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Sure 2 Vers 152
Die Kraft des Gedenkens

Interessiert sich Gott überhaupt für den Menschen? Sure 2 Vers 152 zufolge ja. Wer im Alltag an Gott denkt und ihm dankbar ist, bekommt demnach auch etwas von ihm zurück. Nach den ethischen Vorstellungen des Korans zielt das sogar nicht nur auf den Einzelnen ab, sondern auf weit mehr: Es geht um Frieden für die Menschheit.

Von Dr. Mohammed Rustom, Carleton University, Ottawa, Kanada | 29.07.2016
    "So gedenkt meiner, damit (auch) ich euer gedenke, und seid mir dankbar und nicht undankbar!"
    Eine Aussage, die vielen frühen Korankommentatoren zugeschrieben wird, besagt: "Gott gedenkt, wer immer ihm gedenkt, erhöht, wer immer ihm dankbar ist, und bestraft, wer immer auch an ihn nicht glaubt."
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Einigen Koraninterpretationen zufolge gedenkt man Gott*, indem man ihn preist oder ihm Gehorsamkeit erweist. Im Gegenzug gedenkt Gott einem durch Vergebung.
    Ein verbreitetes Mittel, um diesen Vers zu verstehen, ist der Hinweis auf einen berühmten "Hadith qudsi" - einen sogenannten heiligen Hadith, eine Aussage Gottes, die der Prophet Mohammed zwar zitiert hat, die aber nicht Eingang in den Koran gefunden hat.
    Mohammad Rustom in einem Park unter Bäumen, im Hintergrund ist ein See. 
    Mohammed Rustom lehrt als Associate Professor in Kanada. (priv. )
    Dieser besagte "Hadith qudsi" lautet: "Gott, der Erhabene, sagt: ‚Ich bin, wie mein Diener es von mir annimmt. Und ich bin mit ihm, wenn er meiner gedenkt. Gedenkt er meiner in seinem Inneren, gedenke ich seiner in meinem Inneren. Gedenkt er meiner in einer Gruppe, gedenke ich seiner in einer besseren Gruppe. Nähert er sich mir um eine Handbreit, nähere ich mich ihm um eine Elle. Nähert er sich mir um eine Elle, nähere ich mich ihm um einen Klafter. Kommt er mir gehend entgegen, komme ich ihm laufend entgegen."
    Einige Korankommentatoren meinen, obwohl der eingangs zitierte Koranvers anzudeuten scheint, dass Gott seinem Diener erst gedenken wird, wenn dieser ihm gedenkt, ist es in Wahrheit so, dass der Diener überhaupt erst kraft Gottes Gedenkens seiner die Fähigkeit hat, Gott zuerst zu gedenken. Wenn er Gott dann aber gedenkt, wird dieser sich auf noch speziellere Weise an ihn erinnern, als er es allgemein mit seinen Kreaturen macht.
    In der Sprache der spirituellen Alchemie wird das Gedenken Gottes als Elixier beschrieben. Es verwandelt das Basismetall der Seele am Ende in reines Gold. Wird ein Elixier auf Kupfer angewandt, gestaltet es das Kupfer mit der Zeit in reines Gold um. Eine ähnliche Wirkung wird erzielt, wenn sich Gottes Name in der Seele seines Dieners durch den Akt des Gedenkens fest verwurzelt. Der göttliche Name wirkt wie ein Elixier für die Seele und wandelt sie nach und nach von einer dunklen, trüben Substanz in eine reine, leuchtende und unveränderliche Substanz um.
    Der Koranvers 2:152 kann sich auch darauf beziehen, dass sich kraft Gottes Gedenkens der Menschen Frieden entfaltet. Eine entsprechende Auslegung besagt: "Es gibt Menschen, deren Herzen Frieden gefunden haben, weil sie Gott gedenken. Und es gibt Menschen, deren Herzen Frieden gefunden haben, weil Gott ihrer gedenkt."
    Auch der Versabschnitt "und seid mir dankbar" steht im Kontext des Gedenkens Gottes. Jemand, der sich der Gnaden seines Wohltäters vergewissert, wird ihm nämlich mit höherer Wahrscheinlichkeit für diese Gnaden dankbar sein. Und indem man Gott dankbar ist, nährt man eine positive seelische und geistige Haltung zu all den Segnungen, die einem gewährt wurden - selbst wenn sie im Alltag oft unbewusst bleiben wie die einfache Tatsache des Atmens.
    Die geistige Tugend der Dankbarkeit gegenüber Gott ist so essenziell, dass viele Koranexegeten sie als eine der bestimmenden Eigenschaften des Islams hervorgehoben haben. Sie verbanden sogar den Begriff für "Unglaube”, der am Ende dieses Verses im arabischen Original benutzt wird, etymologisch mit der Vorstellung, Gott undankbar zu sein, beziehungsweise mit der "Undankbarkeit” gegenüber Gott.
    *zum besseren Hörverständnis dieses Textes steht das Wort "gedenken" an einigen Stellen entgegen der üblichen grammatikalischen Regelung nicht mit dem Genetiv, sondern mit dem Dativ.