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Suchtfalle Internet

Computersucht ist eine ganz spezielle Sucht: Sie kommt schleichend und wird schnell zum Alltag. Denn der Computer ist aus unserem Leben heute kaum mehr wegzudenken. Glaubt man aktuellen Studien, sind bis zu 15 Prozent aller Teenager bereits süchtig oder stark suchtgefährdet.

Von Jan Rähm | 26.01.2010
    Die Postkarte zeigt zwei Jungs, die vergnügt mit Popcorn und Cola im Kino sitzen. Daneben ein Spruch: "Hier fehlt Benni. Benni spielt und surft zu Hause im Netz. Wirklichen Spaß gibt's draußen." Die Gratispostkarte ist Teil einer neuen Kampagne gegen Internet- und Computersucht.

    "Das Projekt richtet sich genau an zwei Zielgruppen, ohne die es beide nicht geht. Einmal an die Jugendlichen selbst - mit dem Slogan 'Update your life' - und einmal an die Erwachsenen, ganz vorne dran die Eltern, um die fit zu machen, damit die ein bisschen aufpassen, dass ihre nicht allzu lange im Internet sind und auch mal gucken, was machen die da eigentlich."

    Kerstin Jüngling ist die Leiterin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin. Sie will Jugendliche davor bewahren, in die Suchtfalle Internet und Computerspiel zu tappen. Denn glaubt man aktuellen Studien, sind bis zu 15 Prozent aller Teenager bereits süchtig oder stark suchtgefährdet.

    "Wenn ein Jugendlicher oder eine Jugendliche mehr als 4,5 Stunden, das ist schon extrem viel, pro Tag am Computer sitzt, ist bereits ein manifestes Risikoverhalten da. Der Weg zur Sucht ist geebnet. Das heißt, wenn dann die Sucht begonnen hat, wenn das riskante Spiel in Richtung Abhängigkeit geht, dann funktioniert die Abhängigkeit vom Computer und vom Internet genauso wie vom Alkohol. Im Prinzip wird das Suchtmittel, in dem Fall der Computer oder das Internet, wird der Mittelpunkt des Lebens, auf den sich alles fokussiert."

    Die Gründe, der Sucht zu verfallen, sind vielfältig. Kerstin Jüngling hat zwei Kernprobleme ausgemacht: Selbstbestätigung und Anerkennung. Beides bekämen Teenager nämlich vor allem beim Chatten im Internet, berichtet die Sozialarbeiterin.

    "Auf dem Weg zum riskanten Computer- oder Internetspiel sehe ich die Grundprobleme in zwei Ebenen. Einmal zu wenig Feedback für die Jugendlichen, zu wenig Rückmeldung und auch mal positive Rückmeldung, nicht nur Druck oder Meckern, sondern wo jemand echt was toll gemacht hat. Das brauchen Jugendliche, das haben wir früher gebraucht, das brauchen die heute auch. Und die zweite Ebene ist, es gibt überhaupt zu wenig Anreiz in der realen Welt, dass Erwachsene sich um Jugendliche kümmern. Es gibt viele Studien, die sagen, Jugendliche brauchen Erwachsene, weil sie sich an denen reiben. Über die Konfrontation bilden die eine Identität."

    Die Reibung wiederum, die erhalten Jugendliche beim Spielen – vor allem die Jungen. Online-Rollenspiele oder die sogenannten Ego-Shooter sind ideal, um mit anderen Teilnehmern spielerisch anzuecken und um über die Stränge zu schlagen – stundenlang. Mit den Gratispostkarten wollen die Initiatoren die Jugendlichen wachrütteln. Zudem suchen sie das direkte Gespräch mit ihnen in Schulen. Aber auch die Erwachsenen sind gefragt. Die sollen spannende Freizeitaktivitäten in der realen Welt bieten. Worauf es dabei ankommt, das können sie in speziellen Kursen und Gesprächsrunden lernen.

    "Prävention läuft immer in der Gefahr, zwischen Verharmlosung und Abschreckung sich zu polarisieren, und beides ist verkehrt. Wir wollen natürlich die Eltern, Lehrer und Lehrerinnen dahin gehend schulen, dass sie schön den erhobenen Zeigefinger bitte wieder nach unten nehmen, gar nicht erst gebrauchen, sondern mit Jugendlichen ins Gespräch kommen, die auch mal nach ihren Interessen fragen, auch mal fragen, was ist denn eigentlich das Tolle an dem Spiel, warum gehst du, warum spielst du Ego-Shooter oder warum spielst du World of Warcraft oder warum chattest du soviel?"

    Kerstin Jüngling warnt aber vor übertriebenen Reaktionen, wenn der Nachwuchs mal wieder etwas länger vor dem Bildschirm sitzt. Denn nicht immer besteht sofort Suchtgefahr.

    "Wir müssen genau hinschauen. Uns hilft es in der Prävention nämlich auch nicht, dass wir sagen, jetzt hat einer einmal viereinhalb Stunden am Computer gesessen, war einmal schlecht gelaunt, als er ausgemacht wurde, dann ist der gleich süchtig. Uns geht es darum, dass dann sofort eingegriffen wird. Dass dann die Eltern das Gespräch suchen auch mal in eine Erziehungs- und Familienberatungsstelle gehen, um dort mit Profis rauszufinden, ist es noch riskanter Konsum, ist es der Beginn einer Sucht, wo steht der Jugendliche und welche Intervention braucht er?"

    Und so gilt der Slogan der Kampagne "Update your life" nicht nur für Jugendliche, die mal wieder raus an die frische Luft sollen. Sondern auch für Eltern und Lehrer, die sich fragen müssen, warum sich manche Kinder in der virtuellen Welt wohler fühlen als in der Realität.

    Webseite von Update your life