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"Sudan ist nach wie vor ein Krisenherd"

Peter Schumann erwartet nach dem Referendum im Sudan einen radikal-islamischen Norden und einen fragilen Süden. Die Abspaltung schaffe noch keine Stabilität, warnt Schumann.

31.01.2011
    Anne Raith: Mit überwältigender Mehrheit haben die Menschen im Süd-Sudan für einen eigenen Staat gestimmt. Vorläufigen Ergebnissen zufolge sprachen sich mehr als 99 Prozent der Wähler in einem Referendum für die Abspaltung vom Norden aus. Die Verkündung der Zahlen wurde in Juba, der wohl künftigen Hauptstadt des Südens, bejubelt, Tausende feierten auf den Straßen. Was die Abspaltung nun für die Zukunft des Sudan heißt, für den Süden und für den Norden, darüber wollen wir sprechen mit Peter Schumann, dem ehemaligen UN-Koordinator für den Süd-Sudan. Guten Tag, Herr Schumann.

    Peter Schumann: Guten Tag, Frau Raith!

    Raith: Im Süden wird gefeiert, ich habe es angesprochen. Aber gibt es denn mit Blick auf die Zukunft Grund zum Feiern? Wie bereit ist der Süden für die Selbstständigkeit?

    Schumann: Wissen Sie, im Süden feiert man jetzt eigentlich die Unabhängigkeit, die ja seit 1956 irgendwie verweigert worden war, und das ist jetzt natürlich alles erst mal Euphorie. Wie weit der Staat ist, wie weit die Menschen sind, als eigenständiger Staat zu überleben in einem sich immer größer darstellenden Chaos in der Region, das wird die Zukunft zeigen. Das hängt sehr stark davon ab, wie die Region mitspielt, aber wie eben auch die internationalen Partner, die internationalen Akteure den neuen Staat unterstützen, aber sich eben auch dem Norden zuwenden, denn es entstehen ja im Prinzip zwei neue Staaten, der Nord-Sudan und der Süd-Sudan.

    Raith: Der Norden, hieß es ja in der Vergangenheit immer wieder, der Norden und Präsident al Bashir werden die Unabhängigkeit anerkennen. Gehen Sie auch davon aus, dass das problemlos über die Bühne geht?

    Schumann: Ich glaube schon. Wissen Sie, es ist ja ein Vertrag geschlossen worden. Es ist ein Friedensvertrag geschlossen worden mit den ganz klaren Konditionen, ein Referendum mit der Möglichkeit der Unabhängigkeit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Präsident al Bashir jetzt in letzter Minute, vor allem nach der sehr erfolgreichen und sehr gut durchgeführten Wahl im Süden, da noch mal zurücktreten kann. Er hat sehr starke innenpolitische Probleme in seinem Nordteil.

    Raith: Das haben wir auch heute Morgen hier im Programm gehört, dass auch im Norden die Unzufriedenheit groß ist, dass dort Rufe nach mehr Autonomie und Reformen laut werden. Glauben Sie, dass dieser Unmut dann durch die erfolgreiche Abspaltung des Südteils noch befeuert werden könnte?

    Schumann: Präsident Bashir hat nach seinem letzten Besuch in Juba verkündet, dass die Lebensmittelpreise um 30 Prozent erhöht werden, dass die Beamtengehälter um 25 Prozent gekürzt werden, und er hat das versucht, in Verbindung zu bringen, das sind die Kosten der Unabhängigkeit. Das war ein bisschen sehr populistisch, ein bisschen sehr einfach. Der Norden hat ganz gravierende Wirtschaftsprobleme, er hat Finanzprobleme. Es ist nicht nur die Frage der hohen Verschuldung, sondern es sind auch viele Projekte, Infrastrukturprojekte angestoßen worden, die müssen bezahlt werden. Das heißt, die Brisanz im Norden hat eine eigene Dynamik, hängt nicht nur mit der Abspaltung zusammen, wird jetzt natürlich durch die Unruhen in Ägypten, Tunesien noch sehr, sehr verschärft. Ich habe heute Früh ein paar Nachrichten von Khartum, aus Khartum bekommen, da hat man gestern angefangen zu demonstrieren im kleinen Stil, aber das wird weitergehen, und jetzt wird natürlich der große Sicherheitsapparat angeworfen werden. Es wird höchst wahrscheinlich sehr, sehr brutal reagiert werden. Wissen Sie, das ist eine Geschichte im Sudan. Da sind schon einige Regierungen wegen erhöhten Zucker- und Brotpreisen gestürzt worden. Das geht da manchmal sehr, sehr schnell.

    Raith: Und zwischen Nord und Süd gibt es ja nun auch noch strittige Fragen, die Grenzziehung, die Verteilung des Öls. Welche Bedingungen, Herr Schumann, müssen denn erfüllt sein dafür, dass diese beiden Staaten in Zukunft tatsächlich mehr oder weniger friedlich koexistieren?

    Schumann: Auf der Ebene der Menschen wird sich das schon regeln. Wissen Sie, da gibt es sehr, sehr viele Beziehungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Sudanesen da in große Konflikte sich verheddern werden. Die Politik wird natürlich das Sagen haben. Ich gehe davon aus, dass wir im Norden einen radikal-islamischen Staat sehen werden, im Süden einen sehr schwachen, einen sehr fragilen Staat, der sich jetzt natürlich erst mal bemühen muss, seine Verwaltungsinfrastruktur und andere Dinge aufzubauen, um da einigermaßen die Probleme, die Sie eben angesprochen haben, auch regeln zu können. Es ist ja nicht nur einfach, dass man eine Grenze festlegt, sondern die Grenze muss verwaltet werden, die muss kontrolliert werden. Da braucht man Regelungen des Grenzverkehrs. Solche Dinge müssen jetzt angegangen werden. Aber ich glaube, man muss auch Zeit lassen. Man muss den Menschen Zeit lassen, erst mal die Euphorie zu verdauen, und sich jetzt nicht an dem 9. Juli festhängen, sondern man braucht Zeit, um das einigermaßen über die Bühne zu bringen. Aber es bedarf natürlich auch einer sehr soliden vertrauensvollen Unterstützung seitens der internationalen Akteure.

    Raith: Sie sprechen es an. In welcher Pflicht steht denn jetzt die internationale Gemeinschaft, steht auch Deutschland, die Staatsgründung zu unterstützen?

    Schumann: Na ja, Deutschland hat ja nun zwei Rollen: einmal als neues Sicherheitsratsmitglied. Deutschland wird die Präsidentschaft des Sicherheitsrats zum 1. Juli übernehmen und wird dann natürlich auch die formelle Vollziehung der Unabhängigkeit durch den Sicherheitsrat begleiten. Wir brauchen eine neue politische Mission der Vereinten Nationen, eine politische Präsenz, um eben auch die noch ausstehenden Fragen zu begleiten. Aber vielleicht sollte man da, so wie wir im Fachjargon sagen, over the horizon auch Sicherheitskräfte bereitstellen, falls es eben doch zu Unruhen kommt. Auf der entwicklungspolitischen Seite gibt es bereits sehr gute Ansätze im Süden. Im Norden sollte sich auch die Bundesregierung durchringen, wieder sehr solide und vertrauensvolle Entwicklungszusammenarbeit anzufangen.

    Raith: Sollte es zu Unruhen kommen, haben Sie eben gesagt, einige Beobachter fürchten ja auch, dass die Teilung des Sudans jetzt zu einem neuen Krisenherd werden könnte. Sehen Sie diese Gefahr auch?

    Schumann: Sudan ist nach wie vor ein Krisenherd. Wissen Sie, das Referendum alleine und die Abteilung oder die Entstehung von zwei Staaten schafft ja noch nicht die Stabilität. Es ist die Stabilität, die aus diesen zwei Ländern rauskommt, die vielleicht für Ruhe sorgen kann. Da bin ich pessimistisch. Solange wie wir keine klar erkennbare Sicherheitspolitik für die gesamte Region von Somalia, Sudan und die neuen Nachbarländer dieser zwei neuen Staaten haben, da wird es natürlich immer schwierig bleiben. Die meisten Staaten in der Region, die meisten Regierungen in der Region überleben durch Instabilität und da wird es natürlich der neue Nord- und der neue Süd-Sudan sehr, sehr schwierig haben.

    Raith: ... , sagt Peter Schumann, der ehemalige UN-Koordinator für den Süd-Sudan. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Schumann.

    Schumann: Okay! Schönen Tag, Frau Raith.

    Raith: Auf Wiederhören!