Freitag, 19. April 2024

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Sure 45 Verse 12-13
Der Koran und die Wissenschaft

Der Koran gilt vielen Muslimen als Leitfaden für alle Lebensbereiche. Mit Hilfe von Interpretation und Analogie lesen sie aus dem Text selbst Hinweise auf moderne Themen wie Atomenlehre oder Evolutionstheorie heraus. Primär hat der Koran jedoch in der islamischen Geschichte die Philologie und Sprachphilosophie befördert.

Von Prof. i.R. Dr. Hans Daiber, Universität Frankfurt am Main | 02.03.2018
    "Gott ist es, der das Meer in euren Dienst gestellt hat, damit die Schiffe - auf seinen Befehl - darauf fahren, und damit ihr danach strebt, dass er euch Gunst erweist. Vielleicht würdet ihr dankbar sein. Und er hat von sich aus alles, was im Himmel und auf Erden ist, in euren Dienst gestellt. Darin liegen Zeichen für Leute, die nachdenken."
    In diesen Versen stellt Gott seine Schöpfung in den Dienst der Menschen. Wer denken kann, erkennt, dass Gott hier am Werke ist und der Mensch Gott dankbar sein soll .
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Mohammed 'Abdus Salám, der pakistanische Nobelpreisträger für Physik, hat im Jahre 1983 hieraus die Aufforderung abgeleitet, über die Natur und die Kontrolle über die Natur nachzudenken. Wissenschaft fördere in ihrer Universalität die Zusammenarbeit zwischen allen Nationen. Der Koran erscheint hier als eine zeitlose Aussage mit religiös-ethischer Orientierung.
    Es ist jedoch falsch zu meinen, im Koran Einsichten moderner Wissenschaft finden zu können. Dennoch suchen muslimische Kreise immer wieder im Koran Hinweise etwa auf die Atomenlehre oder die Evolutionstheorie.
    Daiber am Rednerpult.
    Hans Daiber lehrte in Amsterdam und Frankfurt am Main. (priv.)
    Der Koran ist primär eine Inspirationsquelle für islamische Religiosität, für Hoffnungen und Handlungen. Der muslimische Gelehrte Dschamaladdin al- Afghani hat im Jahre 1883 die Auffassung vertreten, dass die Religion wie die menschliche Vernunft zu einer höheren Form von Zivilisation erziehe, aber auch ein Refugium für die Vorstellungskraft und für Hoffnungen sei. Hiermit lehnt er entschieden die These des französischen Orientalisten Ernest Renan ab, wonach der Islam wissenschaftsfeindlich sei.
    Der Koran ist eine Quelle für islamische Ethik, islamisches Recht und islamische Theologie. Darüber hinaus hat die Komplexität seiner Gedanken und seiner sprachlichen Überlieferung bereits im frühen Islam zu einer intensiven philologischen Beschäftigung mit dem Koran, seiner Rezitation und seiner Auslegung geführt. Die ersten muslimischen Korankommentatoren im 8. Jahrhundert konzentrierten sich auf die Bedeutungen schwieriger koranischer Begriffe. Hierbei werden sie sich zunehmend der Diskrepanz zwischen sprachlichen Zeichen und dem hiermit ursprünglich Gemeinten bewusst. Es ist die auch heute noch gültige Problematik: Hat der Begriff aus der Entstehungszeit des Korans später noch dieselbe Bedeutung?
    Hier rückt die Sprache in den Mittelpunkt des Interesses muslimischer Gelehrter. Lexikographie und Grammatik werden im frühen Islam in der Beschäftigung mit dem Koran zu eigenen Wissenschaftszweigen. Muslimische Denker entwickeln eine Sprachphilosophie, die erklären will, warum das im Koran offenbarte Wort Gottes etwas in der Zeit Entstandenes, "geschaffen" ist und zu bestimmten Anlässen offenbart wurde. Gleichzeitig sei es etwas Göttliches, Zeitloses und Unveränderliches, das im Wunderwerk des Korans offenbart worden ist.
    Eine Harmonisierung dieses Gegensatzes erscheint nur möglich, wenn der Koran zunächst als Dokument seiner Zeit erklärt wird. Dies wird in dem 2007 begonnenen orientalistischen Projekt Corpus coranicum versucht. Im zweiten Schritt müssen die Aussagen des Korans den an Vernunft und Humanitas orientierten Bedürfnissen einer modernen muslimischen und weltoffenen Gesellschaft angepasst werden.