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Sure 17 Vers 31
Der Kindesmord

In vorislamischer Zeit kam es auf der arabischen Halbinsel vor, dass Kinder getötet wurden, wenn man sie nicht haben wollte. Der Koran nimmt dazu in Sure 17 Vers 31 Stellung. Islamische Gelehrte nutzen die Passage heute, um daraus auch Rückschlüsse auf die Frage nach Abtreibungen zu ziehen.

Von Prof. i.R. Dr. Adel Theodor Khoury, Universität Münster | 12.08.2016
    "Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung. Ihnen und euch bescheren Wir doch den Lebensunterhalt. Sie töten ist eine große Sünde."
    Der Koran gebietet den absoluten Respekt des Lebens. Sein allgemein gültiger Grundsatz steht in Sure 5 Vers 32 und lautet: "Wenn einer jemanden tötet, jedoch nicht wegen eines Mordes oder weil er auf der Erde Unheil stiftet, so ist es, als hätte er die Menschen alle getötet".
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    So verbietet der Koran mit Entschiedenheit den Mord (Sure 4:29), und er mahnt, wie im eingangs zitierten Vers, die Eltern, ihre Kinder nicht aus Verarmung zu töten, denn Gott wird für sie und für die Kinder sorgen.
    Der Kindesmord ist ein großer Verlust für die Eltern, weil sie ohne richtiges Wissen ihre Kinder töten, wie es im Koran heißt (Sure 6: 140). Er sei auch eine schlimme Verordnung der Satane bzw. der Götzen (6: 137).
    Porträt von Adel Theodor Khoury vor weißem Hintergrund.
    Khoury ist Koran-Übersetzer und -Kommentator. Er lehrte an der Katholischen Fakultät der Uni Münster Religionswissenschaft. (priv.)
    Es ist hier nicht eindeutig klar, ob es sich um Kindestötung als Opfergabe an die Götter handelt. An anderer Stelle spricht der Koran davon, dass die Heiden ihre Kinder aus Angst vor Verarmung töteten (6: 151; 60: 12) oder die ihnen geborenen Mädchen verscharrten (81: 8-9), wohl weil die Kosten ihrer Erziehung und Verheiratung einfach zu hoch sind.
    Ein besonderes Problem stellt sich in Bezug auf die Abtreibung. In der klassischen Zeit im Mittelalter gründeten die Rechtsgelehrten ihr Urteil auf die damaligen Kenntnisse vom Entstehen des Menschen im Schoß seiner Mutter.
    Sie gingen davon aus, dass der empfangene Embryo erst nach 120 Tagen zu einem beseelten Fötus und damit zu einem Menschen wird. Daher betrachteten sie nur den Fötus als absolut schutzwürdig, während das werdende Leben vor dem Einhauchen der Seele in Ausnahmefällen bzw. aus einem triftigen Grund geopfert werden durfte.
    Ausgehend vom heutigen Stand der ärztlichen Kenntnisse vom werdenden Leben vertreten die modernen muslimischen Gelehrten in ihrer Mehrheit eine strenge Auslegung der Bestimmungen der traditionellen Gesetze. Sie treten für die unbedingte Schutzwürdigkeit des werdenden Lebens ein und lassen einen Schwangerschaftsabbruch nur für den Fall zu, in dem es um die Rettung des Lebens der Mutter geht.
    So überwiegt auch die Meinung, dass das menschliche Leben vom Zeitpunkt der Zeugung geschützt werden soll. Denn ein menschliches Leben sei von Anfang an Schöpfung Gottes, heißt es im Koran. (23: 12-14; 56: 57-59). Und jeder Mensch, auch in diesem Stadium der Entwicklung und des Wachsens, sei nicht der Verfügungsgewalt des Menschen, nicht einmal der Eltern, unterworfen, sondern er sei Sklave, Diener und Eigentum seines Schöpfers. Daher besitze niemand das Recht, ihn nach eigenem Gutdünken zu töten.
    Ein Schwangerschaftsabbruch sei also nur dann zulässig, wenn mit Sicherheit feststeht, dass das Leben der Mutter in Gefahr ist, wenn dabei keine andere Möglichkeit besteht, das Leben der Mutter zu retten als durch die Abtreibung, und endlich wenn der Eingriff nach ärztlichem Dafürhalten auch den gewünschten Erfolg bringt. Der Grund für diese Ausnahme sei das Prinzip, dass man von zwei Übeln das geringere zu wählen habe.
    Die Kinder, geborene und ungeborene, stehen somit nach dem Koran unter dem besonderen Schutz Gottes, ihres Schöpfers und Wohltäters.