Donnerstag, 25. April 2024

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Sure 7 Vers 73
Der Prophet Sâlih und die rätselhafte Kamelstute Gottes

Viele Propheten sind aus Altem und Neuem Testament bekannt. Manche tauchen jedoch nur im Koran auf: zum Beispiel der Prophet Sâlih. Er wurde demnach zum Volk der Thâmud entsandt, wo er es mit einer rätselhaften Kamelstute Gottes zu tun hatte.

Von Dr. Shaun E. Marmon, Princeton University, USA | 27.10.2017
    "Und zu den Thamûd (haben wir) ihren Bruder Sâlih (gesandt). Er sagte: 'Ihr Leute! Dienet Gott! Ihr habt keinen anderen Gott als ihn. Ein klarer Beweis von eurem Herrn ist zu euch gekommen: Dies ist die Kamelstute Gottes. Sie ist euch ein Zeichen. Lasst sie auf Gottes Erde weiden. Tut ihr nichts Böses an! Sonst wird eine schmerzhafte Strafe über euch kommen.'"
    Dieser Vers markiert den Anfang des göttlichen Vortrags in Sure 7 über den Propheten Sâlih, das sündige Volk Thamûd und die verhängnisvolle "Kamelstute Gottes". Dieselbe Geschichte steht in leicht abgeänderter Form in vier verschiedenen Suren.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    In unserem Vers fordert Sâlih das Volk Thamûd auf, der "Kamelstute Gottes" freie Weiderechte einzuräumen. Zwei anderen Versen zufolge (Sure 26 Vers 155 und 54:28) sagt Sâlih den Thamûd, Gott habe der Kamelstute Trinkrechte gegeben. Sie müssten das Wasser mit ihr abwechselnd von Tag zu Tag teilen.
    In allen Versionen der Geschichte widersetzen sich die Thamûd dem Propheten Sâlih. Sie lähmten die arme Kamelstute, indem sie ihr die Sehnen durchschnitten. Damit setzten sie das Tier einem langsamen, qualvollen Tod aus. Gott reagierte mit einer fürchterlichen Naturkatastrophe. Sie wird als Erdbeben, Blitzschlag oder schrecklicher Lärm beschrieben. Die Thamûd wurden dadurch vernichtet.
    Shaun Marmon vor eine Eingangstür.
    Shaun Marmon lehrt an der renommierten amerikanischen Princeton University. (priv. )
    Sâlih ist einer der drei namentlich im Koran erwähnten sogenannten arabischen Propheten, die kein biblisches Pendant haben.
    Die Thamûd werden in antiken assyrischen, griechischen, arabischen Inschriften und Texten bezeugt. Es war ein Volk im Hedschas, so heißt die Region im Nordwesten der Arabischen Halbinsel mit den Städten Mekka und Medina. Die Thamûd verschwanden lange vor Mohammeds Geburt.
    Kamelstuten, obwohl nicht gerade selten, gehörten zu den meist geschätzten Besitztümern im alten Arabien. Fragen des Weidelandes und der Wasserrechte waren ernste Angelegenheiten in der rauen Umgebung der Arabischen Halbinsel.
    Was aber ist eine "Kamelstute Gottes"? Warum ist sie ein "Zeichen" und ein "klarer Beweis" des einen, wahren Gottes? Moderne Wissenschaftler haben versucht, sowohl eine vor-islamische Ritualpraxis als auch antike arabische Mythen aus dem Vers herauszulesen. Angesichts des Fehlens weiterer Textbelege aber, bleiben diese Versuche höchst spekulativ.
    Klassische Koranexegeten, die im Hinblick auf unseren Vers auch offensichtlich ratlos waren, fügten der Geschichte beträchtliche Details hinzu. Andere Ausschmückungen kamen von mittelalterlichen arabischen Dichtern und Sammlern von Geschichten über den Propheten Mohammed - sogenannte Hadithe.
    Laut der Koranauslegung wandte sich Sâlih den Thamûd zu, indem er aus Felsgestein eine übernatürliche, schwangere Kamelstute von außergewöhnlicher Größe erschuf. Die wohlhabenden Herdenbesitzer der Thamûd beschwerten sich. Der Appetit des Tieres gehe zulasten des Weidelandes für ihr Vieh. Sein Durst lasse ihre Brunnen austrocknen. Die Koranausleger deuteten die Kamelstute somit als göttliche Prüfung, bei der die Thamûd versagt hatten.
    Die Exegeten waren allerdings nicht blind für das eigentümliche Pathos der Geschichte. Sie versahen die gelähmte Kamelstute mit einem Fohlen, das bitterliche Tränen über seine Mutter vergießt, auf einen hohen Felsen steigt und klagt, Gott möge doch bitte Gerechtigkeit bringen.
    Moderne islamische Tierrechtsaktivisten und Umweltschützer interpretieren die Geschichte von Sâlih und der Kamelstute derweil als Warnung vor Tierquälerei und dem Missbrauch der Umwelt. Die Kamelstute sei "Gottes", argumentieren sie. Sie habe das Recht auf "Gottes Erde" zu weiden. Damit erinnere sie uns daran, dass die Natur kein Rohstoff sei, den gierige Menschen ausbeuten dürften.
    Die Audioversion musste aus Sendezeitgründen leicht gekürzt werden.