Donnerstag, 28. März 2024

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Sure 2 Vers 30
Eine mystische Sicht auf die Schöpfung des Menschen

Es gibt verschiedene Ansätze bei der Interpretation des Korans. Dazu gehören mystische Herangehensweisen. Sie unterscheiden sich zum Beispiel dadurch, dass sie den spirituellen Gehalt der Verse erfassen und sich die Bedeutung hinter den konkreten Worten erschließen wollen.

Von Prof. Dr. Enes Karić, Universität Sarajevo, Bosnien und Herzegowina | 09.06.2017
    "Und als dein Herr zu den Engeln sprach: 'Siehe, ich will auf der Erde für mich einen Sachwalter einsetzen', da sagten sie: 'Willst du auf ihr einen einsetzen, der auf ihr Verderben anrichtet und Blut vergießt? Wir verkünden doch deinen Lob und rühmen dich.' Er sprach: 'Siehe, ich weiß, was ihr nicht wisst.'"
    Es gibt laut dem Koran zwei Arten von Gottes Welten: die erste Art umfasst Gottes Welten in seinen Worten (kalâm allâh), und die zweite Gottes Welten in seinen Schöpfungen - dem Universum, dem Kosmos ('âlam allâh). Die Welten in seinen Worten sind ewig, Kosmos und Universum vergänglich.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Mehrere Male lässt der Koran ausrichten, Gott offenbare sich außer durch seine Sprache auch durch sein permanentes Erschaffen von Natur und Kosmos. In diese Welten tritt der Mensch ohne eigenen Willen ein.
    Die Szene in Vers 30 der Sure zwei vergegenwärtigt die an die Engel gerichtete göttliche Erzählung. Gott verkündet vor allen im Himmel und auf der Erde, er wolle einen Sachwalter - den Menschen - auf der Erde einsetzen. Und so erscheint es, als sei die Schöpfung des Menschen, die anschließend geschieht, die Folge seines erhabenen Sprechens über ihn. Tatsächlich belegen mehrere koranische Aussagen: Das Wort Gottes über den Menschen ging dem Menschen selbst voran.
    Enes Karić.
    Enes Karić ist Schriftsteller und lehrt als Professor für Koranexegese. (priv.)
    Der Mensch trat somit mit seiner Existenz in eine Erde ein, die vor ihm erschaffen wurde. Er wurde Teil der Landschaften, und anhand dieser Landschaften beobachtet er nun die mannigfaltigen Geheimnisse, die der Sternenhimmel über ihm verbirgt.
    So wie die Welt den Menschen einfasst und verschiedene allumfassende Horizonte ihn umschlingen, umgeben ihn die Geschichten und Erzählungen im Koran, in der Tora, im Zabûr, also dem heiligen Buch, das nach islamischer Lehre dem Propheten David offenbarte wurde, sowie im Evangelium und in anderen heiligen Schriften.
    Der Koran weist darauf hin, dass sich zwischen seinen Buchdeckeln eine Menge göttlicher Erzählungen beziehungsweise Offenbarungen über den Menschen befinden: über den "Vater" oder "Urvater" der Menschheit, Adam, gefolgt von Offenbarungen über die "Söhne Adams", also über die ganze Menschheit.
    Was will nun der Koran dem Menschen mit der Verkündung von zwei Arten von Welten, jener in Gottes Worten und jener in Gottes Schöpfung, mitteilen?
    Nach Ibn 'Arabî, dem großen Mystiker des Islams, hat es bloß den Anschein, dass es zwei Arten von Welten gebe. In Wirklichkeit gibt es ihm zufolge nur eine einzige Realität, eine einzige endgültige Existenz, eine einzige endgültige Essenz. Und diese ist Gott. Ibn 'Arabî sagt: "Der Koran ist der sprechende Kosmos, und der Kosmos ist der schweigende Koran." Ibn 'Arabî zufolge ist die Aufgabe des Menschen diese: Er muss die endgültige Existenz und die endgültige Essenz bezeugen. Also Gott, den einen, den einzigen.
    Da dem Menschen nun das ewige Wort Gottes offenbart wurde und er ein Wesen der Welt sein soll, werden seine Schritte im Diesseits auch nicht umsonst sein. Der Koran lässt ausrichten: Dereinst wird der Mensch nach seinem Verhalten im Leben auf dieser irdischen Welt befragt werden.