Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Sure 55 Verse 1-4
Der Gottesname "al-Rachmân" und die Benennung von Suren

Gott wird im Koran nicht nur Allah genannt, sondern auch al-Rahman, was möglicherweise aus der jüdischen Literatur übernommen wurde. Der Name, der so viel bedeutet wie "Der Barmherzige", bildet zugleich den ersten Vers und den Titel der Sure. Das ist ein gängiges Muster bei der Auswahl von Suren-Namen gewesen, die manchmal für Verwunderung bei Koranlesern sorgen.

Von Prof. i.R. Dr. Hartmut Bobzin, Universität Erlangen-Nürnberg | 20.04.2018
    "Der Barmherzige.
    Er lehrte den Koran.
    Er schuf den Menschen.
    Er lehrte ihn die klare Rede."
    Sure 55 gehört zu den Suren, in denen es um das Schöpfungshandeln Gottes geht. Gott – kein anderer ist hier mit dem Ausdruck "Der Barmherzige" gemeint.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Es ist erstaunlich, dass in dieser Sure weder Himmel noch Erde als die ersten Schöpfungsergebnisse genannt sind, sondern dass Gott – wie es heißt – den Koran lehrte, den Menschen erschuf und diesem beibrachte, klar zu reden. Der Koran ist für Muslime in ganz eindeutiger Weise "Gottes Wort".
    Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das Wort "der Barmherzige" – arabisch al-rahmân – auch in der Formel vorkommt, mit der alle Suren – mit Ausnahme von Sure 9 – eingeleitet werden. Man nennt diese Einleitungsformel "Basmala", diese Bezeichnung leitet sich vom arabischen Wortlaut her: bi-smi llâh al-rahmân al-rahîm. Zu deutsch: "Im Namen Gottes, des barmherzigen Erbarmers.
    Hartmut Bobzin
    Hartmut Bobzin hat den Koran übersetzt und war Professor für Islamwissenschaft an der Uni Erlangen-Nürnberg (Bobzin)
    In einigen Suren wird im Übrigen nicht das Wort Allah, was allgemein das arabische Wort für den einen Gott ist und auch von Juden und Christen benutzt wird, als Bezeichnung für Gott verwendet. Vielmehr wird stattdessen das Wort "rahmân" verwendet, so zum Beispiel in der 19. Sure mit Namen "Maria", in der sich eine ausführliche Fassung der Geschichte von der Geburt Jesu findet.
    Aus Sicht der Religionsgeschichte ist in diesem Zusammenhang hinzuzufügen, dass "Rahmân" offenbar der Name eines Gottes war, der nicht zu den zahlreichen Göttern gehörte, die zur Zeit Mohammeds in Mekka an der Kaaba verehrt wurden.
    Entweder stammte dieser Gott Rahmân ursprünglich aus Südarabien, wo der Name durch Inschriften belegt ist, oder aber es handelt sich um eine Entlehnung beziehungsweise Übernahme aus der nachbiblischen jüdischen Literatur. Denn hier wird "ha-rahaman" oft als Umschreibung für den Namen Gottes gebraucht, der ja bei den Juden nicht ausgesprochen werden darf.
    Sure 55 beginnt mit dem Wort "Der Barmherzige", und dieses erste Wort ist gleichzeitig auch der Name der gesamten Sure 55.
    Diese Art der Benennung kommt auch im Alten Testament vor. So beginnt zum Beispiel das erste Buch Mose mit den Worten: "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde". Auf Hebräisch heißt "am Anfang": "bereschít". Entsprechend heißt das erste Buch Mose auf hebräisch "Bereschít".
    Als weiteres koranisches Beispiel dafür, dass das erste Wort im Text auch als Surenname dient, möchte ich Sure 80 anführen. Sie heißt auf arabisch âbasa – zu deutsch: "Er blickte finster drein".
    Mit "er" ist nach Meinung der sunnitischen Gelehrten Mohammed gemeint. Die ersten beiden Verse dieser Sure 80 lauten: "Er blickte finster drein und wandte sich ab, dass der Blinde sich an ihn gewandt."
    Dieser Korantext soll erkennen lassen, dass ein Blinder, der sich an den Propheten wendet, diesem offenbar lästig ist und von ihm abgewiesen wird.
    Der Name der Sure: "Er blickte finster drein" ist also ein kleiner Satz. Er weist bereits auf die Dramatik des nachfolgenden Geschehens hin. Hier spiegelt sich die Lebendigkeit des koranischen Stils sehr schön wider.
    Doch zurück zu Sure 55, Verse 1 bis 4, die wir noch einmal in der gereimten Übersetzung von Hubert Grimme hören wollen, der 1923 eine ansprechende Auswahl von Korantexten in poetischer Form veröffentlicht hat:
    "Der Rachman
    lehrte den Koran,
    schafft Weib und Mann,
    hält zum Nachdenken sie an."