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Sure 4 Vers 34
Männer stehen über den Frauen

In den meisten religiösen Quellen haben Frauen aus heutiger Sicht eine benachteiligte Stellung. Die gegenwärtigen Diskussionen darüber werden aber vor allem anhand des Islams geführt. Im Koran gibt es einige Verse, die besonders umstritten sind. Einen der bekanntesten davon erläutert Asad Ahmed, der an der renommierten University of California, Berkeley lehrt.

Von Dr. Asad Q. Ahmed, University of California, Berkeley, USA | 08.04.2016
    "Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor [qawwâmûn], weil Gott die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben."
    Die Diskussion über die Stellung der Frau im Islam hat eine lange Geschichte. Zur Analyse wurden vormoderne, moderne und postmoderne Ansätze gewählt. Es wurden literarische, feministische und philologische Perspektiven eingenommen.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    In dieser Sendung geht es nun um zwei miteinander verknüpfte Fragen, nämlich ob man Frauen als Männern gleichgestellt betrachten kann und ob Männer aus einer Position der Macht heraus Frauen führen können. Beide Fragen werden aus Sicht der vor -modernen und modernen Auslegungstraditionen thematisiert, die aus der islamischen Gemeinschaft selbst hervorgegangen sind.
    Historisch betrachtet, konzentrierte man sich auf zwei Aspekte. Das war zunächst die Bedeutung des Begriffs "qawwâmûn" - hier übersetzt mit "in Verantwortung". Der Begriff kann sich darauf beziehen, dass eine Person gegenüber einer anderen vorgesetzt ist, dass eine Person über eine andere herrscht oder dass eine Person einer anderen überlegen ist. Je nach Begriffsverständnis versuchten die muslimischen Koranausleger also zuerst zu klären, ob der Vers eine gesellschaftlich determinierte Führungsrolle empfiehlt oder ob irgendwelche Vorrangstellungen der Männer gemeint sind.
    Dr. Asad Ahmed
    Dr. Asad Ahmed lehrt als Associate Professor an der kalifornischen Berkeley University. (priv. )
    Das zweite Interesse der klassischen Gelehrten bestand in der Klärung der Frage, warum ein solcher Status von Männern in der Heiligen Schrift überhaupt erwähnt wird. Sind Männer, wie der Vers besagt, "qawwâmûn" aufgrund äußerer Faktoren oder aufgrund ihrer ureigenen Natur? Die traditionellen islamischen Gelehrten gelangten in keiner dieser Fragen zu einem Konsens.
    Einige argumentierten, der Begriff "qawwâmûn" beziehe sich auf eine von Natur aus angelegte Überlegenheit der Männer gegenüber den Frauen. Zum Beleg zogen sie die unmittelbar folgende Aussage in dem Vers heran: "Weil Gott die einen vor den anderen ausgezeichnet hat". Dieselben Gelehrten verwiesen auf ähnlich lautende Aussprüche des Propheten Mohammed, um ihre Sichtweise zu untermauern.
    Andere Gelehrte meinten, der Begriff "qawwâmûn" hebe im Grunde darauf ab, dass sich der Mann um die Angelegenheiten der Frau kümmere, weil er ihren Unterhalt aus seinem Vermögen bestreite. Sie fügten hinzu, dass der erste Teil der Aussage, nämlich dass Gott einigen den Vorzug vor anderen gegeben habe, dem zweiten Teil untergeordnet sei, nämlich der Tatsache, dass Männer ihr Vermögen für Frauen aufwendeten. Mit anderen Worten, weil in einer patriarchalischen Gesellschaft, Männer die Ausgaben für ihre Frauen übernehmen, hat Gott den Männern Vorrang gegeben und ihnen eine Weisungsbefugnis eingeräumt.
    Ein Teil dieser Gelehrten betonte ferner, weil den Männern eine solche bevorzugte Rolle gegeben worden sei, verlange Gott von ihnen, dass sie sich auch wie Männer verhielten. Das heißt, sie müssten Frauen würdevoll, bescheiden und ehrwürdig behandeln. Sollten sie dazu nicht in der Lage sein, werde ihnen der bevorzugte Status in der Beziehung zu den Frauen entzogen.
    Aus dieser Haltung heraus haben moderne Koranausleger sogar schon geschlossen, da eine Frau in den gegenwärtigen Wirtschaftssystemen bisweilen mehr verdiene als ihr Mann und damit de facto die Ernährerin der Familie sein könne, müsste die Weisungsbefugnis eigentlich ihr zufallen. Die Geschichte der Auslegung dieses Verses zeigt, wie breit gefächert die islamische Tradition bei der Interpretation des Korans ist. Aus den verschiedenen Analysen kann sogar - wie gehört - auf die Überlegenheit von Frauen geschlossen werden.
    Allerdings wurde die Geschlechtergerechtigkeit in vielen Fällen weder von den Koranauslegern in vor-moderner noch in moderner Zeit überhaupt als ein Problem wahrgenommen.
    Bei der Audioversion handelt es sich um eine aus Sendezeitgründen leicht gekürzte Version.