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Sure 113 Verse 1-5
Die Angst vor der Magie

Die Welt der Araber zur Entstehungszeit des Islams im 7. Jahrhundert war voll von Magiern und Magierinnen, die beispielsweise auf Knoten bliesen. Die Menschen hatten Angst vor ihnen. Der Koran bemüht sich in der vorletzten Sure, diese Furcht zu bändigen und deutlich zu machen, dass Gott mächtiger ist als diese Zauberer.

Von Prof. em. Dr. Stefan Wild, Universität Bonn | 05.01.2018
    "Sprich: Ich suche Zuflucht zu dem Herrn des Morgengrauens
    Vor dem Übel dessen, was er erschaffen hat,
    Und vor dem Übel der Nacht, wenn sie sich verfinstert,
    Und vor dem Übel der auf Knoten blasenden Magierinnen
    Und vor dem Übel des Neiders, wenn er neidet."
    Das sind die Verse der Sure 113, der vorletzten Sure des Korans. Es handelt sich um eine Schutz-Sure. Der Text wird durch den göttlichen Befehl: "Sprich!" eingeleitet. Der Prophet Mohammed, der diese Sure rezitiert, hofft darauf, dass Gott, hier "Herr des Morgengrauens" genannt, ihn vor den bedrohlichen Mächten der Nacht bewahrt. Und zwar indem er jeden Tag das Morgenlicht erscheinen lässt (Vers 1).
    Die Sendereihe "Koran erklärt" als Multimediapräsentation

    Die nächtliche Finsternis in Mekka und Medina wurde zur Zeit des Propheten einzig durch Mond und Sterne oder durch kleine Öllämpchen in den Häusern aufgehellt. Sie war gefährlich. Die nächtliche Finsternis beschwört Unglück, Versuchung und Böses herauf (Vers 3). Dunkelheit assoziiert der Koran oft mit Unglauben oder Abfall vom Glauben. Gott hingegen "ist das Licht der Himmel und der Erde" (Sure 24:35), wie es an anderer Stelle im Koran heißt.
    Stefan Wild sitzt in einem Sessel vor Bücherregalen. 
    Stefan Wild, inzwischen emeretiert, war lange Jahre Professor für Semitische Sprachen und Islamwissenschaft an der Uni Bonn und machte sich international einen Namen als Koranexperte. (Deutschlandradio / Thorsten Gerald Schneiders)
    Der zweite eingangs zitierte Vers spricht unbefangen von "dem Übel", das Gott – erschaffen habe. Spätere Theologen fragten sich: Sollte Gott wirklich auch das Böse erschaffen haben? Manche wollten diesen Koranvers aus dogmatischen Gründen auch mit einer im Arabischen minimalen Textänderung radikal umdeuten. Statt "Vor dem Übel, das Er erschaffen hat" lasen sie: "Vor einem Übel, das Er nicht erschaffen hat". Diese Änderung ging jedoch nie in den kanonischen Korantext ein.
    Die auf Knoten blasenden oder spuckenden Magierinnen, die mit bösen Absichten agierten, (Vers 4), gehören zum weiteren Inventar der nächtlichen Dunkelheit im damaligen Mekka und Medina. Solcher Zauber ist charakteristisch für die Religionen der Spätantike.
    Eine früh-islamische Legende berichtet, dass Juden aus Medina einen Zauberer und dessen Töchter dazu veranlasst hätten, den Propheten Mohammed zu "verzaubern". Erst zwei Engel hätten diesen Schadenzauber lösen können.
    Die islamische Theologie achtete zwar darauf, dass letztlich alles von Gott kommen müsse. Der islamische Volksglaube jedoch kümmerte sich nicht immer um die Theologie. Vor dem "Übel des Neiders", wie es im 5. Vers heißt, musste sich auch der Prophet hüten.
    Der Volksglaube ob jüdisch, christlich oder muslimisch hat das "böse Auge" des Neiders immer gefürchtet. Unglück bei der Ernte, Erkrankung von Mensch und Tier, der frühe Tod eines Kindes, jegliche Unbill konnte durch den "bösen Blick" eines anderen hervorgerufen sein.
    Mit dem Bild einer ausgestreckten Hand aber ließ er sich abwehren. Diese Hand wurde und wird oft als die Hand der Fatima, der Tochter des Propheten Mohammed, interpretiert. Meist ist diese Hand ein Amulett aus Silber mit blauem Auge darauf.
    Die Furcht vor der Dunkelheit und dem "bösen Blick" waren und sind weltweit beobachtbare Phänomene – durch fast alle Kulturen, Religionen und Kontinente hindurch.
    Mancher frühe muslimische Gelehrte wollte die Sure 113 nicht als zum Koran gehörend anerkennen. Diese Meinung hat sich nie durchgesetzt. In keiner Koran-Ausgabe fehlt diese Sure.