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Sure 82 Verse 1-5
Der Untergang der Welt

Am Ende aller Tage steht auch laut dem Koran die Zerstörung der Welt. Solche Warnungen wurden allerdings schon damals als Ammenmärchen verspottet. Das lässt die Vermutung zu, solche Schilderungen waren vielen längst bekannt. Und tatsächlich gibt es Überschneidungen mit den Endzeitvorstellungen in der Bibel. Nicolai Sinai von der renommierten Oxford Universität in England zufolge wäre es aber falsch, deshalb nun zu meinen, der Koran wiederhole einfach nur christliches Gedankengut.

Von Dr. Nicolai Sinai, Oxford Universität, England | 27.11.2015
    "Wenn der Himmel sich spaltet,
    wenn die Sterne zerstreut werden,
    wenn die Meere aufgerissen werden,
    wenn die Gräber geleert werden –
    dann erfährt eine jede Seele, was sie zuvor getan und was sie versäumt hat."
    Im Mittelpunkt der frühesten Koranverkündigungen steht die Botschaft von der unausweichlichen Realität eines endzeitlichen göttlichen Gerichts. In dramatischen Szenen verkünden sie ihren Adressaten, dass die Schöpfung zu einem nicht genau benannten Zeitpunkt, der allerdings gelegentlich als "nahe" bezeichnet wird, einer umfassenden Zerstörung anheimfallen werde.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Höhepunkt dieses Vernichtungsgeschehens sind die Auferweckung der Toten, in der zitierten Koranpassage als "Leerung" der Gräber beschrieben, sowie das Jüngste Gericht, das die Menschen in die ewige Seligkeit oder Verdammnis entlässt.
    Auch wenn der Koran Gott immer wieder mit dem Attribut der Barmherzigkeit ausstattet, so wohnt seinem Gottesbild ähnlich dem biblischen auch der Aspekt strafender Gerechtigkeit inne.
    Nicolai Sinai mit einem aufgeschlagenen Buch.
    Nicolai Sinai lehrt Islamwissenschaft an der renommierten Oxford-University in England. (Foto: N.Sinai)
    Die Ankündigung eines endzeitlichen göttlichen Gerichts scheint viele von Mohammeds Hörern allerdings nicht sonderlich beeindruckt zu haben. Es handele sich bei ihnen nur um "Fabeln der Altvorderen", werden Mohammeds Widersacher mehrfach im Koran zitiert – frei übersetzt: das sei nur ein Neuaufguss altbekannter Ammenmärchen.
    Eine solche Entgegnung deutet darauf hin, dass die Adressaten des Korans mit der Vorstellung einer endzeitlichen Auferstehung und eines Jüngsten Gerichtes durchaus vertraut waren.
    Tatsächlich weisen die koranischen Endzeitbeschreibungen zahlreiche Überschneidungen mit neutestamentlichen Aussagen auf, insbesondere mit der Offenbarung des Johannes: Auch dort ist die Rede von einer Verfinsterung der Himmelskörper und einem Herabfallen der Sterne, von einem Erbeben der Erde, einer Zerstörung beziehungsweise Verrückung der Berge und einem die Auferstehung einleitenden Posaunenstoß.
    Dass solche neutestamentlichen Endzeitvorstellungen auch noch im spätantiken nahöstlichen Christentum lebendig waren, belegt etwa ein syrisch-aramäischer Text, dessen Verfasser im Jahre 521 starb: "Die Sonne verfinstert sich, der Mond wird dunkel und die Sterne stürzen nieder. Alle Mächte der Höhe erzittern vor Gottes Herrlichkeit, alle leuchtenden Sterne verlassen ihre Bahnen und sein Glanz allein erstrahlt über die gesamte Schöpfung."
    Es ist denkbar, ja wahrscheinlich, dass Mohammeds Gegner, solche christlichen Gerichtspredigten im Sinne hatten, als sie die Mahnung des Propheten mit den Worten "Fabeln der Altvorderen" schmähten. Vielleicht wurden christliche Gerichtspredigten sogar schon in arabischer Sprache gehalten.
    Allerdings wäre es ein Fehler zu meinen, der Koran würde einfach wahllos in seiner Umwelt vorfindliches christliches Gedankengut reproduzieren. Konsequent vermeidet er beispielsweise die christliche Überzeugung von der Erlöserfunktion Jesu Christi sowie dessen Rolle als endzeitlicher Richter.
    Die frühen Koransuren greifen also nur ganz bestimmte Aspekte des zeitgenössischen Christentums auf, während andere Vorstellungen gezielt ausgespart und später auch ausdrücklich kritisiert werden. Ein solches Vorgehen passt durchaus zur Selbstbeschreibung des Korans als einer göttlichen - Zitat - "Beglaubigung dessen, was vor ihm da war".