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Sure 44 Vers 10
Hat der Koran die Atombombe auf Hiroshima vorhergesagt?

Viele Koranverse beschreiben in schrecklichen Szenen die Strafen Gottes. Das sollte wohl vor allem all jene einschüchtern, die sich den Offenbarungen nicht beugen wollten. Da derartige Warnungen aber schon damals belächelt wurden, gibt es auch andere Deutungsversuche. Sie gehen so weit, dass manche glauben, der Koran habe Ereignisse wie die Atombombe auf Hiroshima vorhergesagt.

Von Prof. em. Dr. Kees Versteegh, Universität Nijmegen | 04.12.2015
    "Darum aber erwarte den Tag, an dem der Himmel sichtbaren Rauch hervorbringen wird."
    Dieser und die folgenden Verse der Sure 44 malen ein apokalyptisches Bild der Strafe Gottes. Sie wird all jene treffen, die nicht auf seine Gesandten hören. Rauch wird sie umschließen, kochendes Wasser wird über sie geschüttet und sie werden schmerzhafte Peinigung erfahren.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Der Rauch-Vers wurde in der Anfangsphase der Prophetie Mohammeds offenbart. Mohammed versuchte zu der Zeit, seine empfangenen Botschaften unter den Mekkanern zu verbreiten. Doch die stellten sich seinen Bemühungen entgegen und verfolgten seine Anhänger.
    Der zitierte Vers warnt die Mekkaner nun, dass auf die Ungläubigen am Tag des Jüngsten Gerichts ein schreckliches Schicksal wartet. Während der frühen mekkanischen Prophetenschaft Mohammeds wurden viele Verse offenbart, die die Aspekte im Zusammenhang mit dem Tag des Jüngsten Gerichts in grausamen Details darlegen.
    Kees Versteegh
    Cornelis H.M. Versteegh, genannt Kees, ist einer der international bedeutendsten Arabisten. (priv. )
    Als die Verfolgungen der Mekkaner im Jahr 621 nicht mehr auszuhalten waren, entschied sich Mohammed dazu, ins nahegelegene Medina auszuwandern. Dort hatte man ihm einen Zufluchtsort zugesichert.
    Von Medina aus startete er eine Reihe von Feldzügen gegen Mekka. Daran nahmen diejenigen teil, die mit ihm ausgewandert waren, und jene Medinenser, die sich ihm angeschlossen hatten.] Innerhalb weniger Jahre gelang es, die Mekkaner mehrfach zu besiegen. Dabei wurden sie in den Offenbarungen nicht nur vor Schicksalsschlägen am Tag des Jüngsten Gerichts gewarnt, sondern auch vor solchen, die sie im Diesseits treffen könnten, zuhause oder auf dem Schlachtfeld.
    Etwa um das Jahr 630 herum erklärten die Mekkaner ihre Niederlage und erlaubten Mohammed, die Stadt in einem großen Triumphzug wieder zu betreten. Mohammed wurde zum unangefochtenen Anführer der ganzen Gemeinschaft. Die meisten akzeptierten die neue Botschaft und konvertierten zum Islam.
    In späteren Jahrhunderten vertraten die Korankommentatoren unterschiedliche Auslegungen des eingangs zitierten Verses und ähnlich lautender. Zunächst galten ihnen der Rauch sowie andere Menetekel als Hinweise auf die nahende Apokalypse. Diese eschatologische Interpretation verlor mit der Zeit aber an Bedeutung. Denn zunehmend weniger Menschen glaubten daran, dass tatsächlich das Ende der Welt bevorstehe.
    Einige Korankommentatoren tendierten von da an dazu, Verse wie den eingangs zitierten im Licht der Ereignisse aus Mohammeds Leben zu betrachten. Sie meinten, der Rauch sei die Folge eines Gebets, das Mohammed gesprochen habe, um Gott darum zu bitten, die Mekkaner mit einer langen Hungersnot zu schlagen. Gott nahm sein Gebet an. Die Mekkaner wurden tatsächlich von einer Hungersnot heimgesucht. Und diese machte sie so hungrig, dass ihr Sehvermögen dadurch wie von Rauch verschleiert wurde.
    Eine solche Interpretation sollte den außerordentlichen Status des Propheten bestätigen: durch seine direkte Verbindung zu Gott konnte er danach rufen, den Verlauf der Dinge zu ändern, und Unheil über seine Feinde zu bringen.
    Beide Interpretationen, die eschatologische und die weltliche, wurden in Korankommentaren stets nebeneinander erwähnt. Auch in heutiger Zeit erwähnen Prediger beide Varianten, wenn sie Gläubigen den Vers 10 aus der Sure 44 erläutern.
    Manche Islamprediger halten aber auch noch eine dritte Interpretation bereit. Der Koran gilt vielen Muslimen als Heilige Schrift, die alle zukünftigen Ereignisse vorhersagt - von Naturkatastrophen bis zu technischen Erfindungen. Aus dieser Perspektive heißt es da, der Rauch-Vers habe die Explosion der Atombombe in Hiroshima prophezeit.
    Einfache Gläubige halten es nicht für nötig, zwischen eschatologischen und weltlichen Interpretationen sauber zu unterscheiden. Ihnen reicht es, dass dieser Vers Angst und Schrecken vor der Macht Gottes einflößen und Muslime dazu motivieren soll, auf dem rechten Pfad zu bleiben.
    Bei der Audioversion handelt es sich um eine aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzte Fassung dieses Textes.