Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Sure 7 Verse 172-173
Das Ur-Bekenntnis

Man braucht nicht unbedingt den gesamten Koran zu lesen, um die zentrale Botschaft des Islams zu erfassen. An manchen Stellen wird der Kern dieses Glaubens derart verdichtet wiedergegeben, dass einzelne Verse bereits ausreichen.

Von Prof. em. Dr. Hans Zirker, Universität Duisburg-Essen | 13.10.2017
    "Als dein Herr aus den Kindern Adams, aus ihrem Rücken, ihre
    Nachkommen nahm und sie gegen sich selbst zeugen ließ.
    "Bin ich nicht euer Herr?"
    Sie sagten:
    "Gewiss doch! Wir bezeugen es."
    Damit ihr am Tag der Auferstehung nicht sagt:
    "Darauf haben wir nicht geachtet",
    oder:
    "Früher gaben unsere Väter (Gott) Partner bei und wir sind
    von ihnen Nachkommen. Willst du uns denn vernichten für
    das, was die Trügerischen taten?"
    Mit wenigen Strichen skizzieren die beiden Verse ein Ereignis, das das Selbstverständnis des Islam auf den Punkt bringt.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Die formale Gestaltung ist für die vorherrschende Erzählweise des Koran charakteristisch. Er gibt das Geschehen nicht ausführlich wieder, sondern spielt auf es an. Die Hörer und Leser sollten sich damit begnügen, sei es, weil sie das Weitere ohnehin schon kennen oder weil es nur vom Wesentlichen ablenken würde.
    Wie im Koran häufig, setzt die Erzählung ein mit einem temporalen Nebensatz als Überschrift des Ganzen. Dann folgen knappe Zitate, bei denen nicht immer ausdrücklich vermerkt ist, wer spricht oder angesprochen ist.
    Proträt von Hans Zirker.
    Hans Zirker, Koranübersetzer und emeretierter Theologe an der Universität Duisburg-Essen (priv. )
    "Als dein Herr…" So beginnt der Text. Unter der Voraussetzung, dass der Koran als Gottes eigenes Wort gilt, spricht hier Gott von sich selbst in der dritten Person. Dabei ist er nach üblichem Verständnis unmittelbar Mohammed zugewandt, richtet sich aber über ihn hinaus auch an jeden Hörer und Leser.
    Erzählt wird – in etwas umwegiger Formulierung – von allen Menschen. In unbestimmter Vergangenheit werden sie vor die knappe Entscheidungsfrage gestellt: "Bin ich nicht euer Herr?" Und alle stimmen im gemeinsamen, gleicherweise knappen Wort zu, wenn auch hier schon innerlich widerstrebend, "gegen sich selbst", wie es heißt.
    Nach solch straffer Inszenierung möchte man sagen: "So war das, und damit Punktum!"
    Dann aber richtet sich der Koran unvermittelt an seine gegenwärtigen Hörer und Leser und erläutert ihnen den Sinn des Erzählten: "Damit ihr am Tag der Auferstehung nicht sagt: 'Darauf haben wir nicht geachtet'."
    Das Vergangene geschah um der Gegenwart und der endzeitlichen Zukunft willen. Die Ausflüchte derer, die Gott noch andere Götter zur Seite stellen, sollten ein für allemal verwehrt sein.
    Diesen Versen entsprechend versteht sich der Islam als eine Religion, die den Menschen wie von Natur aus eingestiftet ist. Schließlich hat sich doch jeder schon allen individuellen Begebenheiten seines Lebens voraus zu dem einen Gott bekannt.
    Freilich trägt das Erzählte phantastische Züge. Schon in der islamischen Tradition wird es uneinheitlich gedeutet. Die einen nehmen an, dass alle Menschen längst vor ihrer eigentlichen Existenz, schon in urgeschichtlicher Zeit, von Adam her noch im "Rücken" ihrer Vorfahren, wie es heißt, zur Entscheidung herausgeholt wurden und ihre monotheistische Religion bezeugten.
    Nach anderen dagegen hat dieses Bekenntnis seinen Ort im Leben jedes Einzelnen, grundgelegt in dessen Erschaffung, auch in diesem Sinn also uranfänglich.
    In beiden Fällen aber steht die Szene außerhalb der lebensgeschichtlichen Erinnerungen. In ihrer literarischen Bildhaftigkeit ist sie sinnvoller Ausdruck des islamischen Selbstverständnisses; doch sie ist fern realem Geschehen. Damit fügt sich dieses Erzählstück trotz seiner kleinen Form ein in die Menge der ur- und endzeitlichen Mythen.