Donnerstag, 28. März 2024

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Suchtforscher über Online-Abhängigkeit
Süchtig nach schneller Belohnung und mehr Selbstwertgefühl

Kinder und Jugendliche seien deutlich häufiger abhängig von Smartphones und Spielen als Erwachsene, sagte der Lübecker Suchtforscher Hans-Jürgen Rumpf im Dlf. Im Kampf gegen den Kontrollverlust sei neben den Eltern auch die Industrie gefragt.

Hans-Jürgen Rumpf im Gespräch mit Stefan Fries | 19.09.2018
    Ein Jugendlicher schaut auf sein Smartphone
    "Onlineaktivitäten werden bevorzugt und alles andere kann so weit in den Hintergrund treten, dass man sich darin völlig verliert", sagt Hans-Jürgen Rumpf (imago stock&people/ Stefan Arend)
    Stefan Fries: Wenn jemand süchtig ist, denken wir normalerweise an Alkohol, an Zigaretten, an Drogen, an Medikamente. Aber auch Smartphones können abhängig machen, soziale Netzwerke und Computerspiele. Betroffen sind davon vor allem Kinder und Jugendliche. Seit Montag haben Forscher darüber geredet, beim Deutschen Suchtkongress in Hamburg, der heute zu Ende geht. Mit dabei ist der Lübecker Suchtforscher Hans-Jürgen Rumpf. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt, wie man von Smartphones und sozialen Netzwerken abhängig wird – normalerweise verstehen wir unter Sucht ja eher eine körperliche Abhängigkeit.
    Hans-Jürgen Rumpf: Insgesamt ist Abhängigkeit immer ein Prozess, der aus körperlichen und psychischen Elementen sich zusammensetzt. Und gerade bei einer Onlinesucht haben wir folgende Merkmale im Vordergrund. Erstens, dass ein Kontrollverlust einsetzt. Die Person kann nicht mehr frei entscheiden, wie lange sie eine Anwendung nutzt, wie lange das Spiel gespielt wird. Sie nimmt sich zum Beispiel vor, das nächste Mal früher ins Bett zu gehen, es gelingt ihr aber nicht. Und das sind eben Anzeichen der Sucht, dass dort die Kontrolle nicht mehr gegeben ist.
    Ein zweiter Bereich ist, dass das Spielen oder auch andere Anwendungen wie zum Beispiel soziale Netzwerknutzung, dass das zur Priorität im Leben wird. Alle anderen Aktivitäten verschwinden dahinter, also Hobbys sind nicht mehr so wichtig, Freunde zu treffen, auch vielleicht die Schule oder andere Dinge, die man sonst machen muss oder die auch Spaß machen. Und stattdessen werden halt die Onlineaktivitäten bevorzugt, und alles andere kann so weit in den Hintergrund treten, dass man sich darin völlig verliert.
    Und der dritte und letzte Punkt ist, dass man spürt, dass die häufige Onlinenutzung einen auch negativ beeinflusst, man zum Beispiel nicht mehr so leistungsfähig ist in der Schule oder im Beruf, unter Schlafmangel leidet und anderen Dingen, man aber nicht in der Lage ist, das sein zu lassen.
    "Glücksgefühle im Gehirn"
    Fries: Welche Elemente sind das denn, die bei Smartphones oder bei sozialen Netzwerken diese Abhängigkeit hervorrufen? Was ist daran so spannend, dass ich mich nicht mehr davon lösen kann?
    Rumpf: Das Gemeinsame dieser Anwendungen ist, dass der Selbstwert gestärkt wird und man sehr schnell eine Belohnung bekommt. Vieles, was man sonst sich erst erarbeiten muss, geht dort sehr schnell. Und eine Belohnung kann so aussehen, dass man in einem Spiel einen Erfolg erzielt, dass man zum Beispiel auch bei sozialen Netzwerken sehr viele Rückmeldungen bekommt auf seine Postings oder auf seine Fotos, und das setzt Glücksgefühle frei im Gehirn. Das geht sehr schnell, ist sehr schnell erreichbar, und einige Menschen wollen das dann immer erneut erleben. Und dadurch kann halt so ein Prozess in Gang gesetzt werden, dass eine Abhängigkeit entsteht.
    Fries: Von wie vielen Abhängigen in Deutschland sprechen wir denn?
    Rumpf: Wir müssen von ungefähr ein bis zwei Prozent der Allgemeinbevölkerung ausgehen. Wir haben allerdings weitaus höhere Raten bei den jungen Menschen, und es gibt noch eine bundesweite Studie, die zeigt, dass wir dort Anstiege zu verzeichnen haben. Wir kommen dann eher so in Richtung fünf Prozent bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, und wir haben gerade bei den jungen Frauen und den Mädchen einen Anstieg um fast das Doppelte zu verzeichnen bei zwei Erhebungen, so dass wir gerade da auch die sozialen Netzwerke als einen Risikofaktor ansehen. Denn das ist das, was die Frauen und Mädchen machen im Gegensatz zu den Jungen und den Männern, die dann eher Computerspiele betreiben.
    "Noch nicht so stark kontrollieren, was sie tun"
    Fries: Warum sind Kinder und Jugendliche denn stärker betroffen als Erwachsene?
    Rumpf: Das liegt zum einen daran, dass diese Anwendungen sehr viel üblicher sind als bei älteren Menschen. Die jungen Menschen wachsen damit sozusagen auf, es ist ein Teil ihres Lebens, und sie werden da sehr viel stärker involviert als ältere Menschen. Zum anderen ist es so, dass insgesamt junge Menschen noch nicht so stark kontrollieren können, was sie tun, auch vielleicht Dinge lassen, weil es unvernünftig ist. Das hängt mit der Entwicklung auch des Gehirns zusammen. Es gibt so einen Teil des Gehirns, der für die Steuerung und Planung zuständig ist, und der ist erst im Alter von 21 voll ausgeprägt, sodass einfach Kinder und Jugendliche da empfänglicher sind.
    Fries: Was können die Betroffenen und ihre Familien gegen so eine Abhängigkeit tun?
    Rumpf: Zunächst mal ist es so, dass die Eltern natürlich einen Blick darauf haben sollten, was ihre Kinder machen. Die Eltern sollten sich interessieren dafür, sie sollten nicht gleich ablehnend reagieren. Man kann auch zusammen mit den Kindern Regeln erarbeiten. Regeln sind gut, das wissen wir auch aus Studien. Es müssen aber keine Regeln sein, die einfach ohne die Beteiligung der Kinder gesetzt werden, sondern da ist ein Miteinander sehr hilfreich.
    Wenn die Probleme ausgeprägt sind, dann sollte man darüber nachdenken, weitergehende Hilfe in Anspruch zu nehmen. Erste Anlaufstellen sind zum Beispiel Suchtberatungsstellen, die es in fast allen Regionen gibt und die auch in der Regel sich mit diesem neuen Konzept oder dieser neuen Krankheit so weit auskennen, dass sie Hilfestellung geben können.
    Fries: Vor allem soziale Netzwerke leben ja davon, dass die Nutzer lange dranbleiben und dadurch bekommen. Die Programmierer bauen diese Netzwerke ja auch oft so, dass man nicht abschalten will. Muss man denen denn auch strengere Regeln verordnen?
    Rumpf: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Gerade, wenn wir an die Computerspiele denken, sind die tatsächlich so aufgebaut, dass eine Bindung der Nutzer stattfindet und diese Bindung auch im schlimmen Fall bei einem Teil dann zu der Abhängigkeit führt. Und da ist es besonders wichtig auch im Sinne des Jugendschutzes, dass man die Computerspielindustrie in die Pflicht nimmt, auch mal drüber nachzudenken, wie die Altersfreigabe von solchen Spielen ist.
    Bis dahin ist die einzige Regulierung, dass man schaut, wie viele Gewaltinhalte hat ein Spiel, wie viele sexuelle Inhalte hat ein Spiel, und daraufhin dann zu einer Empfehlung kommt, ab welchem Alter das Spiel genutzt werden sollte. Da ist dringend hinzuzufügen, dass man auch drüber nachdenken sollte, dass die Suchtgefährdung dort als Kriterium aufgenommen wird.
    Einstellungen, die Programme automatisch unterbrechen
    Fries: Und kann man noch so was einführen, dass man sagt, nach zwei, drei Stunden ist erst mal Schluss, und das Spiel lässt sich nicht mehr starten?
    Rumpf: Es gibt eine ganze Reihe von sogenannten Shutdown-Programmen. Das bedeutet, nach einer gewissen Spielzeit geht das Spiel von allein aus, wird heruntergefahren. Das ist technisch möglich, ist von der Spielindustrie nicht sehr gewünscht. Es ist etwas, was man vonseiten der Eltern auch natürlich einbauen könnte, um die Kinder zu schützen.
    Es wäre auch etwas für Betroffene, die schon merken, sie haben eine Suchtentwicklung oder sie haben dort eine problematische Entwicklung, dass sie auch für sich selbst zum Schutz solche Einstellungen dort vornehmen könnten und zum Beispiel dann nach einer halben Stunde oder eine Stunde ein Warnsignal bekommen, und vielleicht nach anderthalb oder zwei Stunden auch dieser Shutdown durchgeführt wird.
    Fries: Hunderttausende Teenager und junge Erwachsene abhängig von sozialen Netzwerken, Computerspielen und Smartphones, sagt der Lübecker Suchtforscher Hans-Jürgen Rumpf im Deutschlandfunk.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.