Donnerstag, 18. April 2024

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Sure 2 Vers 238
Der Koran als Wegbereiter der Astronomie

Die alten Araber sind bekannt für ihre bedeutenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse im Mittelalter. Beispielsweise haben sie Grundlegendes im Bereich der Astronomie geschaffen. Gleichzeitig aber gilt ihre Religion, der Islam, heute vielen als wissenschaftsfeindlich. Doch gerade der Koran hat eine Reihe von Forschungen erst inspiriert.

Von Prof. Dr. George Saliba, Columbia University, New York | 03.06.2016
    "Haltet die Gebete ein, auch das mittlere Gebet!"
    Von frühester Zeit an sorgte die Formulierung "das mittlere Gebet" für Diskussionen. Praktizierende Muslime verrichten fünf Gebete am Tag: nach Sonnenaufgang, nach der Mittagsstunde, am Nachmittag, nach Sonnenuntergang und am Abend. Welches davon ist also das mittlere Gebet?
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Selbst die Genossen des Propheten vertraten unterschiedliche Auffassungen. Das heute allgemein akzeptierte Verständnis, wonach das Nachmittagsgebet gemeint sei, erzielten erst spätere Generation.
    Der Überlieferung zufolge hat der Prophet Mohammed das so festgelegt. Demnach beginnt der Zeitraum, in dem man das Nachmittagsgebet verrichten soll, wenn ein Schatten genauso lang ist wie das Objekt, das ihn wirft. Und der Zeitraum endet, wenn der Schatten doppelt so lang ist.
    Porträt von George Saliba
    George Saliba lehrt an der renommierten Columbia University in New York Islamische Naturwissenschaften. (priv.)
    Diese Definition bedurfte jedoch genauerer Bestimmungen. Damit kommt die Wissenschaft ins Spiel. Die Muslime mussten diverse Aspekte gänzlich neu erfinden. Zwar haben frühere Zivilisationen die islamischen Wissenschaften stark inspiriert, bei diesem Problem waren sie aber keine Hilfe. Niemand hatte bislang seine Gebetszeiten durch Schattenlängen bestimmt.
    Schatten ist im Grunde ein astronomisches Phänomen. Der eingangs zitierte Koranvers wurde damit zu einem Türöffner für die Astronomie.
    Die Muslime stellten zunächst fest, dass Mohammeds Regelung nur nahe Medina angewandt werden konnte. Der Breitengrad, auf dem die Stadt lieg, befindet sich kurz vor der Grenze des nördlichen Wendekreises bei ungefähr 24 Grad 28 Minuten.
    Als die ersten Muslime in nördlichere Gegenden wie Damaskus kamen, fanden sie rasch heraus, dass dort der Schatten eines Gegenstands an manchen Tagen im Spätherbst und Frühwinter nie gleich lang war wie die Höhe eines Objekts. Die Sonne steht zu dieser Zeit nämlich zu tief und wirft folglich einen viel längeren Schatten. Menschen in Nordeuropa kennen das.
    Was sollte ein Muslim also tun? Eines der Pflichtgebete aufgeben? Natürlich nicht. Die Lösung lag darin, die Überlieferungen des Propheten etwas zu modifizieren.
    Die heute allgemein anerkannte Regelung besagt: Der früheste Zeitpunkt für das Nachmittagsgebet ergibt sich, wenn der Schatten so lang ist, wie der Schatten irgendeiner Person zur Mittagsstunde plus deren Größe.
    Das bedeutete allerdings, man musste stets die Länge des Mittagsschattens bestimmen - auch an regnerischen und wolkigen Tagen. Die Grundlagenastronomie lehrte die frühen muslimischen Beobachter, dass der Mittagsschatten eine mathematische Funktion aus der Höhe der Sonne zur Mittagsstunde und dem Breitengrad der jeweiligen Ortschaft ist, wo die Schattenlänge gesucht wird.
    Während der Breitengrad einer Ortschaft immer gleich blieb, veränderte sich die Höhe der Mittagssonne von Tag zu Tag. Sie musste also für jeden Tag neu berechnet werden.
    So wurden schon früh mathematische Lösungen, einschließlich Gesetze der sphärischen Trigonometrie, und Beobachtungstechniken entwickelt, bloß um solche Werte zu bestimmen.
    So fanden die Muslime unter anderem heraus, dass die Schiefe der Ekliptik circa 23,3 Grad beträgt. Dieser Wert gibt die Neigung der Erdachse an. Er wird noch heute allgemein benutzt und unterscheidet sich deutlich von dem Ergebnis, das die Alten Griechen und die Alten Inder überliefert hatten.
    Viele solcher von Muslimen ermittelten Werte stellen bis heute Grundparameter der modernen Astronomie dar, viele ihrer entwickelten astronomischen Techniken sind bis heute elementar.
    So wie es scheint, wurden all diese Erkenntnisgewinne durch einen ziemlich kurzen Vers im Koran angestoßen.