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Suchen, schürfen, schreddern

Die Aufregung in der westlichen Industrie war groß als China vor knapp zwei Jahren den Export von Seltenen Erden massiv beschränkte. Diese speziellen Metalle werden dringend benötigt für Flachbildschirme, Glasfaserkabel oder Windkraftanlagen.

Von Jan Lublinski | 20.05.2012
    ... die Streitigkeiten zwischen Japan und China um einige Pazifikinseln verschärfen sich. Die chinesische Regierung protestieren gegen die Festnahme eines Fischers durch die japanische Küstenwache. Gleichzeitig werden japanische Handelsschiffe, die in chinesischen Häfen angelegt haben, festgehalten und besonders aufwändig kontrolliert. Die Medien in Peking melden, dass die chinesische Führung entschieden habe, die regelmäßigen Lieferungen von Metallen der Seltenen Erden an Japan vorläufig einzustellen…

    "Als ich das zum ersten Mal hörte, hielt ich es für ein Gerücht. Ich rief einige japanische Kollegen an, und sie sagten: 'Ja, die Chinesen liefern nicht mehr an Japan. Aber das weißt Du nicht bitte von mir, das ist eine sehr heikle Geschichte. Die japanische Regierung verhandelt im Moment mit den Chinesen. Auf jeden Fall ist die Lage ernst.'"

    China verzögert die Lieferung von Metallen der Seltenen Erden auch an westliche Länder. US-Präsident Obama lässt prüfen, ob die Chinesen gegen internationales Handelsrecht verstießen. Die Europäischen Regierungen sind irritiert.

    China hat die Lieferungen für Metalle der Seltenen Erden wieder aufgenommen. Aber die chinesische Führung beschränkt die Exporte. Sie reduziert die Rohstoff-Mengen, …

    ... die sie dem Weltmarkt zur Verfügung stellt, deutlich. Die Metalle der Seltenen Erden, die in zahlreiche Hightech-Produkte zum Einsatz kommen, werden zu knappen Gütern.


    "Die Preise für Seltene Erden schossen in die Höhe, bedingt durch die chinesischen Quoten. Das Metall Cer zum Beispiel hatte ursprünglich einmal sechs US-Dollars pro Kilo gekostet. Plötzlich war es nur noch für 130, 140 Dollar zu haben."

    Dudley Kingsnorth ist Direktor der Industrial Minerals Company of Australia. Er war bis zum Jahr 2010 nur in Fachkreisen bekannt als Experte für Seltene Erden, der regelmäßig Publikationen zur Marktentwicklung herausgab. Plötzlich aber wurde er um ein Interview nach dem anderen gebeten, erhielt Anfragen von Regierungen, wurde zu sämtlichen Rohstoffkonferenzen der Welt eingeladen. Dort ist er leicht zu erkennen: Er trägt er stets die gleiche Krawatte. Ein dunkelblaues Exemplar mit Kästchenmuster, das sich bei näherem Hinsehen als das Periodensystems der Elemente entpuppt.

    "Ich trage diese Krawatte immer, wenn ich einen Vortrag über Seltene Erden halte. Wenn Sie mich also damit sehen, heißt das ich habe gerade vorgetragen oder ich werde bald zu dem Thema Seltene Erden sprechen."

    Auf Kingsnorth Krawatte ist vor allem eine der unteren Reihen des Periodensystems der Elemente zu sehen: Dazu zählen ungewöhnliche Metalle mit Namen wie Cer, Praseodym und Neodym – aber auch Terbium, Dysprosium, Holmium und Ytterbium. Stoffe, die zum Beispiel für Windturbinen, Energiesparlampen, Mobiltelefone und Spezialbatterien benötigt werden. Aus historischen Gründen werden sie Metalle der Seltenen Erden oder kurz Seltene Erden genannt, obwohl es sich nicht um "Erden" sondern um Metalle handelt. In der Industrie werden diese Stoffe meist in geringen Mengen benötigt, aber sie sind unerlässlich, ähnlich wie Gewürze in einer guten Speise. Die Chinesen haben hier einen Marktanteil von 97 Prozent. Und nun stellt sich heraus: Sie brauchen diese Stoffe selbst.

    "China muss bis zum Jahr 2020 Arbeitsplätze für 300 Millionen Menschen schaffen. Und es ist einfach so: Wenn Sie eine Mine mit Seltenen Erden haben, dann können sie Hunderte von Leuten beschäftigen. Wenn sie die Erze dann noch selbst auftrennen, dann sind da Tausende von Jobs drin. Wenn sie es aber schaffen, auch die Mobiltelefone und Windturbinen selbst herzustellen, dann haben sie Arbeit für Millionen von Menschen. Das Ziel der Chinesen ist es darum, möglichst viel selbst zu produzieren. Außerdem wollen sie ausländische Firmen, die Seltene Erden brauchen, dazu bewegen, ihre Produktion nach China zu verlagern."

    In den westlichen Unternehmen rieb man sich im Jahr 2010 die Augen. Die Seltenen Erden waren immer billig und beliebig verfügbar gewesen. Nun aber mussten die Einkaufsexperten Risikoanalysen erstellen und nach Wege aus der Krise suchen. Die Bundesregierung bemüht sich derweil um unterstützende Maßnahmen und ist diplomatisch aktiv. Sie hat unlängst Rohstoffpartnerschaften mit der Mongolei und Kasachstan geschlossen. Geologische Erkundungsarbeiten haben Hochkonjunktur. Gleichzeitig wird das Recycling von kritischen Rohstoffen mit frischem Elan erforscht. Und dennoch werden die Chinesen wohl ihre Vormachtstellung bis auf weiteres behalten. - Eine Entwicklung, aus der man einiges lernen kann, findet Jens Gutzmer. Er ist der Gründungsdirektor des neuen Helmholtz-Instituts Freiberg für Ressourcentechnologie.

    "Man kann lernen, dass man nicht in einseitige Abhängigkeit von einem produzierenden Land geraten darf, weder bei der Rohstoffproduktion im Sinne des Bergbaus noch bei der Verhüttung und Bereitstellung von Reinstmetallen. Das darf nicht sein, man darf nicht zulassen, dass diese Kompetenz in eine Hand übergeht, weil sonst die gesamte Wertschöpfungskette hinüber wechseln wird."

    Ein Labor an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover. Hier befindet sich ein großes, mikroskopartiges Gerät, das einen ganzen Tisch ausfüllt. Mikrostrahl-Sonde heißt dieses Instrument. In seinem Inneren befindet sich eine münzgroße Gesteinsprobe aus Namibia, die jetzt von einem Elektronenstrahl vermessen wird.

    "So. 1-4-0-0-6 Das ist der X-Wert. Dann haben wir noch den Y und den Z Wert. 20-9-5…"

    Jerzy Lodziak bringt die Probe in Position.

    "Das unsere Position der Probe unter dem Strahl. Jetzt kann ich die Fläche mit einem Elektronenstrahl abrastern und das hier sichtbar machen."

    Auf dem Bildschirm des Spezialmikroskops ist eine in Grautönen strukturierte Fläche zu sehen. Dazwischen tauchen immer wieder besonders helle Inseln auf: Hier befinden sich Mineralien, die Metalle der Seltenen Erden enthalten. Ihr Durchmesser beträgt etwa einen halben Millimeter.

    "Ich kann den Strahl auch fixieren, dass er punktförmig auf der Stelle die Probe trifft. Und an der Stelle kann ich mir so ein Elementspektrum angucken."

    Mit dem gezielten Elektronenstrahl der Mikrosonde ist es nun möglich, die chemischen Elemente zu identifizieren, die sich in der Gesteinsprobe befinden.

    "Und jetzt haben wir in dem Spektrum Calcium, Lanthan, Cer. Das sind so die Elemente, die ich sofort sehen kann."

    Lodziak öffnet auf einem der Bildschirme ein Fenster mit dem Periodensystem der Elemente. Dort klickt er auf die Elemente, die er in der Probe gefunden hat. Der Computer zeigt daraufhin eine Liste mit Mineralien an, um die es sich handeln könnte: Parisit, Bastnäsit, Synchysit heißen die Kandidaten, welche die Metalle der Seltenen Erden Cer und Lanthan beinhalten. Elemente, die weiter links im Periodensystem stehen und deswegen "leichte Seltene Erden" genannt werden. Die detailliertere Auswertung dieser Daten, in Kombination mit mehreren anderen Messverfahren macht Thorsten Graupner, Geologe und Experte für Lagerstättenbewertung an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.

    "Und speziell hier, wenn wir jetzt auch mal zu schweren Seltenen Erden gehen, ist das eine sehr breite Variabilität an Lagerstättentypen, die eine sehr komplexe Mineralogie enthalten. Wo dann auch, abhängig von der Zahl der Rohstoffe, die Sie gewinnen möchten, entsprechend die Verfahren entwickelt werden müssen."

    Jede Lagerstätte stellt die Geologen vor neue Herausforderungen. Es müssen jeweils ganz eigene, maßgeschneiderte Methoden gefunden werden, um die Erze herauszuholen und die verschiedenen Stoffe voneinander zu trennen. Generell befinden sich immer viele Metalle der Seltene Erden gleichzeitig in einer Lagerstätte, aber häufig sind sie nur Nebenprodukte bei der Gewinnung anderer klassischer Metalle wie etwa Eisen. Dabei ist es stets eine strategische Entscheidung, wo man welche Kombination von Stoffen ausgräbt. Graupner war darum in den vergangenen Monaten viel unterwegs.

    "Wir untersuchen im Moment Projekte in Südafrika. Wir haben auch in der Mongolei Proben untersucht. Wir kooperieren auch mit Gruppen in Kanada zum Beispiel, um dort Proben zu untersuchen. Das heißt wir sind schon an vielen Stellen der Welt aktiv, um den Überblick zu behalten, der einfach essentiell ist, für eine effektive Beratung der Industrie."

    Aber auch in Deutschland hat einige Investoren das Rohstofffieber gepackt: Im Erzgebirge laufen etwa Forschungen und Erkundungen in Sachen Indium, Lithium und anderen Metallen. In der Lausitz wird man bald Kupfer abbauen. Und das Unternehmen Deutsche Rohstoff AG hat Geldgeber gefunden, die in Storkwitz bei Leipzig neue Erkundungsarbeiten in Sachen Seltene Erden finanzieren. Der Freiberger Ressourcenexperte Jens Gutzmer aber ist skeptisch.

    "Mit den jetzigen Daten ist Storkwitz ein recht kleines Vorkommen. Die Konzentrationen sind nicht hoch. Und es ist relativ tief unter der Oberfläche. Das sind wesentliche Nachteile zu Explorationsprojekten weltweit, die es ja in mehreren Hunderten gibt."

    Nur ein Bruchteil der Vorkommen, die sich derzeit in der Prüfung befinden, werden am Ende tatsächlich mit Bergwerken abgebaut werden. Denn die Seltenen Erden sind keineswegs selten, sie sind auf vielen Kontinenten zu finden. Die Chinesen haben zwar derzeit 97 Prozent Marktanteil, letztlich aber verfügen sie nur über 63 Prozent der gesamten Rohstoffmenge, die als abbaubar gilt. Ihre Marktdominanz hat andere Gründe: Sie haben andere Anbieter vom Markt verdrängt, indem sie die Metalle der Seltenen Erden lange zu Dumpingpreisen anboten.

    "Wenn der Markt das bietet, dann nimmt man das Günstigste,"

    Volker Steinbach, Direktor der Deutschen Rohstoffagentur in Hannover,

    "und dieser Abbau, insbesondere der Abbau der Lagerstätten mit den schweren Seltenen Erden in Südchina entsprechen sehr wenig den Umweltauflagen, den weltweiten Umweltauflagen, aber sie entsprechen sicherlich auch nicht den chinesischen Umweltauflagen."

    Tatsächlich berichten unabhängige Journalisten von einer verheerenden Situation in Südchina. Der Bergbau hat dort ganze Landstriche zerstört. Giftige Schwermetalle, aggressive Säuren und radioaktive Stoffe belasten Natur und Menschen. Das Grundwasser ist kontaminiert, die Flüsse vergiftet. Neben den staatlichen und privaten Betrieben, sind auch illegale Bergbauunternehmen unterwegs, die mit einfachsten Werkzeugen die Erze aus dem Boden kratzen lassen. Es sind die Arbeiter und die Landbevölkerung im südlichen China, die für unsere Smartphones, Energiesparlampen und Windräder mit ihrer Gesundheit bezahlen. Die chinesische Regierung begründet ihre neuen Ausfuhrbeschränkungen für Metalle der Seltenen Erden damit, dass sie jetzt die Umweltauflagen verschärft habe. Steinbach:

    "Zum anderen möchte China die Wertschöpfung im eigenen Land erhöhen. Also die Seltenen Erden nicht in dem hohen Maße exportieren, sondern im eigenen Land beispielsweise Permanentmagneten für erneuerbare Energien herstellen."

    In den vergangenen beiden Jahren sind die Marktpreise für Metalle der Seltenen Erden nun so weit gestiegen, dass andere Anbieter wieder eine Chance haben. Die Hoffnungen der westlichen Industrie ruhen vor allem auf zwei Bergwerken: Mountain Pass in Kalifornien und Mount Weld in Australien. Für beide Minen gelten deutlich strengere Umweltstandards, und sie werden noch im Jahr 2012 für Entlastung auf dem Weltmarkt sorgen. Aber es bleibt ein Problem: Sowohl in Kalifornien als auch in Australien werden nur leichte Seltene Erden gefördert. Dudley Kingsnorth:

    "Bei den schweren Seltenen Erden wird es eine dauerhafte Verknappung geben. Und es wäre sehr im Interesse des Westens, seine eigenen Ressourcen hier zu entwickeln."

    Insgesamt 430 neue Explorationsprojekte für Metalle der Seltene Erden gibt es weltweit. Darunter befinden sich aber nur 17, bei denen auch die begehrten schweren Seltene Erden gefördert werden könnten. Aber gerade diese Lagerstätten haben große Nachteile. Entweder ihr Gehalt an Mineralien ist klein – oder sie befinden sich in der Arktis: in Alaska, im Norden Kanadas, in Grönland. Potenzielle Geldgeber halten sich darum bislang zurück. Und selbst wenn sich jetzt eine Investorengruppe zu einem solchen, kostspieligen Projekt durchränge - es würde insgesamt ein knappes Jahrzehnt dauern, bis dieser besondere Rohstoff in den westlichen Fabriken zur Verfügung stünde. Die Chinesen werden ihr Monopol also bis auf weiteres behalten. Kingsnorth:

    "Generell sollten wir unsere Technologie-Produktion nicht durch diese kritischen Materialien aufs Spiel setzen. Wir sollten uns nicht in die Gefahr begeben, von Dritten erpresst zu werden. Wir sollten also vorne mitspielen bei einer Vielzahl von Metallen und Mineralien, nicht nur bei den Seltenen Erden."

    Die deutsche Industrie steht unter Druck, sie muss jetzt schnell handeln, die weltweite Konkurrenz um die knappen Rohstoffe ist groß. Viele Firmen bemühen sich derzeit um langfristige Lieferverträge oder sie prüfen mögliche Joint-Venture-Projekte mit den Chinesen. Siemens hat Joint-Venture-Verträge mit der australischen Firma Lynas geschlossen, die in Mount Weld beginnt Seltene Erden zu fördern. Gemeinsam wollen die beiden Unternehmen die Produktion von Neodym-Magneten betreiben, die für Windturbinen wichtig sind.

    Eine große Zahl deutscher Unternehmen hat sich zu einer "Allianz zur Rohstoffsicherung" zusammen gefunden. Ihr Ziel: die Versorgung der Wirtschaft mit Rohstoffen zu verbessern. Jens Gutzmer:

    "Aber diese Allianz muss jetzt rasch aktiv und effizient aktiv werden. Sie muss jetzt wirklich auf dem globalen Markt, auf dem Technologieentwicklungsmarkt aktiv werden, um die Bedürfnisse der deutschen Industrie dort abzubilden und abzudecken."

    Die Märkte für die verschiedenen Materialien sind komplex und eigentlich nur für Spezialisten zu durchschauen. Jens Gutzmer vom Helmholtz Institut in Freiberg ist darum bemüht, ein wenig Orientierung auf dem Gebiet der "kritischen Rohstoffe" zu schaffen. Er unterscheidet drei Kategorien - drei Gründe, warum bestimmte Rohstoffe "kritisch" sind. Erstens: die Rohstoffe, bei denen wir derzeit von den Chinesen abhängig sind – wie etwa die Seltenen Erden. Die zweite Kategorie beinhaltet Rohstoffe, die überwiegend in gesellschaftlich instabilen Regionen wie etwa in Afrika gewonnen werden: Beispiele sind Tantal oder Kobalt. Und schließlich die dritte Kategorie, zu der Stoffe wie Germanium, Gallium oder Indium zählen. Diese dritte Rohstoffe haben die Eigenschaft, dass sie nicht eigenständige Lagerstätten bilden, sondern eher nebenbei gewonnen werden.

    "So zum Beispiel das Indium bei der Zink-Verhüttung. Nun sind die Mengen des Indiums, die wir brauchen so klein im Vergleich zum Zink, dass es für eine Hütte nur unter besonderen Umständen, wirklich attraktiv ist, das Indium mitzugewinnen. Und das muss attraktiver werden, um zukünftigen Bedarf zu decken."

    Für jede der drei Gruppen – die Stoffe aus China - die Stoffe aus instabilen Regionen - und die Beiprodukte – braucht es ganz eigene Strategien, und insgesamt ein neues Rohstoff-Bewusstsein. Vielleicht also war die Verknappung der Metalle der Seltenen Erden ein heilsamer Schock – wenn sich Industrie, Wissenschaft und Politik von nun an intensiver um die Bezugsquellen bemühen. Aber es wird auch darauf ankommen, Produkte mit weniger Material oder mit Ersatzstoffen zu entwickeln. Und: Die teuren Rohstoffe müssen besser recycelt werden.

    Modernes wissenschaftliches Gerät befindet sich in diesem Chemielabor an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg: Messgeräte, Sensoren, Destillationsgefäße – sie alle sind in einem raumfüllenden Gestell befestigt, das bis zur Decke reicht. Die Wissenschaftler, die hie arbeiten, gehen immer wieder um das Gestell herum, drücken auf verschiedene Knöpfe und befestigen Flaschen an durchsichtigen Plastik-Leitungen. Der größte Behälter hängt etwas tiefer im Gestell: Ein gläsernes, zylinderförmiges Gefäß, etwa doppelt so groß wie ein Wassereimer. Darin wird eine gelbe Flüssigkeit verrührt. Sie hat es in sich: In einer Säure sind hier Industrieabfälle aufgelöst: die Kerne von alten Magneten.

    "Vorher war es noch nicht lukrativ, die aufzuarbeiten. Jetzt geschieht so ein Umdenken. Das man das als Wertstoff sieht, diesen Abfallstoff."

    Peter Fröhlich macht hier die Experimente für seine Doktorarbeit, Thema: "Rückgewinnung von Seltenen Erden aus Sekundärrohstoffen". Aus einer Flasche, die weiter oben im Gestell angebracht ist, lässt er eine Lauge einströmen. Plötzlich sind in gelben Flüssigkeit dunkle Flocken zu sehen. Eine sogenannte Fällungsreaktion.

    "Das ist größtenteils eine große Eisenmatrix und von den Seltenen Erden sind verschiedene drin: Neodym, Europium, Cer. Das sind die wichtigen, die industriell interessant sind."

    Fünf Minuten später ist die Flüssigkeit im Glaszylinder dunkelrot gefärbt. Peter Fröhlich lässt sie in einen Eimer ausströmen.

    "Ich denke, dass ist ganz OK jetzt. So das wird jetzt filtriert und anschließend noch einmal gereinigt, der Niederschlag, und steht dann für die weitere Verwendung zur Verfügung. Aber damit sind wir immer noch nicht fertig. In diesem Niederschlag sind die ganzen Seltenen-Erd-Konzentrate erst einmal enthalten. Und über weitere Reinigungsschritte kann man die dann einzeln voneinander trennen."

    Aufgebaut hat dieses Labor Martin Bertau. Er leitet den Lehrstuhl für technische Chemie an der TU Freiberg und hat keinerlei Scheu vor komplizierten chemischen Trennvorgängen. Im Gegenteil: Er will Abfall wissenschaftlich vermeiden.

    "Die Erfahrung hat gezeigt: Wenn man sich der Herausforderung, auch hochkomplexe metallische Gemische zu trennen, stellt, dann hat man auch die Möglichkeit die einzelnen Komponenten zu gewinnen. Wir streben eine integrierte Rohstoffverwertung an. Wir sträuben uns, Sachen wegzuwerfen, sondern wir stehen auf dem Standpunkt, dass die Zeiten, wo man lax umgehen konnte mit den Rohstoffen, einfach vorbei sind."

    Bertau ist ein Forscher, der nach intelligenten Lösungen sucht, Abfälle aufzuarbeiten. Doch allein mit Chemie lassen sich die Probleme nicht lösen. Es kommt auch auf die richtige Mülltrennung an. Die neue, orangene Tonne, in der Elektroschrott gesammelt wird, hält Bertau für einen wichtigen Schritt. Und auch im Bergbau und in der Industrie sieht er noch einigen Verbesserungsbedarf.

    "Die bisherige Herangehensweise war ja häufig so, dass man gesagt hat: ich bin auf Eisen scharf, zum Beispiel, und dann wird der Rest der Begleitmetalle in der Schlacke verblasen. Und wenn so eine Schlacke dann zum Straßenbau verwendet wird, dann fahren wir über eine sehr kostbare Straßendecke. Und wenn dann noch solche Wertkomponenten drin sind wie beispielsweise Kobalt, dann tut das natürlich weh. Kobalt muss auf den Märkten teuer eingekauft werden, liegt aber eigentlich zu unseren Füßen."

    Für solche chemisch-ökologischen Ansichten zeigt die Industrie derzeit eine neue Offenheit. Immer wieder stellen sich in Martin Bertaus Büro Firmenvertreter vor, die ihn um Rat bitten. Für das Unternehmen FNE Entsorgungsdienste Freiberg hat der Chemiker jetzt einen Weg gefunden, Abfälle aufzubereiten, die Indium enthalten: ein Metall, das unter anderem für Solarzellen und Flachbildschirme verwendet wird.

    "Hier lag Indium in einem Gemisch zusammen mit elf anderen Metallen vor, und wir konnten hier Rohindium-Reinheiten herstellen, die 99,6% und größer lagen."

    Also eine Qualität, mit der man das recycelte Indium sehr gut als Rohstoff verkaufen kann. Möglich wurde dies, weil Bertau und Kollegen in ihrem Labor einen Weg fanden, zunächst Eisen, dann Aluminium und später die anderen Metalle und auch das Indium aus dem Abfall herauszulösen. Das Verfahren wird derzeit von Ingenieuren auf eine große, industrielle Anlage übertragen. Derweil denkt Bertau schon über ein neues Problem nach: Er will sich im Rahmen eines großen, vom Bundesforschungsministerium geförderten Projektes den Leuchtstoffabfällen widmen: Sondermüll, für den es bislang keine Lösung gibt. Dabei liegen in den verschiedenen Energiesparlampen und Leuchten verschiedene Metalle der Seltenen Erden in relativ hoher Konzentration vor. Gesucht wird hier nun ein Trenn-Verfahren, das auch wirtschaftlich wettbewerbsfähig ist.

    "Man muss sich schon sehr intensiv mit den Charakteristiken der einzelnen Seltenen Erden Metalle vertraut machen. Man kennt sicherlich die Eigenschaften von Eisen, Kobalt, Nickel etwas genauer als die von Seltenen Erden. Das ist leider so."

    Nicht für alle Hightech-Abfall-Probleme hat man heute bereits chemische Lösungen, die auch wirtschaftlich sind. Doch mit den steigenden Rohstoffpreisen erhalten zunehmend auch Recyclingverfahren eine Chance, die lange nicht in Betracht gezogen worden waren. Das zeigt auch ein neues Bergbauvorhaben in Zinnwald im Erzgebirge, an der tschechischen Grenze. Die Firma "Solar World" will dort Lithium aus einem Gestein gewinnen, das Zinnwaldit heißt. Derzeit werden dort Erkundungsbohrungen gemacht und Gesteinsproben untersucht. Auch hier ist Bertau beteiligt.

    "Das ist ein Klumpen, der ein bisschen groß ist. Aussehen tut er eigentlich wie ein handelsüblicher Granit, ohne einer zu sein, und diese silbrig glänzenden Schuppen, das ist dieser Glimmer: der Zinnwaldit - und dort befindet sich das alles drin."

    Eisen, Aluminium und das für moderne Akkus so wichtige Lithium ist hier in das Mineral eingeschlossen: Bertau hat im vergangenen Jahr lang mit einem Team von fünf Chemikern an einem Trennvorgang gearbeitet. Das Ergebnis befindet sich in vier kleinen Gläschen: Stoffe, die Bertaus Team aus dem Stein herausgetrennt hat.

    "Das sind jetzt solche Proben: kleine Labormengen nur. Aber Sie sehen, wir haben hier Calciumfluorid, Aluminiumoxid, das Lithiumcarbonat, nach dem wir ursprünglich ja angefangen haben zu suchen. Und Eisenoxid."

    Nun will Bertau noch einen Schritt weiter gehen. Er will dieses Verfahren für Primärrohstoffe mit der Verarbeitung von Sekundärrohstoffen kombinieren. Er möchte die Metalle aus dem Zinnwälder Gestein herausholen und dabei gleichzeitig alte Lithium-Akkus recyceln. Der Vorteil dabei:

    "Ich hab nur einmal den Aufwand, das Lithium zu gewinnen: Ich hab nur ein Verfahren, in das ich unabhängig davon, ob es Primärrohstoff-Lithium ist oder Sekundärrohstoff-Lithium ist, den lithiumhaltigen Rohstoff einspeisen kann. Das kann Zinnwaldit sein, das kann aber auch ein Lithium-Ionen Akku sein."

    In Antwerpen hat die belgische Firma Umicore, die auf die Wiederverwertung von Elektroschrott spezialisiert ist, eine neue Anlage für Recycling von Spezialmetallen in Betrieb genommen. Die Firma recycelt zwar schon seit langem Edelmetalle und andere Hightech-Werkstoffe. Mit einem neuen Verfahren kann sie nun aber auch alte Lithium-Ionen und Nickel-Metalhydrid-Akkus verarbeiten. Christian Hagelüken, Recyclingexperte bei Umicore.

    "Für diese Arten von Materialien haben wir über in den letzten Jahren ein neues Verfahren entwickelt, wo wir nicht nur Kobalt, Nickel, Kupfer zurückgewinnen, sondern wo wir die Seltenen Erden und auch Lithium in einer Schlacken-Phase aufkonzentrieren können, ein Seltene-Erden-Konzentrat herstellen und dieses dann in Kooperation mit Rhodia als einem der großen Verarbeiter von Seltenen Erden dann tatsächlich wieder gewinnen. Und daraus neue Seltene Erden für den Markt zur Verfügung stellen."

    Trotz dieser ersten Erfolge steht das Recycling von Metallen der Seltenen Erden noch ganz am Anfang. Und das nicht nur, was die geologischen und chemische Verfahrenstechnik angeht. Auch das Design der Produkte muss noch verbessert werden, so dass sich die hochwertigen Teile später leichter entfernen lassen. Zum Beispiel: Ein Elektromotor im Auto muss so eingebaut sein, dass der Schrotthändler später den Magneten leicht entfernen kann. Auch wird es in Zukunft darauf ankommen, die Transportwege des Mülls besser zu überwachen als bislang. Hagelüken:

    "Beim Abfall hab ich immer das Spannungsfeld: Ich hab mit Wertstoffen zu tun, ich hab aber auch mit Schadstoffen zu tun. Wenn ich mich wirtschaftlich optimieren will und rein wirtschaftlich denke, dann gewinne ich die Wertstoffe zurück und kümmere mich nicht um die Schadstoffe. Das ist aber nicht im wirklichen Sinne der Gesellschaft, sondern ich muss sicherstellen, dass ich hochwerte Wertstoffe gewinne und verantwortlich mit Schadstoffen umgehe. Das heißt, ich muss regulieren, was gemacht wird. Ich muss Kontrollinstanzen schaffen. Ich muss Leitplanken schaffen."

    Und gleichzeitig braucht die Wirtschaft den Freiraum, selbst zu entscheiden, welche Abfälle sie für welche Produkte am effizientesten einsetzen kann. Es wird also in Zukunft auf viele Dinge ankommen: auf intelligentes Recycling von wertvollen Rohstoffen, auf Einsparung, Ersatzstoffe - aber auch auf mutige Investitionen am Polarkreis in Sachen schwere Seltene Erden.

    Jens Gutzmer: "Man braucht eigentlich nur zwei bis drei Bergbaubetriebe in Gang zu setzen, die werden in der Lage sein ohne weitere Probleme, die Versorgung der westlichen Welt - außerhalb Chinas - zu gewährleisten."

    Volker Steinbach: "Vor fünf Jahren hätte noch keiner gedacht, dass wir in Deutschland, in der Politik, in der Wirtschaft, aber auch in den Medien in der öffentlichen Diskussion wieder so deutlich und klar über Rohstoffe sprechen."

    Gutzmer: "Es muss sich wirklich etwas tun. Es tut sich ja auch etwas. Aber meine Frage ist: Ist es schnell genug, ist es dynamisch genug?"

    Martin Bertau: "Wir müssen uns alle dessen bewusst sein, dass der materielle Wohlstand, den wir hier haben, den wir alle halten wollen - auf der einen Seite. - dass aber auch der Energiewandel auf der anderen Seite, der ja auch allgemein gewollt ist, sich nur dann realisieren lässt, wenn die Werkstoffe dafür da sind, wenn die Rohstoffe dafür da sind, und wenn wir es lernen, auch mit diesen Rohstoffen verantwortungsvoll umzugehen."

    Gutzmer: "Und wir sollten nicht erwarten dass China in Zukunft noch als Rohstofflieferant auftritt. Sondern China wird als Produktlieferant auftreten."

    Dudley Kingsnorth: "Ich denke: das, was mit den Seltenen Erden passiert ist, kann in Zukunft durchaus auch mit anderen Rohstoffen und Materialien passieren. Wir müssen daraus lernen, in strategischer Hinsicht. Und das, was wir gelernt haben, werden wir vermutlich bald anwenden müssen – und zwar mehrfach, in den nächsten fünf, zehn, 20 Jahren."