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Sure 9 Vers 6
Für die Alten Araber war der Islam zunächst ein Gräuel

In seinem arabischen Herkunftsgebiet stieß der Islam bei den meisten Bewohner anfangs auf Abscheu. Sie beteten Götzen wie al-Uzza an, die arabische Aphrodite. Die ersten Muslime mussten die Götzendiener entweder bekämpfen oder sich von ihnen töten lassen. Deshalb gibt es Gewaltverse im Koran. Andere Verse ermutigen derweil zu friedvollem Verhalten. Was ist nun richtig?

Von Prof. Dr. Roy Mottahedeh, Harvard Universität, Cambridge, USA | 13.01.2017
    "Wenn einer der Götzendiener dich um Schutz bittet, so gewähre es ihm, auf dass er das Wort Gottes hören kann, dann lass ihn an einen Ort gelangen, der für ihn sicher ist. Dies, weil sie Menschen sind, die kein Wissen haben"
    Verschiedene Verse im Koran machen mit den Konzepten für ein gerechtes Verhalten im Krieg vertraut. Dieser Vers folgt unmittelbar auf einen, indem die Götzendiener verurteilt werden.
    Die Sendereihe Koran erklärt als Multimediapräsentation
    Der Islam war in seinem arabischen Herkunftsgebiet für die Mehrheit der dortigen Bewohner ein Gräuel. Die meisten beteten nämlich Götzen wie al-Uzza an, die arabische Aphrodite. Die ersten Muslime mussten diese Götzendiener entweder bekämpfen oder sich von ihnen töten lassen. Das erklärt, warum es Gewaltverse im Koran gibt.
    Andere Passagen wie die eingangs zitierte ermutigen indes zu friedvollem und ehrenhaftem Benehmen sogar gegenüber Götzendienern - erst recht zu Toleranz gegenüber anderen Monotheisten wie Christen und Juden.
    Harvard-Professor Roy Parviz Mottahedeh vor einem Bücherregal.
    Professor Roy Parviz Mottahedeh lehrt an der renommierte Harvard-University. (priv.)
    Wie verschiedene Korankommentatoren darlegen, erstreckte sich das im Vers erwähnte Gewähren eines sicheren Transits durch islamisches Territorium auf Menschen, die in diplomatischer Mission kamen, die Handel trieben und Frieden, Waffenruhe oder ähnliches erreichen wollten.
    Zeitgenössische muslimische Gelehrte argumentieren, die Menschen der Gegenwart lebten überwiegend im sogenannten "Haus des Vertrages", da jeder laut Koran das Recht auf einen Ort habe, "der für ihn sicher ist". Hinzu komme, dass alle als Mitglieder der Vereinten Nationen ein gemeinsames Abkommen unterzeichnet hätten.
    Der Koran akzeptiert religiöse Unterschiede als fortdauernden Zustand der Menschheit. Sure 5 Vers 48 besagt: "Hätte Gott gewollt, er hätte euch zu einer einzigen Gemeinde gemacht - doch wollte er euch mit dem prüfen, was er euch gab. Wetteifert darum um das Gute!"

    Über hunderte Jahre hinweg haben Koraninterpretatoren unter den Mystikern erklärt, der Begriff "Götzendiener" schließe auch Diener des Geldes, der Macht und dergleichen ein. Das sei einer aufrichtigen Hingabe an Gott fremd. Laut Ende des eingangs zitierten Verses haben die Götzendiener einfach nicht verstanden, dass ihre Götter nurmehr Götzenbilder in der physischen Welt oder im menschlichen Verstand sind.
    Ferner besagt der Vers, die Pflicht zur Verbreitung der islamischen Botschaft sei eine höhere Berufung. Einer der bedeutendsten muslimischen Rechtsgelehrten aller Zeiten, der verstorbene Wahbah az-Zuhaili aus Damaskus, hat ein Buch geschrieben, um zu zeigen, dass der Dschihad in der modernen Welt gerade diese Anstrengung meint - also den Islam zu verbreiten und gegen seine Verfälschung anzukämpfen. Aufrufe zum Dschihad - was übersetzt Bemühung, Anstrengung heißt - hätten daher nicht länger etwas mit physischem Kampf zu tun.
    Der Vers stellt ebenso klar, und das spätere islamische Recht bestätigt es, dass Leute, die in der Annahme ins Land kommen, sie hätten sicheren Transit, gegebenenfalls dorthin zurückgeschickt werden sollen, wo sie sicher sind. Dieser Grundsatz steht zum Beispiel einer Geiselnahme von Fremden völlig entgegen.
    Der Vers bringt also Anerkennung dafür zum Ausdruck, dass auch Außenstehende redlich und anständig handeln können - selbst wenn es "Götzendiener" sind.
    Sure 9 Vers 6 wurde im Monat Dhû l-Qa'da des Jahres 9 nach islamischer Zeitrechnung offenbart - und zwar nach dem Friedensvertrag von Hudaybiya, den die Muslime mit den Mekkanern schlossen, und vor der Eroberung Mekkas durch die Muslime.
    Einige Korankommentatoren glauben, der Vers sei durch später offenbarte Verse aufgehoben worden. Viele denken jedoch anders.