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Sure 4 Vers 173
Glaube allein reicht nicht aus

Laut der meisten Islam-Gelehrten ist es mit dem Glauben daran, dass es nur einen Gott gibt und Mohammed dessen Propheten ist, nicht getan. Nötig sei auch, den Glauben zu bekunden und entsprechend zu handeln. Erst dann könne es auch Belohnungen im Jenseits geben. Umgekehrt darf jemand, der aus weltlichen oder humanistischen Erwägungen Gutes tut, nach dieser Lesart nur im Diesseits auf Belohnung hoffen.

Von Prof. Dr. Bülent Uçar, Universität Osnabrück | 20.01.2017
    "Jene, die glauben und Gutes tun, ihnen wird er ihren Lohn in vollem Maß geben und von seiner Gnade noch mehr erweisen. Was aber diejenigen angeht, die es verschmähen und überheblich sind, sie wird er mit schmerzhafter Pein strafen. Und sie werden für sich außer Gott weder Freund noch Helfer finden."
    Das Verhältnis von Glauben und Handeln wird in allen Religionen viel diskutiert. Glaube deutet im Deutschen eher auf Hoffnung hin statt auf Sicherheit und Überzeugung, wohingegen das arabische Wort für Glaube im Koran - imân - den zweiten Aspekt stärker fokussiert.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Die innere Überzeugung eines Muslims wird getragen von der Hoffnung aufs ewige Leben. Gleichzeitig wird die eigene Existenz, als Verpflichtung gesehen, das Gerechte und Gute in die Tat umzusetzen und darüber Zeugnis abzulegen.
    Nur wenn sich Überzeugung und Handlung decken, gewinnt die Behauptung des Glaubens an Glaubwürdigkeit. Wenn die Praxis im Alltag die Theorie aber dauerhaft widerlegt, führt dies unweigerlich zu Störungen - und zwar im Innenverhältnis (das betrifft die Sünde) wie auch im Außenverhältnis (das betrifft den Vorwurf der Doppelmoral und Heuchelei).
    Bülent Uçar
    Bülent Uçar lehrt am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. (priv.)
    Welche Auswirkungen das auf Menschen hat, wäre religionssoziologisch und religionspsychologisch zu untersuchen. Aber auch muslimische Theologen haben sich seit der Frühzeit mit dem Verhältnis von Glauben und Handeln auseinandergesetzt. Ja, daran schieden sich die Geister. Es führte zur Entstehung verschiedener theologischer Strömungen, die sich bis in unsere Zeit auswirken.
    Es gibt einen Konsens zwischen allen wichtigen Denkströmungen – ob sunnitisch, schiitisch, mu’tazilitisch, salafitisch oder charidschitisch. Demnach ist Glaube Voraussetzung für die weitere normative Beurteilung menschlichen Handelns. Erst durch die Verankerung im Glauben gewinnen Handlungen einen Wert fürs Jenseits. Sure 5 Vers 5 besagt: "Und wer den Glauben leugnet, dessen Handlung ist hinfällig. Und im Jenseits gehört er zu den Enttäuschten/Verlierern."
    Das bedeutendste Buch nach dem Koran in der islamischen Theologie ist das Kompendium von al-Buchârî, das Hadithe sammelt und systematisiert - also Aussprüche und Berichte über Taten des Propheten. al-Buchârîs Werk beginnt nicht ohne Grund mit einem unumstrittenen Diktum. Dieses lautet: "Handlungen richten sich nach den Absichten. Jeder wird das bekommen, was er beabsichtigt."
    Somit dürfen nur jene, die mit einer genuin religiösen Motivation Gutes tun, auf Belohnung im Jenseits hoffen. Alle anderen, die aus weltlichen, persönlichen oder humanistischen Erwägungen Gutes verrichten, dürfen nach dieser Lesart lediglich im Diesseits Belohnungen erwarten.
    Über diese Vorstellung besteht bis heute kein Dissens unter islamischen Gelehrten. Auch mir erscheint dies konsequent, da man nicht den Eintritt in das koranische Paradies einfordern kann, dessen Existenz man gleichzeitig in Frage stellt.
    Uneinig sind sich die Gelehrten aber bei der Frage, wie Sünden zu beurteilen sind - insbesondere große Sünden. Dazu existiert eine umfangreiche und komplexe Literatur.
    Eine Minderheitenposition besagt, dass große Sünden einen Muslim vom Glauben loslösen (z.B. die Charidschiten). Eine weitere spricht von einer Stufe zwischen Glaube und Unglaube (z.B. die Mu’tazila). Die große Mehrheit der islamischen Theologen akzeptiert jedoch, dass ein gläubiger Muslim aus unterschiedlichen Gründen auch in Sünde leben kann.
    Vom Mystiker Ibn Atâ' Allâh ist sinngemäß folgende Aussage überliefert: "Vielleicht ist eine Sünde, die Bescheidenheit und Demut hervorruft, besser, als ein Akt des Gehorsams, der zu Selbstgefälligkeit und Arroganz führt."
    Die Audioversion musste aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzt werden.