Donnerstag, 28. März 2024

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Sure 12 Verse 54-55
Die Josefs-Geschichte im Koran

Der Prophet Josef ist ein Sohn von Jakob, den die jüdische Tradition als einen der Stammväter der Zwölf Stämme Israels verehrt. Der Koran widmet sich Josef ungewöhnlich ausführlich. Die ganze Sure 12 ist nach ihm benannt. Entsprechend angeregt wurde die Bedeutung der Verse über ihn diskutiert. Wichtig dabei war auch die heute so heikle Frage nach dem Verhältnis von Staat und Religion im Islam.

Von Prof. Dr. Johanna Pink, Universität Freiburg | 27.05.2016
    "Der König sagte: ‚Bringt mir Josef, damit ich ihn für mich persönlich ausersehen kann.‘ Als er ihn dann gesprochen hatte, sprach er: ‚Siehe, ab heute bist du bei uns hoch angesehen und vertrauenswürdig.‘ Josef sagte: ‚So setze mich an die Spitze der Vorratshäuser des Landes! Siehe, ich bin achtsam und wissend.‘"
    Die Verse entstammen der längsten erzählenden Passage des Korans, der zwölften Sure, die sich der Figur des Josef aus dem Alten Testament widmet und seinen Namen trägt.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Sie hat große Ähnlichkeit mit der biblischen Geschichte des Josef, aber identisch ist sie nicht. Manches führt sie aus, das im Alten Testament nicht enthalten ist, und anderes fehlt. Teile der Geschichte fasst die Sure lediglich knapp zusammen, offenbar in der Annahme, dass den Zuhörern die Erzählung bekannt ist.
    So verhält es sich auch mit der Begegnung zwischen dem Pharao, der hier als König Ägyptens vorgestellt wird, und Josef. Am Ende wird Josef zum Regenten Ägyptens ernannt. Die Sure liefert keine Details, und das eröffnet den Zuhörern und Exegeten viel Spielraum für Ausschmückungen und Auslegungen.
    Johanna Pink
    Johanna Pink, Inhaberin des Lehrstuhls für Islamwissenschaft und Geschichte des Islam an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (privat)
    So schreibt die Überlieferung Ibn ʿAbbās, einem Cousin des Propheten, eine ausführliche Schilderung des Ereignisses zu. Demnach legt der Pharao Josef nach biblischem Vorbild eine Goldkette um den Hals und bekleidet ihn mit einem Ehrengewand.
    Der Wagen, den Josef im Alten Testament besteigt, wird bei Ibn ʿAbbās durch ein gesatteltes Pferd ersetzt. Das kam wohl der Vorstellungswelt seiner Zuhörer auf der arabischen Halbinsel eher entgegen, ebenso wie der arabische Name, mit dem viele Überlieferungen den ägyptischen König versehen.
    Fundamentalistische Exegeten weisen solche im Koran nicht genannten Details als überflüssige Spekulationen zurück. Sie lehnen sie auch wegen ihres jüdischen oder christlichen Ursprungs als unzuverlässig ab.
    Dafür diskutieren sie eingehend die Frage, wie ein Prophet – denn als solchen stufen die Muslime Josef ein – sich eigentlich darauf einlassen könne, für einen heidnischen Herrn zu arbeiten, ja, ihm dies sogar anzubieten. Das scheint aus ihrer Sicht nur dadurch erklärlich, dass Josef das Amt als Chance gesehen habe, den wahren Glauben zu verbreiten oder zumindest Gerechtigkeit walten zu lassen und den Armen zu helfen.
    Warum aber machte der Pharao Josef dieses Angebot überhaupt? Die Geschichte lässt sich so lesen, wie es die Bibel andeutet, nämlich dass der Herrscher die enge Beziehung Josefs zu Gott erkannt hat und ihm deswegen eine so hohe Stellung verleiht.
    Sie lässt sich aber auch so verstehen, dass es Josefs Tugenden, sein Wissen, seine Vertrauenswürdigkeit und seine Güte sind, die die denkbar höchste Belohnung erhalten – schließlich weist Josef selber darauf hin, achtsam und wissend zu sein.
    Es wären also keine prophetischen, sondern menschliche Eigenschaften, die Josef zu seinem Amt verhelfen. Solche Eigenschaften aber sind grundsätzlich für alle Menschen erreichbar, und damit kann die Geschichte auch erzieherisch genutzt werden.
    Zum Beispiel betont der Korankommentar des indonesischen Religionsministeriums Josefs Loyalität zum Herrscher, die von diesem belohnt werde; die Figur des Josef wird damit als Rollenvorbild für einen treuen Staatsdiener interpretiert.
    Überhaupt nutzen moderne Korankommentatoren die Verse gern, um den Wert des Dienstes an der Nation zu unterstreichen: Wer dessen fähig sei, der dürfe nicht nur, sondern der müsse sogar seine Dienste von sich aus anbieten, so wie es Josef getan habe.
    Er hätte ja auch einfach Geld oder andere persönliche Vorteile fordern können; stattdessen habe sich Josef aber zur Verfügung gestellt, um die Hungernden mit Nahrung zu versorgen. Daran, so sind sich die meisten heutigen Exegeten einig, sollten sich die Muslime ein Beispiel nehmen.
    Die Audioversion musste aus Sendezeitgründen leicht gekürzt werden.