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"Summa ist dann für die ganz hellen Köpfe"

Karl-Theodor zu Guttenberg soll in seiner Doktorarbeit abgeschrieben haben. Für die Arbeit erhielt er die Höchstnote summa cum laude. Wie juristische Dissertationen bewertet werden, erläutert der Kölner Rechtswissenschaftler Professor Hanns Prütting.

Hanns Prütting im Gespräch mit Jörg Biesler | 17.02.2011
    Jörg Biesler: Groß ist die Aufregung um die Dissertation von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, seit der Bremer Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano herausgefunden hat, dass Teile daraus zitiert sind, aber nicht als Zitate gekennzeichnet. Und es ist ein sportlicher Wettkampf unter den Medien entstanden, immer neue Stellen zu finden, die Minister zu Guttenberg aus Zeitungen, fremden Vorträgen oder der Fachliteratur abgeschrieben hat. Gleichzeitig gibt es Stimmen, die die Guttenberg'sche Dissertation grundsätzlich überbewertet finden. Die Höchstnote summa cum laude, meinte schon Andreas Fischer-Lescano, habe die Arbeit keineswegs verdient. Das wirft die Frage auf, wie juristische Dissertationen eigentlich zu bewerten sind und wie die Praxis ihrer Abfassung aussieht. Am Telefon ist der Kölner Rechtswissenschaftler Professor Hanns Prütting. Guten Tag, Herr Prütting!

    Hanns Prütting: Guten Tag, Herr Biesler!

    Biesler: Ihre Kölner rechtswissenschaftliche Fakultät ist ja eine der größten in Deutschland, mehr als 100 Dissertationen werden da im Jahr betreut. Wie kommt man eigentlich zu einem Urteil, zu einer Note, also auf welcher Grundlage wird bewertet, ob sie nun cum laude, magna cum laude oder summa cum laude ist, was die Höchstnote ja darstellt?

    Prütting: Ich selbst bewerte so eine Doktorarbeit in mehreren Schritten. Ich würde also, wenn ich eine Arbeit zur Bewertung auf meinem Schreibtisch liegen habe, zunächst mir die Formalia anschauen, ist sie äußerlich in Ordnung, wie ist der Aufbau, wie ist das Literaturverzeichnis, ist die Literaturverarbeitung umfassend oder fehlen wichtige oder spezielle Werke. Dieser äußere Rahmen einer Arbeit schafft einem schon einen gewissen ersten Eindruck über die Qualität. Die entscheidende Frage wäre dann natürlich schon die: Enthält so eine Arbeit eigene Ideen, ist die Arbeitsweise so, dass es eine vertiefte Argumentation ist? Das wären dann Dinge, die für die Bewertung entscheidend wären. Dabei müsste man vielleicht – bei rechtswissenschaftlichen Arbeiten jedenfalls – sagen, bei uns ist es typisch, dass man fremdes Material verarbeitet. Eine juristische Doktorarbeit ist nie eine Arbeit, die ohne Zitate von anderen Werken auskommt, im Gegenteil, es ist geradezu eigentlich das Wesen einer solchen Arbeit, dass man rechtsprechende Literatur, die bisher vorhanden ist, verarbeitet. Und ein – um noch mal auf die Note zu kommen – ein erhebliches Gewicht macht es nun aus, ob man den bisherigen Stand so verarbeitet und dann weiter überlegt, dass der Leser den Eindruck hat, das ist erhellend, das führt über das, was bisher geschrieben ist, hinaus, fasst es jedenfalls gut zusammen oder nicht.

    Biesler: Das heißt, ich fasse jetzt noch mal interpretierend zusammen, und Sie können dann sagen, ob das eine Summa-cum-laude-Zusammenfassung war oder ich nur cum laude bekomme: Es ist ganz normal in juristischen Dissertationen, dass der Kenntnisstand zusammengefasst wird, aber dass es manchmal auch gar nicht mehr ist, als dass man das zusammenfasst, was andere schon geschrieben haben, und dafür würde man ein cum laude schon bekommen können.

    Prütting: Das ist richtig.

    Biesler: Und das summa ist dann sozusagen für die ganz hellen Köpfe, die noch viel mehr leisten, eigene Ideen entwickeln, die tatsächlich dann auch vielleicht von den bewertenden Professoren für interessante Ideen gehalten werden. Wie viel Prozent davon in Köln sind denn summa cum laude von Ihren Dissertationen?

    Prütting: Summa-cum-laude-Arbeiten werden nach meiner Schätzung etwa in zehn Prozent der Fälle vergeben.

    Biesler: Kann man denn solche Noten überhaupt bestreiten, also kann man sagen, diese Arbeit hier hat auf jeden Fall kein summa cum laude verdient? Das ist ja immer eine Gemengelage, über die da entschieden wird.

    Prütting: Dieses Bestreiten der Note ist deshalb außerordentlich heikel, weil so eine Note ja ein Gesamteindruck beider Prüfer, also beider Gutachter im Schriftlichen und der mündlichen Leistung ist. Wenn man die Note ernsthaft bezweifeln will, müsste man zu einer sehr krassen Abweichung kommen. Ich bin mir sicher, wenn ich eine Arbeit vor mir liegen habe und der Erstgutachter würde sagen, oder die ist mit summa cum laude bewertet, und ich lese sie durch und ich halte sie für schwach cum laude oder vielleicht gar rite – rite ist noch darunter –, also wenn so ein krasser Unterschied wäre, würde ich mir zutrauen zu sagen, jawohl, diese Note halte ich für unrichtig. Aber wenn eine umfangreiche und fleißige Arbeit – und man hört ja hier von einer Arbeit von 475 Seiten – vorliegt, die irgendwie auch gewisse eigene Gedanken hat, da die Behauptung aufstellen, die ist falsch bewertet, scheint mir ein sehr kühne Behauptung.

    Biesler: Wir haben es ja hier offenbar auch mit einem Fall zu tun, wo Internetsuchmaschinen eine gewisse Rolle spielen, zumindest jetzt dabei die Stellen zu entdecken, die entlehnt sind, formuliere ich mal vorsichtig. Haben Sie den Eindruck, dass durch Google und das Internet sich insgesamt die Abfassung von wissenschaftlichen Arbeiten bei Ihnen verändert hat?

    Prütting: Nicht grundlegend, nicht grundlegend. Ich bin nicht so naiv, zu sehen, dass die Zahl solcher kleiner Übereinstimmungen in einzelnen Fällen, in einem Absatz oder ähnlichem, die es im Übrigen nach meiner Überzeugung schon immer gegeben hat, dass die nun nicht heute leichter entdeckt wird durch Google, aber die Art der wissenschaftlichen Arbeiten hat sich dadurch nicht wirklich verändert, weil die entscheidenden Punkte sind nicht das Abschreiben anderer Texte nach dem Motto, das und das gab's bisher, sondern das Entscheidende ist doch, ob man wirklich auch neue, noch nicht vorhandene Ideen mal entwickelt, ob man etwas Fantasie hat, über den Stand der Wissenschaft hinauskommt. Und da sehe ich nicht, wo man da abschreiben will.

    Biesler: Professor Hanns Prüttung, Leiter des Instituts für Verfahrensrecht an der Universität zu Köln. Das Gespräch haben wir kurz vor der Sendung aufgenommen.