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Sure 51 Vers 56
Geister namens Dschinn

Wer etwa als Christ Geister nicht ausschließt, dem wird rasch Aberglaube vorgeworfen. Für Muslime ist es indes unmöglich, gläubig zu sein, ohne diese Wesen - im Arabischen "Dschinn" genannt - für wahr zu halten.

Von Dr. Amira El-Zein, Georgetown Universität Katar, Doha | 15.06.2018
    "Und ich habe die Dschinn und Menschen nur dazu geschaffen, dass sie mir dienen."
    Um die Bedeutung dieses Verses zu erfassen, müssen wir ihn in den Kontext islamischer Kosmologie stellen. Das Universum ist demnach hierarchisch aufgebaut und besteht aus drei Bereichen: erstens dem physischen oder materiellen Bereich, zweitens dem intermediären beziehungsweise dem Bereich der Vorstellung (Imago), und drittens dem mittels Verstand erfassbaren beziehungsweise dem himmlischen Bereich.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Ferner gibt es sieben Himmel und sieben Erden. Sie unterscheiden sich untereinander und von unserer Erde. Alle haben ihre eigene Natur und ihre eigenen Bewohner.
    Die Fülle und Weite des Kosmos wird unentwegt ausgebaut und erneuert, da Gott immer wieder Welten zerstört und neue erschafft.
    Porträt El-Zein
    Amira El-Zein hat sich intensiv mit dem Dschinn-Glauben befasst. (priv. )
    Muslime eröffnen ihr Gebet stets mit dem Aufsagen der ersten Sure im Koran. Darin wird Gott als "Herr der Welten" ("rabb al-‘âlamîn") angesprochen. Da Muslime täglich mehrmals beten, werden sie permanent daran erinnert, dass der Kosmos mit verschiedenen Formen von Leben gefüllt und die Erde nicht das Zentrum der Welt ist. Aus dieser kosmologischen Perspektive ist es für Muslime nicht erstaunlich, dass eine spezielle Gattung von Geschöpfen, die Dschinn heißt, im Koran erwähnt wird.
    Dschinn sind weder Engel noch Dämonen, sondern Zwischenwesen. Der Islam hat sie aus der Zeit vor seiner Entstehung übernommen, allerdings ohne sie zu verteufeln. Sie werden als Teil der Schöpfung betrachtet. Und auch wenn der Glaube an ihre Existenz nicht Teil der fünf Säulen des Islams ist, so wäre es doch unmöglich, Muslim zu sein, ohne Dschinn für wahr zu halten.
    Erstaunlich ist derweil, dass das heilige Buch Dschinn und Menschen oftmals koppelt, wie im eingangs zitierten Vers, wenn Gott betont, er habe beide zu dem Zweck erschaffen, ihn anzubeten. Es gibt sogar ein ganzes Korankapitel, das sich an beide Geschöpfe richtet: Sure 55, genannt "al-Rahmân" - "Der Barmherzige".
    Warum aber würde Gott Menschen und Dschinn koppeln? Letztlich sind sie doch sehr unterschiedlich. Menschen wurden aus Lehm erschaffen, Dschinn aus Feuer. Menschen sind sichtbar, Dschinn kaum wahrnehmbare, unsichtbare Wesen, die sich uns nur selten zu erkennen geben. Dschinn können die Zukunft vorhersagen - nicht wegen ihrer intellektuellen Überlegenheit, sondern weil sie sagenhafte physische Kräfte besitzen. Im Handumdrehen können sie die Dimensionen durchqueren, während der Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist. Zudem sind Dschinn Gauner und Formwandler. Leicht können sie Menschen ködern, vor allem jene mit schwachem Glauben und schwachem Intellekt.
    Also warum Menschen und Dschinn in einem Atemzug? Die Antwort lautet: Es gibt auch gemeinsame Eigenschaften. Erstens, und das ist am wichtigsten, beide Gattungen werden im Islam als intelligent und vernunftbegabt betrachtet. Einige sind gut, andere böse - genau wie Menschen. Beide sind sterblich, wobei Dschinn extrem lange leben - viele Jahrhunderte lang. Es heißt, manchmal verliebten sich Dschinn in Menschen und umgekehrt.
    Zu beiden wurden Propheten gesandt. Einige Dschinn konvertierten zum Islam, andere blieben ihrem alten Glauben verhaftet. Dschinn werden als verantwortlich für ihre Taten erachtet und wie Menschen am Tag des jüngsten Gerichts gerichtet werden.
    Bedeuten die Gemeinsamkeiten nun, dass beide Wesensgattungen gleich sind? Diesbezüglich ist man im Islam eindeutig: Völlig egal wie sehr sie einander ähneln, Menschen bleiben Dschinn gänzlich überlegen. Gott hat die Menschen zu seinen stellvertretenden Regenten auf Erden gemacht. Sie sind diejenigen, die Wissen schaffen. Dschinn tun es nicht. Menschen besitzen Vorstellungskraft, Dschinn nicht - trotz ihres Zugangs zu vielen Bereichen der Existenz.
    Die Audioversion musste aus Gründen der Sendezeit etwas gekürzt werden.