Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Südafrika
Flucht vor Fremdenhass

Auf dem afrikanischen Kontinent gilt Südafrika als beliebtes Ziel für Migranten. Nigerianer oder Simbabwer etwa suchen in der selbsterklärten Regenbogennation Arbeit und Wohlstand. Doch oft genug erleben sie Fremdenhass und Angriffe. Hunderte Nigerianer haben jetzt die Heimreise angetreten.

Von Adrian Kriesch | 14.09.2019
Vor dem nigerianischen Konsulat in Südafrika drängen sich Nigerianer in Reisebusse.
Vor dem nigerianischen Konsulat in Südafrika drängen sich Nigerianer in Reisebusse. (Deutschlandradio / Adrian Kriesch )
Es ist vier Uhr früh in Johannesburg und Victor Issa holt seine Reisetasche aus einem kleinen Nissan Micra. Es ist sein letzter Tag in Südafrika – und die vorerst letzten Stunden mit seiner Freundin Lucy, die ihn hier an das nigerianische Konsulat gebracht hat.
Vor einem Jahr kam Issa in Südafrika mit großen Plänen an. Doch dann traf auch den Nigerianer die fremdenfeindliche Gewalt.
"Mein Plan war eigentlich, hier ein besseres Leben zu beginnen", erzählt Victor Issa. "Ich bin Automechaniker. Aber die Erfahrung hier war alles andere als gut. Und in meiner Heimat gibt es ein Sprichwort: Komm lieber lebendig nach Hause, als in einem fremden Land zu sterben. Ich haue lieber ab, denn ich sollte nicht von solchen Leuten umgeben sein. Ihnen ist es egal, wie es dir geht oder ob du dich sicher fühlst. Sie machen dumme Sachen."
Vorurteile gegen Ausländer
Issa wurde attackiert, musste im Krankenhaus behandelt werden. Am Kopf hat er noch immer eine Narbe. Zwei Autos wurden ihm außerdem angezündet. Seine südafrikanische Freundin Lucy Mashale steht neben ihm und kämpft mit den Tränen. Seit einem Jahr sind beide ein Paar.
Sie schämt sich für die Übergriffe. "Das sind doch gute Menschen!" so Lucy. "Wir Südafrikaner haben unseren Kompass verloren. Mein Freund muss mich zurücklassen. Ich habe kein Visum und es musste schnell gehen. Sie müssen alles zurücklassen, was sie haben. Und die südafrikanische Regierung macht nichts. Sie lassen dieses Töten und Zerstören einfach zu. Es sind doch nicht alle Nigerianer Kriminelle oder im Drogenhandel involviert. Die meisten arbeiten sehr hart!"
Vorurteile gegen Ausländer aus anderen afrikanischen Ländern sind in Südafrika weit verbreitet – und immer wieder wurden sie in der Vergangenheit zur Zielscheibe, zum Sündenbock für die politischen Probleme im Land.
Schockierende Kriminalstatistiken
Fast jeder dritte Südafrikaner ist arbeitslos. In keinem anderen Land der Welt ist die Ungleichheit, die Schere zwischen Arm und Reich, so groß wie hier. Die Regierung hat einen Aktionsplan gegen Fremdenfeindlichkeit ins Leben gerufen, mit Aufklärungskampagnen, besserer Polizeiarbeit, Integrationsprogrammen. Aber noch ist wenig passiert.
Präsident Cyril Ramaphosa: "Diese Angriffe auf Menschen anderer Nationen, die hier Geschäfte betreiben, sind absolut inakzeptabel. Es darf in Südafrika nicht passieren, dass ihre Geschäfte zerstört, geplündert und angezündet werden. Das widerspricht allem, wofür wir Südafrikaner stehen."
Was Ramaphosa nicht sagt: Seine Regierung hat offensichtlich keine Antwort auf die eskalierende Gewalt im Land. Angriffe gegen Ausländer, Gang-Kriege in Großstädten, Übergriffe auf Frauen.
Die Kriminalstatistiken sind schockierend und steigen weiter an. Innerhalb eines Jahres wurden im Land mehr als 21.000 Menschen ermordet. 57 Morde am Tag. Täglich werden mehr als 100 Vergewaltigungen angezeigt.
Düstere Aussichten für die Rückkehrer
Vor dem nigerianischen Konsulat drängen sich unterdessen knapp 300 Nigerianer in Reisebusse. Auch Familien mit Kindern, die zum Teil in Südafrika geboren wurden und noch nie in Nigeria waren.
Für Victor und Lucy heißt es Abschied nehmen, ein letztes Mal nehmen sie sich in den Arm. Nimm mich doch mit in deinem Koffer, sagt Lucy noch. Dann geht es für Victor mit dem Bus zum Flughafen.
Doch er weiß: Auch in Nigeria kann er nicht auf die Hilfe der eigenen Regierung setzen. Das Land steckt in einer Krise, es gibt kaum Jobs und Industrie, dafür reichlich Korruption. Die Wirtschaft ist komplett abhängig vom Erdöl.
Die Charterflieger wurden von einem nigerianischen Geschäftsmann gesponsert – die nigerianische Regierung gibt den Rückkehrern lediglich Telefonkarten mit etwas Guthaben. Südafrika hat keinerlei Entschädigungen angeboten.
Victor ist trotzdem optimistisch, dass er in Nigeria ein besseres neues Leben aufbauen kann – vorerst jedoch ohne seine Freundin Lucy. "Ach, das ist wirklich schmerzhaft. Aber ich hoffe, dass sie bald Nigeria besucht. Ja, sie wird bald Nigeria besuchen."
Ihre Liebe, sagt Victor, sei stärker als die fremdenfeindliche Gewalt.