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Sudan
Vorstufe zum Volksaufstand

Die Brotpreise sind gestiegen. Die Kaufkraft sinkt. Die Menschen gehen auf die Straße. Im Sudan sind Dutzende von Demonstranten bereits gestorben, die Polizei greift hart durch. Der "ewige" Präsident, Omar al-Baschir, gerät unter Druck.

Von Carsten Kühntopp | 19.01.2019
    Demonstranten gegen den Machthaber Baschir auf einem Markttplatz in Karthoum im Sudan
    Seit Mitte Dezember gibt es Proteste im Sudan gegen den Machthaber Baschir. (STRINGER / AFP)
    "Das Volk will den Sturz des Regimes", so diese Sudanesen, die kürzlich durch die Straßen der Millionenstadt Omdurman zogen. Laut Menschenrechtsorganisationen sind bisher mehrere Dutzend Demonstranten von der Polizei getötet worden, mehrere Hundert wurden festgenommen. Zwar kann bisher noch nicht von einem Volksaufstand die Rede sein; die Demonstrationen gelten dennoch bereits als die größte Herausforderung für Präsident Omar al-Baschir, seit dieser in einem Militärputsch vor knapp 30 Jahren an die Macht kam. - 2013 und 2016 hatte es ähnliche Protestwellen gegeben. Wie damals demonstrieren die Menschen auch heute zuallererst gegen die tiefe wirtschaftliche Krise des Landes, die mittlerweile schwerste seit Jahrzehnten. Nisreen Hamed, eine Hausfrau aus Khartoum:
    "Seit Anfang 2018 gibt es großes Leiden wegen der Preissteigerungen. Wenn wir zum Markt oder in den Supermarkt gehen, sind die Preise fast jeden Tag sehr hoch. Jetzt ist Winter, aber die Preise sind noch immer ungewöhnlich hoch. Was man an Gemüse für eine Woche braucht, kostet mindestens 800 bis 900 sudanesische Pfund."
    Anfang vergangenen Jahres hatte die Regierung die Subventionierung des Weizens gestrichen. Umgehend verdoppelten sich die Brotpreise. Bereits zuvor hatten die Sudanesen viel an Kaufkraft verloren. Denn die Regierung hatte die Währung mehrmals abgewertet und Geld gedruckt, um das Haushaltsloch zu stopfen. Prompt stieg die Inflation auf offiziell bis zu 70 Prozent. Für Unmut sorgte außerdem, dass Kraftstoffe und Lebensmittel immer wieder knapp wurden. Das Abheben von Bargeld ist faktisch beschränkt; um flüssig zu bleiben, horten die Menschen ihr Geld zuhause. Damit dessen Wert nicht weiter verfällt, tauschen sie in Dollar um. Die Devisenreserven des Sudan gelten nun als weitgehend erschöpft. Der Wirtschaftsexperte Al Tegany Al Tayeb:
    "Für die Regierung ist es weiterhin ein Wechselkurs-Problem – also die Differenz zwischen der offiziellen Rate und der Rate des Parallelmarktes. Aber in Wirklichkeit handelt es sich um ein Problem des allgemeinen Ungleichgewichts. Wenn die Regierung das nicht angeht, dann ist es so, also würde man Krebs mit Aspirin bekämpfen wollen."
    Der Wirtschaftsmotor Öl fehlt
    Als der Süden vor acht Jahren unabhängig wurde, verlor der Sudan drei Viertel seiner Ölvorkommen. Seitdem fehlt ein wirtschaftlicher Motor. Dafür herrschen Misswirtschaft und Korruption, die Clique rund um Baschir nimmt das Land aus. Mubarak Elfadel, Chef der oppositionellen Umma-Reform-Partei:
    "Diese Regierung hat nicht die Fähigkeit, die wirtschaftliche Krise zu überwinden, weil das letztlich eine politische Krise ist. Die Lösung ist folglich eine politische, und deshalb muss ein neues Regime geschaffen werden."
    Seit Baschirs Putsch gab der Staat stets das meiste Geld für den Sicherheitsapparat aus; die Ausgaben für Soziales, Bildung und Gesundheit wurden gekappt. Diejenigen, die jetzt auf die Straße gehen, haben deshalb nichts mehr zu verlieren. Gleichzeitig fehlen ihnen aber die Anführer; die Opposition ist zerstritten, zersplittert und schwach. - Präsident Baschir stützt sich weiterhin auf das Militär und auf die Islamisten. Stets benutzt er eine religiös geprägte Sprache. Dass er schon so lange regiert, sieht er als Beweis dafür, dass Gott mit ihm ist. Den Menschen, die Not leiden, hält er ein Zitat aus dem Koran entgegen, wonach Gott ihnen das Nötige geben werde. Einmal mehr, so Baschir, sei das Land Opfer einer ausländischen Verschwörung, die Demonstranten seien Verräter, Söldner, Häretiker:
    " Wer immer die Macht übernehmen will, ist dazu willkommen – aber das geht nur auf einem Weg: dem der Wahlurne, dem von freien und fairen Wahlen. Wer immer den Sudan regiert, muss durch das sudanesische Volk bestimmt werden, und ich grüße den, den die Menschen auswählen werden."
    Im kommenden Jahr stehen Wahlen an. Eigentlich darf Baschir nicht wieder antreten. Doch im Parlament haben seine Gefolgsleute bereits eine Verfassungsänderung angestoßen, mit der sie die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten abschaffen wollen. – Dass Baschir auch diese Protestwelle politisch überlebt, ist nicht ausgeschlossen. Doch die Solidaritätsbekundungen, die er diesmal aus den Sicherheitskräften und von Islamisten erhält, wirken eigentümlich verhalten. Gut möglich, dass Verbündete ihn fallen lassen. Baschir würde geopfert, damit dessen Regime wie bisher weitermachen kann.