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Sure 5 Vers 3
Die Vervollständigung des Islams

Was ist der Islam? Das ist eine höchst komplexe Frage, die sich kaum beantworten lässt. Im Koran gibt es jedoch einen Vers, der das Selbstverständnis der islamischen Religion und ihrer Anhänger zumindest im Kern greifbar werden lässt.

Von Dr. Miklos Muranyi, Universität Bonn | 21.07.2017
    "Heute habe ich euch eure Religion vollständig gemacht und meine Gnade an euch vollendet und habe daran Gefallen, dass der Islam eure Religion ist."
    Sure 5, genannt "Der Tisch", beginnt mit der Aufzählung von Speiseverboten, die im Koran auch an anderen Stellen zu verschiedenen Anlässen Erwähnung finden. Die Aufzählung wird jedoch innerhalb des dritten Verses durch eine sprachlich und inhaltlich höchst beeindruckende Aussage unterbrochen - nämlich den eingangs zitierten Auszug: "Heute habe ich euch eure Religion vollständig gemacht und meine Gnade an euch vollendet". Wegen der religiösen Tragweite dieses Versteils nennt man die gesamte Sure 5 auch "Die Vervollständigung".
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    In der historischen Perspektive wissen wir nicht genau, wann die Zeitangabe "heute" im Leben Mohammeds zu definieren ist. Auf jeden Fall müssen wir davon ausgehen, dass die Verkündung dieser Offenbarungsworte durch Mohammed mit einem bedeutsamen historischen Ereignis zu verbinden ist. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um seine letzte Pilgerfahrt. Sie fand der islamischen Überlieferung zufolge 81 Tage vor seinem Tode statt, und wird als die "Abschiedswallfahrt" bezeichnet.
    Es war dies die erste Pilgerfahrt zum Heiligtum in Mekka, an der ausschließlich die Anhänger Mohammeds teilgenommen haben, was die Koranexegese als Zeichen dieser vollendeten Gottesgnade deutet. Die Vervollständigung der Religion erfolgte durch die Festlegung der Wallfahrtsriten durch den Propheten, die bis in die Gegenwart Gültigkeit haben. Zweifelsohne stellen diese Worte den Höhepunkt von Mohammeds Prophetie dar, die mit seinem baldigen Tod unerwartet ihr Ende nahm.
    Miklos Muranyi vor einer Holztür.
    Dr. Miklos Muranyi lehrte an der Universität Bonn. (priv. )
    Der Vers teilt in knapper Formulierung mit, dass Gott die Religion durch seine Gnade an den Muslimen vollständig gemacht hat. Diese Gnade wird kurz darauf in Vers 7 noch einmal angesprochen. Demnach haben ihr die Gläubigen in ihren Gebeten stets zu gedenken: "Gedenkt der Gnade Gottes an euch und seines Bundes, den er mit euch schloss!"
    Neben der Vervollständigung der Religion und der Vollendung der Gottesgnade steht in dem hier erläuterten Auszug aus Vers 3 die klare Formulierung, ja, die Definition der Religion: Gott, so wird der Vers abgeschlossen, habe Gefallen daran, die an jenem Tag vollendete Religion als "Islam" zu bezeichnen. Wörtlich heißt es: "(und ich) habe daran Gefallen, dass der Islam eure Religion ist."
    Um die besondere Bedeutung dieses Versteils zu verstehen, muss man selbst den arabischen Begriff "Islam" im gegebenen Kontext durch Übersetzung erklären. Das Wort "Islam", das bei uns als feststehende Bezeichnung der Religion der Muslime verwendet wird, drückt in der Sprache des Korans die religiöse Lebenshaltung der Muslime aus. Islam bedeutet so viel wie "Gottergebenheit", "Hingabe an den einzigen Gott", "Unterwerfung".
    Erst in Kenntnis der gewaltigen Bedeutung des Wortes wird dem Außenstehenden das Selbstverständnis der islamischen Religion und ihrer Anhänger inhaltlich greifbar. In diesem Sinne wird in der Offenbarung der Begriff Religion auch in Sure 3 Vers 19 erklärt: "Siehe, die Religion bei Gott ist der Islam"; sprich: sie ist die Gottergebenheit, oder: die Hingabe des Gläubigen an den einzigen Gott.