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Subversive Praktiken

Die Kunst ist frei - und wo sie das nicht ist, wird sie subversiv. Der Württembergische Kunstverein Stuttgart untersucht jetzt in einer Ausstellung mit dem Titel "Subversive Praktiken" was da passiert - wenn Kunst unter den Bedingungen politischer Repression entsteht. Konkret geht es um Arbeiten, die in den Sechziger- bis Achtzigerjahren in Osteuropa und Südamerika entstanden sind.

Von Christian Gampert | 13.06.2009
    Das Material dieser Ausstellung reicht sicherlich für mehrere Doktorarbeiten, und doch ist vieles – notgedrungen – nur angetippt. 13 hochspezialisierte Kuratoren stellen Strategien vor, mit denen Künstler unter den Bedingungen der Repression arbeiteten; und das Beschämendste wird gar nicht sonderlich verlautbart, fällt aber sofort ins Auge: Die Künstler stammen entweder aus Lateinamerika oder aus Osteuropa, sie lebten – in den 1960iger bis 1980iger Jahren - unter Militärdiktaturen oder aber unter realsozialistischen Regimen, und wer sich erinnert, wie die bundesdeutsche Linke sich in jener Phase verhalten hat, der wendet sich mit Grausen: lautsprecherische Solidarität mit den Unterdrückten der Dritten Welt, aber kleinmütige Kumpanei mit den Machthabern des Ostblocks.

    Iris Dressler und Hans D. Christ vom auch sonst ziemlich rührigen Württembergischen Kunstverein haben das Mammutprojekt angeschoben und koordiniert, und in Stuttgart kann man nun erfahren, daß in schlechten Zeiten der Körper, die Sprache, der Kopf die letzten Refugien bleiben, aus denen heraus widerständige Kunst möglich ist. Wer nicht ausstellen kann, muß sich was aus-denken, Konzepte entwickeln.

    Die reichen vom ironischen Protestschilderwald des Ungarn Gyula Pauer (Zitat: "In der Kunst ist die Wahrheit immer elegant") bis zu den Arbeiten chilenischer Künstler, in denen Fotos von Witwen und Verschwundenen wie Pin-ups in die Materialien der Boulevardpresse montiert wurden, von Aktionen peruanischer Künstlergruppen, die die Idole des Widerstands mosaikartig aus bemalten Konservendosen auf der Straße zusammensetzten, bis zu den poetischen Kritzeleien, den Mikroschriften des DDR-Bürgers Carlfriedrich Claus, die die Behörden einfach nicht verstanden.

    Und das war natürlich verdächtig. Die Künstler nutzten eine Sprache, die nicht verboten, aber im offiziellen Kanon nicht vorgesehen war. Der Brasilianer Arturo Barrio zum Beispiel legte in Zeiten der Armut Brotbündel in der Stadt aus… Nicht nur die Passanten, auch die Behörden waren verwirrt. Die "Autoperforations-Artisten" in Dresden schnitten sich in den 1980iger Jahren blutige Kopfverbände auf, rissen sich künstliche Augen aus der Kopfmaske und schleuderten Hirnmasse gegen die Mauer …

    Die Interventionen der Staatsmacht gegen solche Veranstaltungen hatten immer auch etwas Tölpelhaftes, Hilfloses. Man kapierte nicht, was da vorging, also mußte es weg. Vieles, was in Stuttgart gezeigt oder dokumentarisch rekonstruiert wird, war damals jedenfalls nicht sehr lange im öffentlichen Raum präsent – oder fand von vornherein nur privat statt.

    Andererseits ist es überrraschend, wie gut vernetzt die Künstler waren – und daß diese Verbindungen auch zwischen Südamerika und Osteuropa bestanden. Die Universität von Sao Paulo etwa war ein Zentrum der Mail-Art – man kann Kunst ja auch per Brief verschicken …

    Und: all diese Bewegungen strebten nicht nach einer Mehrheitsfähigkeit, die sowieso nicht zu erreichen war. Das Produzieren von Kunst allein war schon subversiv, weil nicht vorgesehen, die Aktion als solche hatte einen Eigenwert, man versicherte sich seiner Existenz, indem man dabei war – und einige wenige erreichte.

    Unter den Bedingungen der Diktatur hat so etwas einen anderen Geschmack als die selbstbestätigenden Wohlstands-Fackelläufe der europäischen Friedensbewegung. Eines der schönsten Kapitel ist der Sowjetunion gewidmet, Sabine Hänsgen hat es eingerichtet: sie dokumentiert Aktionen, die außerhalb der Stadt Moskau, oft auf schneebedeckten Feldern stattfanden und die Politrituale des Roten Platzes parodistisch in einen leeren Naturraum verlegten.

    118 solcher "Reisen aus der Stadt" sind aufgelistet – und Satellitenfotos von "Google Earth" zeigen uns, wo das alles stattfand. Der Besucher kann also überprüfen, wie es dort heute aussieht – die historisch scheinbar weit entfernten Konzepte können folglich in die Putinsche Gegenwart fortgeschrieben werden …

    Es gäbe viel zu erzählen: von dem Rumänen Ion Grigorescu, der im Schlafanzug salutiert und den eigenen Körper als Kotzapparat benutzte; von Staffelläufen und Cartoons in Peru, wo Sergio Zevellos mit blutigen, transvestitischen Heiligenfiguren die Folter thematisierte; von dem Argentinier Edgardo Antonio Vigo, der in einer Aktion Holzstücke vergrub, wo man später die verbotenen Bücher vergraben sollte …

    Wichtig sind nicht die einzelnen Werke, sondern der gemeinschaftliche Impetus dieser Bewegungen. Und wenn auch manchmal der kunsttheoretische Diskurs der Ausstellung das konkrete Material merkwürdig überlagert, so bleibt doch die Verachtung spürbar, die die Ausgestoßenen vor allem der DDR den Offiziellen, und das heißt: auch den offiziellen Malerfürsten, entgegenbrachten.