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Sure 15 Vers 2
Was Menschen im Jenseits denken werden

Die Frage, was oder ob noch etwas nach dem Leben kommt, beschäftigt alle Religionen. Auch der Koran gibt dazu Auskunft. Doch wie sind solche Passagen zu verstehen, wenn man sie wissenschaftliche betrachtet? Alles Humbug? Werden sich Nichtmuslime zum Beispiel wirklich dereinst wünschen, Muslime gewesen zu sein?

Von Prof. Dr. Walid Saleh, Universität Toronto, Kanada | 20.05.2016
    "Es mag wohl sein, dass diejenigen, die ungläubig sind, es dereinst gern hätten, wenn sie in ihrem Erdenleben Muslime gewesen wären."
    Der Anfang von Sure 15 klingt zunächst nach einem vertrauten Koranthema: Aufmüpfige und Ungläubige werden irgendwann einen Tag erleben, an dem sie ihre Unnachgiebigkeit und ihre Weigerung, an Gott zu glauben, bedauern werden. An jenem Tag werden sie sich wünschen, doch gläubig gewesen zu sein und ein rechtschaffenes Leben geführt zu haben.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Die Syntax und die Formulierungen im Arabischen aber kommen bei dieser Übersetzung nicht zum Tragen. Wörtlich besagt der Vers nämlich: "Die Ungläubigen könnten sich manchmal (oder selten) wünschen, Muslime gewesen zu sein."
    Die gängige Übersetzung richtet sich nach dem Tafsîr - also der Interpretationstradition im Islam. Danach besagt der Vers eben, dass alle Ungläubigen eines Tages, wenn sie von den Toten auferstehen, ihren Unglauben bedauern werden. Und so übersetzt auch Rudi Paret, der große deutsche Koranwissenschaftler, den Vers wie eingangs zitiert.
    Prof. Walid Saleh.
    Walid Saleh ist gebürtig in Kolumbien und studierte unter anderem auch an der Universität Hamburg. (priv. )
    al-Tabarî ist einer der frühesten Korankommentatoren. Er hat den Grundstein für die traditionelle Interpretation gelegt und den Zusammenhang mit der Situation der Menschen im Jenseits hergestellt. al-Tabarî schreibt, nach der Auferstehung erfolge Gottes Urteil. Die Geretteten kämen ins Paradies, die Verdammten in die Hölle. Auch Muslime, die schwere Sünden begangen hätten, würden so wie die Ungläubigen in die Hölle geschickt.
    In der Hölle, so al-Tabarî weiter, begannen die Ungläubigen alsbald, die verurteilten Gläubigen zu verspotten. Dies habe Gott missfallen. Durch seine Gnade zum Handeln bewegt, erlöste er die sündigen Muslime und errettete sie. Sodann hätten die Ungläubigen ihren Wunsch geäußert.
    Wie lässt sich nun aber die grammatikalische Konstruktion des Satzes, wonach die Ungläubigen sich nur manchmal wünschen, Gläubige gewesen zu sein, mit der traditionellen Auslegung in Einklang bringen, wonach sie alle einmal zu diesem Wunsch kommen? Waren die klassischen Gelehrten unfähig, sich mit dem Vers kritisch auseinanderzusetzen?
    Es gibt einen Korankommentator, der zur gleichen Zeit wie al-Tabarî gelebt hat. Sein Name ist al-Mâturîdî. Er erkannte das Problem und wandte sich mit rationalen Argumente gegen die Auslegung. Es sei sehr weit hergeholt, argumentierte al-Mâturîdî, dass sich die Ungläubigen nach der Vergebung der sündigen Muslimen nur manchmal danach gesehnt hätten, Monotheisten und Muslime gewesen zu sein. Man würde doch erwarten, dass sich jede vernünftige Person in diesem Moment wünsche, anders gehandelt zu haben.
    al-Mâturîdî führte aus, es gehe also in dem Vers vermutlich gar nicht ums Jenseits, sondern um den Zustand der Menschen im Diesseits: Darum, wie ein Nicht-Gläubiger sich möglicherweise manchmal flüchtig mit dem Gedanken des Glaubens und des Monotheismus trage, nur um dann wieder in den Bequemlichkeitszustand dessen zurückzukehren, an das er eh schon glaube. So verharrten viele Menschen aus Angst, die Annehmlichkeiten des Lebens zu verlieren oder etwas Begehrenswertes zu versäumen, in ihrer Weigerung zu konvertieren.
    Wie al-Mâturîdî weiter ausführt, bezieht sich der Vers konkret auf den Zustand jener Menschen in Mohammeds Umfeld, die sich der neuen muslimischen Gemeinde nicht anschließen wollten. Somit wird hier also die Schwierigkeit thematisiert, die eigenen Angewohnheiten und Vorstellungen zu ändern. Der Vers ist eine schlichte Erinnerung daran, dass Glaube beschwerlich ist und einen gewissen Mut erfordert. Einen Mut, den offenbar nur eine Minderheit aufbrachte - zumindest zu Lebzeiten des Propheten Mohammed.