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Sure 35 Vers 1
Der Aufbau der Schöpfung

Gott gilt im Islam wie im Judentum und Christentum als Schöpfer von Himmel und Erde und aller Lebewesen, die sich darin aufhalten. Dabei gibt es natürlich Unterschiede und Abgrenzungen zu den beiden älteren Religionen. Der Anfang von Sure 35 öffnet ein Fenster zur koranischen Auffassung vom Universum.

Von Dr. Stephen R. Burge, Institute of Ismaili Studies, London, Großbritannien | 01.06.2018
    "Lob sei Gott, dem Schöpfer von Himmel und Erde, der die Engel zu Gesandten mit Flügeln gemacht hat, mit je zwei, drei oder vier! Er erschafft zusätzlich, was er will. Gott hat zu allem die Macht."
    Es geht hierbei um Lobpreis und das Wunder der erschaffenen Universumsordnung. Der Vers preist Gott als Schöpfer der Himmel und der Erde, aber auch die Erschaffung der Engel. Gibt es also eine theologische Verbindung zwischen Erschaffung von Universum und Engeln?
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Der Vers beginnt im Arabischen mit einer eher seltenen Bezeichnung für Gott als "Schöpfer der Himmel und der Erde": "fâtir as-samawât wa-l-ard". "Fâtir" ist ungewöhnlich. Für "Schöpfer" ist eigentlich der Begriff "khâliq" gebräuchlicher. Warum also spricht der Koran hier von "fâtir"? Und, wichtiger noch, was bedeutet es genau?
    Viele muslimische Koran-Interpretatoren meinen, es heiße "Urheber", sprich, jenes Wesen, das den Ursprung der Himmel und der Erde veranlasst hat.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Stephen Buge befasst sich in seinen Forschungen schwerpunktmäßig mit Koranexegese. (priv.)
    Eine andere Meinung, wenngleich weniger verbreitet, besagt aber, "fâtir" beziehe sich darauf, etwas zu spalten oder zu teilen. Für einige Koranverse, in denen Wörter auftauchen, die mit "fâtir" linguistisch verwandt sind, ist diese Bedeutung auch belegt - etwa für Sure 73 Vers 18: "Der Himmel wird gespalten sein."
    Wenn "fâtir" "derjenige, der Himmel und Erde spaltet" bedeutet, würde im eingangs zitierten Vers ein Universum beschrieben, in dem Himmel und Erde geteilt sind. Das wäre dann ähnlich der Genesis, dem 1. Buch Mose im Alten Testament, wo Gott auch Himmel und Erde spaltet.
    Wenn dem so ist, was ist mit den Engeln? Wozu werden sie gebraucht? Angenommen wir leben in einer Welt, in der göttliche und menschliche Bereiche getrennt sind, dann braucht Gott zum Kommunizieren Vermittler. Für eine solche Sichtweise liefert der Vers selbst einen Beleg. Es heißt, die Engel hätten Flügel. Sie sind also in der Lage, eine Grenze zu überqueren, runter zur Erde und rauf zum Himmel zu fliegen.
    Die Überlegung führt uns zu den Engeln selbst. In der arabischen Sprache ist es üblich, sich die Bedeutung eines Substantivs vom zugehörigen Verb her zu erschließen. Viele Koran-Kommentatoren argumentieren, das arabische Wort für Engel "malâ’ika" leite sich vom Verb "eine Botschaft senden" ab.
    Doch das Bild ist deutlich komplexer. Der Koran spricht von Engeln auch als eigene Schöpfungsgattung neben den Menschen. Was das besagt? Nun, wenn "malâ’ika" im Koran steht, sind nicht unbedingt Boten gemeint, sondern es geht auch um diese Gattung. Gott hat mithin Engel hervorgebracht, einige von ihnen sind Boten oder Vermittler zwischen Himmel und Erde. Folglich gibt es in der geschaffenen Ordnung einen Gleichgewichtssinn: Trotz Trennung von Himmel und Erde bleibt der Kontakt zwischen Gott und der Menschheit erhalten.
    Der Vers endet schließlich mit einer eleganten Rückkehr zur Lobäußerung am Versbeginn: "Er erschafft zusätzlich, was er will. Gott hat zu allem die Macht." Gott ist der Schöpfer und kann seine Schöpfung verändern, wie es ihm beliebt. Gottes Macht und Souveränität über die geschaffene Ordnung wird bestätigt und gepriesen: Alles, was in den Himmeln und auf der Erde ist, gehört Gott. Alle Dinge sind seinem Willen unterworfen. Deshalb ist er anbetungswürdig.
    Dieser kurze Vers zu Beginn von Sure 35 öffnet ein Fenster zur koranischen Auffassung vom Universum.