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Sure 5 Vers 33
Vertreiben, Hand und Fuß abhauen, kreuzigen

Der Koran umfasst einige Verse, die fürchterlich brutal sind. Erfuhren sie in der Geschichte des Islams vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit, liegt heute oftmals der Fokus der Öffentlichkeit auf ihnen. Die Gewalt-Verse stellen vor allem viele Muslime vor die Frage: Was hat es mit diesen Aussagen in ihrem Heiligen Buch auf sich?

Von Prof. em. Dr. Gerald Hawting, SOAS, Universität London | 11.03.2016
    "Der Lohn derer, die gegen Gott und seinen Gesandten Krieg führen und überall im Land eifrig auf Unheil bedacht sind, soll darin bestehen, dass sie umgebracht oder gekreuzigt werden, oder dass ihnen wechselweise Hand und Fuß abgehauen wird, oder dass sie des Landes verwiesen werden."
    Dieser Vers wird oft als hirâba-Vers bezeichnet - hirâba ist ein arabisches Wort für Räuberunwesen beziehungsweise Brigantentum. Der Vers legt eine Reihe von möglichen Bestrafungen für diejenigen dar, die für schuldig befunden wurden, gegen Gott und seinen Gesandten Krieg zu führen und im Land auf Unheil bedacht zu sein.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Man muss den Vers zusammen mit dem nachfolgenden lesen. Der besagt, dass jeder von den Strafen ausgenommen ist, der bereut und seine unerlaubten Handlungen einstellt, bevor er gefangen genommen wird.
    Gerald Hawting.
    Gerald Hawting - lernte einst bei Koryphäen wie Bernard Lewis und John Wansbrough und entwickelte sich schließlich selbst zu einem weltweit renommierten Islam- und Koranexperten. (priv. )
    Koranvers 5:33 gibt nicht genau an, welche Sünden und Verbrechen gemeint sind. Der Vers scheint daher Herrschern und Regierungen die Möglichkeit zu bieten, die harte Bestrafung von allen möglichen Dissidenten und Gegnern zu rechtfertigen. In der Moderne haben diverse Unterstützer der Idee eines Islamischen Staates dieses breite Verständnis übernommen.
    Dagegen tendierten traditionelle islamische Juristen dazu, den Rahmen dieses Verses zu begrenzen. In der Regel taten sie das, indem sie ihn so interpretierten, dass er sich hauptsächlich auf Straßenraub oder Wegelagerei beziehe.
    Traditionelle Korankommentatoren stellten den Vers in den Kontext des vorhergehenden. Vers 32 berichtet davon, dass Gott als Folge des Mords von Kain an seinem Bruder Abel den Kindern Israels das Töten verboten habe. Ausnahmen wurden gemacht für Mord und für das Verbreiten von Unheil im Land. Koranvers 5:33 wird nun so verstanden, dass er die Bedeutung dessen für die Muslime klarstellt.
    Alle Koranexegeten sind sich einig, dass der Vers in Medina offenbart wurde. Unterschiedliche Auffassungen hingegen gibt es über den Anlass für die Herabsendung. Manche meinten, der Vers sollte dem Propheten Mohammed mitteilen, wie er mit Juden und anderen Besitzern eines Heiligen Buchs zu verfahren habe, die ihre Vereinbarungen mit ihm gebrochen hätten. Andere Koranexegeten meinten, die Offenbarung habe mit Heiden zu tun gehabt, die Mohammed bekämpft hätten.
    Am weitesten verbreitet ist derweil die Geschichte einiger arabischer Stammesangehöriger. Sie hatten den Islam für sich angenommen, doch das Leben in Medina gefiel ihnen nicht. So erteilte ihnen Mohammed die Erlaubnis, in die Wüste zu ziehen. Dort besaß er eine Kamelherde. Als die Araber diese erreichten, töteten sie den Viehhüter und nahmen die Tiere in Besitz.
    Als die Männer gefangen genommen wurden, bestrafte sie der Prophet hart - härter als es die Strafen in Koranvers 5:33 vorsehen. Mohammed stach ihnen die Augen aus und setze sie zum Sterben der Sonne aus. Darauf hin wurde der Vers offenbart, um ihn über die korrekte Art der Bestrafung in solchen Fällen zu informieren.
    Diese Darstellung warf aus Sicht der Kommentatoren mehrere Fragen auf: Bedeutete das, dass Gott seinen Propheten zurechtgewiesen hatte? Mohammed gilt als Vorbild, den Gott vor Sünden bewahrt habe.
    Manche sahen in der Zurechtweisung kein Problem. Die meisten konnten sich das jedoch nicht vorstellen. Deshalb suchten nach nachvollziehbaren Erklärungen für das harte Vorgehen des Propheten gegen die Stammesangehörigen.
    Ferner fragten sich die Korankommentatoren: Waren die arabischen Räuber Apostaten oder weiterhin Muslime? Einige Gelehrte meinten, das Töten des Viehhüters und der Diebstahl der Kamele kämen einer Lossagung vom Islam gleich. Andere argumentierten, die in Sure 5:33 erwähnten Strafen seien auf Apostaten nicht anwendbar. Das islamische Recht gehe anders mit ihnen um.
    Es ergaben sich weitere Fragen zu diesem Koranvers: Müssen nur jene, die innerhalb einer Stadt morden oder töten bestraft werden, wie im Vers beschrieben, oder gilt das auch für Taten außerhalb einer Stadt? Wenn jemand gemäß dem Vers aus dem Land vertrieben werden soll, wie weit weg musste das sein? Galten die verschiedenen Strafen für bestimmte Umstände? Sollte also die Verbannung zum Beispiel auf Räuber angewendet werden, wenn niemanden getötet wurde?
    Akademische Gelehrte gingen noch einmal anders an den Vers heran. Sie versuchten, ihn im Lichte der Erkenntnisse über die verschiedenen Strafformen zu betrachten, die zur Entstehungszeit des Islams im Nahen- und Mittleren Osten verbreitet waren.
    Bei der Audioversion handelt es sich um eine aus Gründen der Sendezeit leicht gekürzte Fassung dieses Textes.