wenn man das alles in einen Griff bekommt, hätte man vielleicht eine Chance. Aber vorher mit Fahrverboten - ich glaube, dass das wenig Sinn macht."
    BUND: Jetzt sind die Autohersteller in der Pflicht
    Sie glaubt dagegen: Fahrverbote machen sehr wohl Sinn. Stuttgarter Hauptbahnhof: Dort wartet Brigitte Dahlbender, Vorsitzende des Landesverbandes Baden-Württemberg im BUND, auf ihren Zug nach Ulm. Den ganzen Tag über ist sie von Interview zu Interview geeilt, um immer die gleiche Botschaft loszuwerden: Jetzt sind die Autohersteller in der Pflicht, von denen es gerade im Autoland Baden-Württemberg bekanntlich einige gibt.
    "Es ist eine schallende Ohrfeige, weil eben das Bundesverwaltungsgericht klargemacht hat, dass Grenzwerte ein scharfes Schwert sind, und dass es nicht im Belieben der Industrie liegt oder nicht, und das auch ein Sich-Drumherum-Mogeln nicht geht. Und insofern ist der Industrie gesagt worden: Ihr handelt nicht rechtmäßig. Und jetzt müsst Ihr voranmachen",
    Beispielsweise durch Hardware-Nachrüstung für ältere Fahrzeuge, die, da sind sich BUND und Landesverkehrsminister einig, auch von den Autoherstellern finanziert werden müssten. Verkehrsminister Winfried Hermann legt noch eines drauf: Das jüngste Urteil zu Diesel-Fahrverboten, glaubt er, entbinde die Bundesregierung nicht, sich dennoch um eine einheitliche Regelung zu bemühen - in der Form einer verpflichtenden sogenannten "blauen Plakette", die saubere Diesel-Autos wie die "grüne Plakette" an der Windschutzscheibe führen müssten:
    "Wir weisen weiter darauf hin, damit es nicht ein Flickenteppich der Lösungen gibt, etwas anderes in Stuttgart wie in München und in Düsseldorf, dort wieder was Drittes. Wir bräuchten einfach eine blaue Plakette, eine konsequente Fortsetzung der grünen Umweltzonen, jetzt werden blaue Umweltzonen gemacht. Deswegen ist der Bund aus unserer Sicht nach wie vor in der Pflicht. Wir werden auch aktiv werden, wir werden die Bundesregierung auffordern. Über den Bundesrat werden wir versuchen, Mehrheiten zu organisieren."
    Dem stimmt auch Brigitte Dahlbender, die Landesvorsitzende des BUND, zu. Und sie hofft auf ein Einsehen der großen Automarken:
    "Wenn die Industrie das Interesse hat, weiter ihre Automobile in Deutschland abzusetzen, wird sie dafür sorgen müssen, dass sie gesundheits- und umweltverträglicher sind als bisher."