Donnerstag, 25. April 2024

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Südafrika
"Es gibt immer noch große soziale Unterschiede"

In Südafrika beginnt heute mit der Trauerfeier für Nelson Mandela im Fußballstadion von Johannesburg eine Woche des Gedenkens und Abschiednehmens. Von Mandelas Vision einer geeinigten Regenbogennation sei Südafrika noch weit entfernt, sagt Christian Echle von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Johannesburg.

Christian Echle im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.12.2013
    Ein Mann hält ein Portraitfoto des verstorbenen Nelson Mandela.
    Trauernde versammeln sich vor dem Haus des verstorbenen Nelson Mandela. (Kim Ludbrook / picture alliance / dpa)
    Meurer: Wie viel bekommt man heute Morgen mit in der Stadt Johannesburg von der anstehenden Trauerfeier?
    Echle: Das hängt ganz davon ab, wo man wohnt. Johannesburg ist ja ziemlich groß. Es ist aber in der Tat so: Wenn man sich ein bisschen die Bilder anschaut in den sozialen Medien, auf Twitter und Facebook, dann gibt es Teile, die jetzt schon unglaublich bevölkert sind. Seit zwei Stunden sind die Tore des Stadions in Soweto geöffnet und man sieht, wie sich die Ränge füllen. Man sieht auch, wie die Bahnen und Busse, die zum Stadion fahren, wirklich vollkommen überfüllt sind. Wenn man aber hier in den nördlichen Bereichen der Stadt wohnt, wo auch das Büro der Stiftung ist, dann war es eigentlich ein ganz normaler Morgen und ein ganz normaler Weg zur Arbeit.
    Meurer: Vermutlich würden ja viele gerne im Stadion sein. Wer darf rein?
    Echle: Es dürfen alle rein. Das ist, finde ich, ein ganz gutes Konzept. Derjenige, der zuerst dort ist, kommt auch hinein. Wenn die 80.000 bis 90.000 Menschen drin sind, die das Stadion fassen kann, dann wird dicht gemacht und dann werden die Besucher umgeleitet auf drei andere Stadien hier in Johannesburg, wo das Ganze dann auch noch per Großbildleinwand übertragen wird.
    "Kein anderes Thema als der Abschied von Nelson Mandela"
    Meurer: Ist es wirklich so, Herr Echle, dass man sagen kann, ein ganzes Land nimmt heute Abschied? Alle Südafrikaner werden heute entweder im Stadion sein, vor einer Großleinwand stehen oder im Fernsehen und sonst wo dieses Ereignis mitverfolgen?
    Echle: Für alle Südafrikaner kann ich jetzt nicht gut sprechen. Ich gehe davon aus, dass schon auch ein paar ihrer Arbeit nachgehen werden. Bei uns im Büro ist fast jeder da, wir werden das aber natürlich im Fernsehen verfolgen. Insgesamt ist es so, dass ich schon mitbekommen habe, dass sich Menschen wirklich aus allen Teilen des Landes auf den Weg gemacht haben, auch schon mitten in der Nacht, um heute auch wirklich live dabei zu sein. Und natürlich gibt es seit vier Tagen in den Medien, in den Radios kein anderes Thema als den Abschied von Nelson Mandela. Von daher ist es sicher so, dass das Land heute innehält und ihm gedenkt und von ihm Abschied nimmt. Das kann man sicher sagen.
    Meurer: Was, denken Sie, Herr Echle, wird die Botschaft der Feier heute sein, des Gedenkens heute sein, die Erinnerung an das Ende der Apartheid, die Beschwörung, dass man in der Zukunft nicht sich gegenseitig bekämpft?
    Echle: In den letzten Tagen ist es in der Tat sehr viel um die Einigkeit des Landes gegangen: ein Südafrika, das die Rassenprobleme eines Tages überkommen wird. So weit sind wir noch nicht, aber das ist die Botschaft, die Nelson Mandela natürlich ganz stark geprägt hat. Und seine Weggefährten, seine Begleiter, seine Familie haben das in der Tat sehr betont, schon in den letzten Tagen bei Presseverlautbarungen, dass sie alle dazu aufrufen, dem Beispiel Mandelas zu folgen, sich seines Wirkens zu erinnern und daran zu arbeiten, dass Südafrika wirklich das eine Land, die Regenbogennation wird, von der er immer gesprochen hat und für die er gearbeitet hat.
    "Man sieht selten Tische, wo gemischte Hautfarben zu sehen sind"
    Meurer: Wer bedroht die Einigkeit in Südafrika?
    Echle: Ich weiß nicht, ob man wirklich von Menschen sprechen kann, die diese Einheit bedrohen. Ich glaube einfach, dass dieser Annäherungsprozess auch 20 Jahre nach den ersten demokratischen Wahlen einfach noch nicht so weit ist. Es gibt immer noch große soziale Unterschiede, es gibt auch immer noch Vorbehalte, auch in Johannesburg, was eigentlich eine relativ multikulturelle Stadt ist. Wenn man sich in den Restaurants umschaut, dann gibt es schon Tische, oder es gibt Restaurants, wo sowohl Schwarze als auch Weiße zu Besuch sind, aber man sieht selten tatsächlich Tische, wo gemischte Hautfarben zu sehen sind.
    Meurer: Ist das Rassismus, oder was ist das?
    Echle: Ich würde das nicht als Rassismus bezeichnen. Wie gesagt: Es sind Vorbehalte, es ist ein langsamer Prozess und es sind einfach, glaube ich, auch noch ein Stück weit fremde Lebenswelten. Es ist schon so, dass große soziale Unterschiede, wie gesagt, aufeinandertreffen, und ich denke, dass es damit viel zu tun hat.
    Meurer: Ist der ANC in einer Verfassung, dafür zu sorgen, dass es vor allem der schwarzen Bevölkerung besser geht?
    Echle: Nicht in ihrer Breite. Der ANC hat es geschafft mit der Politik der letzten 20 Jahre, dass sich eine Schicht von sehr reichen Schwarzen etabliert. Aber wenn man sich die ganzen Statistiken anschaut, ist es nach wie vor so, dass der Unterschied, was Durchschnittseinkommen, was Lebenserwartung betrifft, zwischen Schwarz und Weiß enorm ist. Da hat sich kaum etwas getan in den letzten 20 Jahren. Und alle Programme, die dafür ins Leben gerufen wurden, haben noch nicht wirklich verfangen.
    "Ich würde die Kernproblematik in der Bildung sehen"
    Meurer: Woran liegt das? Die Weißen wollen nicht abgeben, oder ein korrupter ANC, eine korrupte ANC-Führung will nichts für die breite Masse wirklich tun?
    Echle: Ich würde die Kernproblematik tatsächlich in der Bildung sehen. Im Apartheid-System war es so, dass die schwarze Bevölkerung systematisch benachteiligt wurde, was Bildung betraf, und es ist leider bis heute nicht gelungen, das Bildungssystem wirklich auf so Beine zu stellen, dass wirklich ausreichend qualifizierte Menschen dann als Berufsstarter irgendwo loslegen können. Das ist wirklich das Hauptproblem. Die Unternehmen suchen teilweise händeringend nach qualifizierten Leuten, egal welcher Hautfarbe, aber die gibt es hier einfach nicht. Und dann trägt natürlich noch dazu bei, dass es ein altes weißes Anspruchsdenken gibt, und ich denke, das sind so die Hauptgründe.
    Meurer: Wie äußert sich das weiße Anspruchsdenken?
    Echle: Wenn wir zum Beispiel gucken, wie so die Hausangestellten leben: Es gibt natürlich immer noch in den reichen Vororten von Johannesburg zahlreiche Weiße, die einfach da auf ihrem alten Grund und Boden leben, daran hat sich nichts getan, und die nach wie vor mit ihren schwarzen Hausangestellten leben, sei es der Gärtner, sei es die Maid, sei es die Köchin. Und das spiegelt natürlich immer noch so ein bisschen ein Apartheid-Bild wieder, auch wenn es gar nicht mehr so gehandhabt wird. Die Arbeitsbedingungen haben sich geändert, die Gehälter sind besser, aber es gibt immer noch diesen Lebensstil. Vielleicht ein Stück weit kann man das so nennen.
    Mandela als großes Vorbild für die Born-Free-Generation
    Meurer: Kurz noch: Spielt für die jüngere Generation, die schwarze Generation in Südafrika, Nelson Mandela noch die Rolle, oder ist das doch Historie und Freiheitsepos aus der Vergangenheit?
    Echle: Nein, auf keinen Fall. Es wird in der Tat im Moment sehr viel gesprochen über diese Born-Free-Generation, die die Apartheid gar nicht mehr miterlebt haben und jetzt nächstes Jahr zum ersten Mal wählen dürfen. Aber natürlich ist Nelson Mandela für die ein großes Vorbild. Sie wissen, was er getan hat, sie haben jetzt natürlich in den letzten Tagen die Dokumentationen gesehen, sie haben in der Schule über ihn gehört und sie haben ja auch ihn immer mal wieder noch aktiv gesehen, zumindest bis vor ein, zwei Jahren, und wissen um sein Verdienst für das Land und schätzen ihn dementsprechend auch und sehen ihn als Vorbild.
    Meurer: Heute ist die Trauerfeier für den verstorbenen ehemaligen Präsidenten Südafrikas, Nelson Mandela. Darüber habe ich gesprochen mit Christian Echle von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Johannesburg. Danke schön, Herr Echle, auf Wiederhören nach Johannesburg.
    Echle: Sehr gerne. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.