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Sure 5 Vers 55
Auf wen die Muslime außer Gott noch vertrauen sollen

Ein zum Islam konvertierter Jude klagte gegenüber dem Propheten Mohammed, dass die Mitglieder seines früheren Stammes nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. Daraufhin bekam er eine Antwort - eine Antwort, die nach Meinung der Schiiten auch noch die Vorrangstellung "ihres" Kalifen Ali bekräftigte.

Von Dr. Maria Massi Dakake, George Mason University, Fairfax, Virginia, USA | 02.09.2016
    "Eure wahren Beschützer sind Gott, sein Gesandter und die Gläubigen; jene, die das Gebet verrichten, die Almosen geben und sich verneigen."
    In diesem Vers steht das Wort "Beschützer" als Übersetzung für das arabische Wort "walî". Man könnte es auch mit "Freund" oder "Verbündeter" wiedergeben.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Im Arabien der Stammes-Gemeinschaften bezeichneten walî-Beziehungen Arrangements zwischen Stämmen und Klanen zum gegenseitigen Schutz - oder zwischen Einzelpersonen und einem Klan oder einem Stamm.
    In Sure 5 Vers 51 werden die Gläubigen gewarnt, solche Allianzen nicht mit Juden und Christen zu bilden, da einzelne externe Bündnisse die Einheit der unerfahrenen muslimischen Gemeinde untergraben könnten. Die junge Gemeinde war in ihren frühen Jahren in Medina existenziellen Gefahren ausgesetzt.
    Maria Dakake
    Maria M. Dakake lehrt als Associate Professor. (priv. )
    Der hier behandelte Vers ist nun dazu gedacht, die Muslime dahingehend zu beruhigen, dass sie sich hinsichtlich Unterstützung auf Gott, den Gesandten und aufeinander verlassen können und das auch tun sollten.
    Koran-Kommentatoren erklären, das Wort "Beschützer" stehe hier im Singular, auch wenn der Vers eine Mehrzahl von Beschützern auflistet. Sie argumentieren, Gott sei die Quelle allen Schutzes. Der Schutz, den man durch den Gesandten und die Glaubensgeschwister genieße, gehe von jenem ursprünglich göttlichen Schutz aus.
    Der Vers ist Teil einer längeren Koran-Passage, die von Vers 51 bis Vers 59 reicht. Darin geht es um die Förderung von Solidarität unter der muslimischen Gemeinde. Das ist nötig sowohl wegen Gefahren von Außen als auch wegen möglichen Verrats im Inneren durch die Heuchler in Medina, die sich der muslimischen Gemeinde nur vordergründig verschrieben hatten oder sie insgeheim sogar bekämpften.
    Der konkrete Anlass, auf den die Offenbarung des eingangs zitierten Verses zumeist bezogen wird, hat mit dem Juden Abdallâh Ibn Salâm zu tun. Er war einst Rabbi in Medina und konvertierte dann zum Islam. Abdallâh beklagte sich beim Propheten, weil seine früheren Klan-Mitglieder den Kontakt zu ihm vollständig abgebrochen hatten. Der Koranvers versichert nun ihm und seinen Mit-Konvertiten, dass die einzig wahren Beschützer, die ein Muslim habe und brauche, Gott, der Gesandte und die Glaubensgeschwister seien.
    Diese Gruppe der Gläubigen beschreibt der Vers als diejenigen, die das "Gebet verrichten" und "Almosen geben". Die wahren Gläubigen sind demnach jene, die ihren Glauben zeigen, indem sie diese beiden fundamentalen religiösen Pflichten verrichten.
    Die Aussage "und sich verneigen" könnte schließlich ein Hinweis auf die Demut sein, die man haben soll, wenn man betet und Almosen gibt. Viele Gelehrte verknüpfen sie aber mit einer weit verbreiteten Geschichte über Alî Ibn Abî Tâlib, dem Cousin und Schwiegersohn Mohammeds, dem späteren Kalifen und ersten Imam der Schiiten. Alî gab einst während der Verneigung beim Gebet in einer Moschee einem Bettler Almosen, indem er ihm diskret signalisierte, er könne den Ring von seinem Finger nehmen.
    Da das Wort "walî" auch in Verbindung mit Obrigkeitsvorstellungen steht, lesen Schiiten den erläuterten Koranvers typischerweise auch als Zeichen für Alîs Macht über die muslimische Gemeinde. Demnach ist Alî nach Gott und Mohammed der wahre "walî" der Gläubigen.
    Die Verbindung des Verses mit Alîs außergewöhnlichem Beispiel fürs Almosen-Geben wird von sunnitischen wie schiitischen Koran-Kommentatoren überliefert. Die Interpretation hinsichtlich Alîs Machtstellung jedoch lehnten die sunnitischen Koran-Kommentatoren ab. Einige von ihnen bezweifelten auch die Authentizität der Geschichte des gespendeten Rings.
    Derweil empfehlen diejenigen, die einen Bezug zwischen dem Koranvers und der Spenden-Geschichte herstellen, allen Muslimen, Alîs Handlung als Beispiel für die Dringlichkeit zu verstehen, mit der man spenden sollte, wenn man darum gebeten wird.
    Die Audioversion musste aus Sendezeitgründen leicht gekürzt werden.