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Süßwasser im Meer begünstigt Sturmbildung

Metorologie.- Ist ein Wirbelsturm im Anmarsch, wird meist vorab dessen Zugbahn geschätzt - zum Beispiel von der US-Fachbehörde NOAA. Wesentlich schwieriger ist die Prognose, wann und in welchem Ausmaß sich Hurrikans verstärken. Fortschritte dabei verspricht eine neue Studie.

Von Volker Mrasek | 14.08.2012
    Ein Megastrom wie der Amazonas entlädt riesige Mengen Süßwasser ins Meer, die anschließend Richtung Äquator strömen. Den gleichen Effekt haben heftige Monsun-Regenfälle in Asien. In solchen Regionen mit einem verminderten Salzgehalt des Meerwassers können sich Wirbelstürme besonders verstärken. Zu diesem Schluss kommen Forscher aus den USA und aus China in einer neuen Studie, die die amerikanische Fachzeitschrift "PNAS" jetzt abdruckt.

    Es sei wichtig, nicht nur auf die Temperatur des Meeres zu achten, sondern auch auf seine Salinität, betonen die Autoren. Darunter der indische Ozeanograf Kartihk Balaguru. Er forscht am staatlichen Pacific Northwest Laboratory in den USA:

    "Die Karibik, der tropische West-Atlantik, der nördliche Indische Ozean, der West-Pazifik: Das alles sind Regionen, in denen Flüsse oder Starkregen viel Süßwasser eintragen. Es schiebt sich als Linse über das dichtere Meerwasser, und darunter entsteht eine Schicht mit höherem Salzgehalt. Wir nennen sie "Barriere". Denn sie verhindert, dass kaltes Wasser aus der Tiefe nach oben gelangt und sich mit dem warmen Oberflächenwasser mischen kann."

    Wenn ein Hurrikan im Atlantik seine Bahn zieht (oder ein Taifun im Pazifik), dann wird das Meer kräftig durchmischt. Und zwar so stark, dass kaltes Tiefenwasser in der Regel bis nach oben gelangt. Dadurch kühlt die Meeresoberfläche ab, so dass der Wirbelsturm nicht stärker werden kann. Denn seinen Energienachschub bezieht er nun mal aus einem warmen Ozean.

    In den Regionen mit starkem Süßwassereintrag dagegen ist die Situation anders. Dort ist das Meer stabil geschichtet. Auf die Süßwasserlinse folgt die Barriere-Schicht. Sie kann bis über 30 Meter dick sein und verhindert, dass Wirbelstürme an das kalte Tiefenwasser herankommen. Folglich bleibt das Meer an der Oberfläche warm und kann Hurrikans oder Taifunen zusätzliche Energie liefern. Dadurch werden die Stürme stärker.

    "Der Amazonas zum Beispiel hat seine stärksten Abflüsse jedes Jahr im Mai und Juni. Das heißt, die Süßwasser-Linse und die Barriere-Schicht im westlichen tropischen Atlantik bilden sich typischerweise dann, wenn die Hurrikan-Saison beginnt. In diesen Zonen ist die Intensivierung von Hurrikans dann begünstigt."

    Im nächsten Moment kommt Ozeanograf Balaguru auf Nargis zu sprechen, einen der verheerendsten Wirbelstürme, die jemals im Indischen Ozean aufgetreten sind. Dort spricht man von Zyklonen:

    "Nargis trat 2008 auf und forderte mehr als 130.000 Menschenleben. Nach der Katastrophe hat man sich die Bedingungen im Ozean noch einmal genau angeschaut. Damals wurde auch schon spekuliert: Barriere-Schichten im Meer könnten eine entscheidende Rolle bei der starken Intensivierung von Nargis gespielt haben."

    Die Autoren der neuen Studie haben diesen Verstärkungseffekt nach eigenen Angaben erstmals quantifiziert – durch die nachträgliche Analyse von mehr als 300 Wirbelstürmen aus den Jahren 1998 bis 2007. Das Ergebnis der Berechnungen: Über Süßwasserlinsen können Hurrikans, Taifune und Zyklone in ihrer Stärke um bis zu 50 Prozent zunehmen.

    Die Zugbahnen von Wirbelstürmen lassen sich heute ziemlich genau vorhersagen, ihre Stärke aber nicht so gut. Hier könnten die neuen Studienergebnisse von Nutzen sein, sagt Ping Chang, gebürtiger Chinese und Professor für Klimadynamik an der Texas A&M University in den USA:

    "Ich denke, unsere Studie macht deutlich, dass wir mehr Beobachtungsdaten aus den tropischen Ozeanen benötigen. Dass wir auch die Salinität beachten und unsere Messsonden entlang der Zugbahnen von Wirbelstürmen platzieren sollten. So können wir die Vorhersage ihrer Stärke vielleicht verbessern."

    Es gibt bereits ein umfassendes Netzwerk von Messsonden im Meer. Das Projekt nennt sich ARGO. Dabei kommen Instrumente auf Flößen zum Einsatz, die frei im Ozean driften und regelmäßig Temperatur und Salzgehalt des Wassers messen. 3000 von den Flößen gibt es insgesamt. Doch zu wenige von ihnen seien bisher für die Beobachtung von Wirbelstürmen im Einsatz, wie die Forscher bedauern.