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Susanne Regina Meures über "Raving Iran"
"Ich hab nie daran gedacht, den Film abzubrechen"

Ausgelassene Tanzpartys und Raves kennt man seit den 90-er Jahren in Deutschland und ganz Europa. In Ländern des Nahen Ostens wie dem Iran ist diese öffentliche Freizügigkeit undenkbar. Geheime Raves gibt es dort aber trotzdem. Die deutsche Filmemacherin Susanne Regina Meures hat diese verbotene Rave-Szene in dem Film "Raving Iran" dokumentiert.

Juliane Reil im Corso-Gespräch mit Susanne Regina Meures | 29.09.2016
    Entgegen aller Verbote und Drohungen veranstalten die DJs Anoosh und Arash eine Techno Party in der iranischen Wüste. Trotz strikten Verbotes versuchen sie, ihr Album in Teheran illegal zu verkaufen.
    Entgegen aller Verbote und Drohungen veranstalten die DJs Anoosh und Arash eine Techno Party in der iranischen Wüste. (Rise And Shine Cinema)
    Juliane Reil: Susanne Regina Meures, in Ihrem Film "Raving Iran" zeigen Sie illegale Raves in der iranischen Wüste. Können Sie sich an den ersten Rave erinnern, den Sie dort miterlebt haben?
    Susanne Regina Meures: Ja, das kann ich sehr gut. Das war auch der Rave, den ich nachher gefilmt habe.
    Reil: Wie haben Sie diesen Rave erlebt?
    Meures: Also, die Bedingungen sind nicht vergleichbar mit Europa, völlig klar. Die Organisation ist hoch kompliziert. Überhaupt in die Wüste rauszukommen, jemand zu finden, der einen fährt. Das heißt also, es muss ein Bus organisiert werden. Ein Fahrer, der willig ist, auch die jungen Leute dann dahin zu transportieren. Man muss verschiedene Polizeikontrollen überwinden. Aber wenn man dann mal da ist, die Anatomie der Partys unterscheidet sich nicht groß von denen hier.
    Reil: Wie groß ist denn diese Szene? Sind das einzelne Phänomene oder ist es größer?
    Meures: Also, das ist natürlich schwer abzuschätzen. Ich war natürlich auch nur in Teheran. Aber das sind schon recht viele Kids, die sich mit elektronischer Musik befassen. Und das passiert halt entweder in Privaträumen, häufig außerhalb der Stadt, also in Villen von reichen Leuten oder ansonsten im Norden vom Iran, da ist es sehr bergig. Da werden auch relativ viele Raves veranstaltet und sonst halt in der Wüste.
    Kontaktaufnahme per Facebook
    Reil: Ihre beiden Protagonisten Anoosh und Arash, die beiden DJs, die Sie in Ihrem Film begleiten, die – würde ich sagen – gehören ja nicht zur privilegierten Schicht. Wie haben Sie diese beiden DJs gefunden?
    Meures: Nachdem die Idee hatte, einen Film zu machen über die ganze Szene, hab ich mich auf Facebook angemeldet - da war ich noch in Europa – und hab durch Facebook so mal diese ganze Szene beleuchtet. Und hab dann halt so viele Kids angeschrieben, und Anoosh und Arash waren dann halt zwei von den ca. 40 oder 50, die ich kontaktiert hab.
    Reil: Und was sind das für zwei Menschen? Wie haben Sie die erlebt?
    Meures: Sehr offen, sehr interessiert. Beide hatten das große Bedürfnis auch, halt mal in die Welt hinaustreten und eben der Welt zeigen, dass es im Iran noch mehr gibt außer Chados und Mullahs.
    Reil: Und innerhalb dieser Szene, wie muss man die beiden da einordnen?
    Meures: Also, man muss dazu schon sagen, die Szene ist natürlich relativ klein, dadurch, dass das Ganze sehr abgegrenzt ist und sich auch nicht so international vermischt. Es hat schon so recht dörfliche Züge in Teheran, d.h. jeder kennt jeden im Grunde und die beiden sind doch recht bekannt. Und sie legen auf, produzieren aber auch ihre eigene Musik.
    Not macht erfinderisch
    Reil: Die Film-Aufnahmen im Iran haben verdeckt stattgefunden. Sie sind nicht mit einer großen Kamera durch die Gegend gelaufen, sondern mussten erfinderisch sein. Einmal machen Sie sogar heimlich Aufnahmen im Ministerium für Kultur und Islamische Führung, wo Anoosh und Arash eine Bewilligung für ihre Musik einholen wollen. Wie hat das funktioniert, dort zu filmen?
    Meures: Das hat einiges an Vorbereitung gebraucht. Ich habe mir natürlich wirklich überlegen müssen, wie stelle ich das jetzt an, weil im Iran selber konnte ich kein Equipment bekommen, musste also irgendetwas mitnehmen und dann habe ich mich im Endeffekt entschieden, eine Touristenkamera mitzunehmen, mit der man auch filmen kann, relativ unauffällig. Dann hatte ich noch ein iPhone dabei und dann habe ich versucht, mein Ton Equipment per Kurier anonym zu schicken, aber das wurde sofort konfisziert. Und dann habe ich im Endeffekt auf dieser Touristenkamera gedreht. Und Ton-Equipment konnte ich mir dann doch noch im Iran besorgen. Das war zwar auch kompliziert, aber hat dann – Gott sei Dank – geklappt. Und die versteckte Kamera, das war zum Großteil iPhone.
    Susanne Regina Meures von der Zürcher Hochschule der Künste posiert am 19.09.2016 in Berlin auf der Party nach der Verleihung des Nachwuchspreises "First Steps Award 2016" im Theater des Westens mit ihrer Auszeichnung in der Kategorie "Dokumentarfilme" für ihren Film "Raving Iran".
    Susanne Regina Meures posiert nach der Verleihung des Nachwuchspreises "First Steps Award 2016" mit ihrer Auszeichnung in der Kategorie "Dokumentarfilme" für ihren Film "Raving Iran". (picture alliance / ZB / Jens Kalaene)
    Reil: Ein iPhone, das Sie aber nicht vor sich getragen haben, oder? Man marschiert doch nicht ins Ministerium und hat eine weibliche Begleitung, die eine Handy-Kamera vor sich trägt.
    Meures: Nee, natürlich nicht. Ich hab ein Hemd anfertigen lassen im Basar, in dem ich das Telefon versteckt hab. Also recht gefährlich, die ganz Angelegenheit.
    Reil: Wie kommt es, dass Sie sich dieser Gefahr ausgesetzt haben für einen Film, der Ihr Debüt ist. Also ein erstes Projekt und sich einem solchen Risiko aussetzen?
    Meures: Das ist wahrscheinlich eine Frage der Persönlichkeit. Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann ziehe ich das normalerweise durch.
    Gefährliche Bedingungen
    Reil: Für Ihre beiden Protagonisten ist es ja auch sehr gefährlich gewesen, sich auf dieses Projekt einzulassen, weil die Chance entdeckt zu werden, mit Musik, die eigentlich illegal ist im Iran. Das ist gefährlich gewesen, haben Sie da jemals Bedenken gehabt oder vielleicht sogar Skrupel, die beiden in dieses Projekt zu verwickeln?
    Meures: Ja, absolut und wir haben natürlich auch häufig darüber geredet. Und sie beide haben auch immer wieder Angst bekommen und das Projekt abgebrochen. Aber wir waren uns immer einig, dass das Material, dass ich dann im Endeffekt habe, das ich halt immer sehr vorsichtig damit umgehen werde. Das heißt, wenn sie jetzt noch im Iran leben würden, dann hätte ich mit Sicherheit da auch einen anderen Film daraus gemacht. Also sehr viel essayistischer, künstlerischer das Material verarbeitet als so, wie es jetzt ist.
    Reil: Sehr oft werden Sie von der Polizei kontrolliert. Es gibt sogar eine Szene, da wird ein Rave von der Polizei gestürmt. Die Aufnahmen brechen abrupt ab. Später erfährt der Zuschauer, dass Anoosh kurzzeitig im Gefängnis ist und Arash entkommen konnte. Wie haben sie die Situation erlebt?
    Meures: Ich muss sagen, diese Party war im Prinzip nur noch so das i-Tüpfelchen auf einem konstanten Stress, den wir hatten. Und es war nicht lustig, ganz klar, aber wir sind halt mit den ganzen anderen Kids rausgestürmt und gegangen, während die Polizisten halt dringeblieben sind und Anoosh festgenommen haben, weil er der DJ war – sozusagen das Oberhaupt.
    Reil: Sie sprachen gerade davon, dass die beiden den Film abbrechen wollten zwischendurch. War diese Erstürmung der Polizei, war das ein Moment für Sie, bei dem sie gedacht haben "Okay, jetzt breche ich dieses Projekt ab."?
    Meures: Nein, der Gedanke ist mir nie gekommen während des Films. Ich hab nie daran gedacht, den Film abzubrechen.
    Reil: Wie kommt das?
    Meures: Also, ich wusste ja auch nicht, wo die Geschichte noch hinläuft. Es war natürlich schon so, dass ich noch verschiedene Hürden zu überwinden hatte, angefangen mit überhaupt ein Visum zu bekommen. Ich war insgesamt sechsmal im Iran und ich musste mich jeweils wieder für ein Touristen-Visum bewerben und wusste nicht, ob ich wieder eines bekommen würde. Das heißt, der Film hätte auch durch mich immer wieder ein abruptes Ende hätte finden können, aber solange ich im Iran war und gefilmt hab, solange wäre ich nicht auf die Idee, den Film abzubrechen.
    "Ganz andere Realität"
    Reil: Im Verlauf des Films war es ja so, dass Anoosh und Arash eine Einladung als DJs zu einer der größten europäischen Techno-Veranstaltungen bekommen, der Street Parade in Zürich. Wie haben die beiden dann in Zürich auf die Freizügigkeit des Festivals reagiert?
    Meures: Von der Sekunde an, wo sie ihren Fuß auf europäischen Boden gesetzt haben, waren sie, glaube ich, total zerrissen und das sieht man auch im Film. Also, es war einerseits das erste Mal, dass die Träume, die sie diese 25 Jahre hatten, wurden wahr und andererseits wurden sie halt auch mit einer ganz anderen Realität konfrontiert. Ja, ich glaube, es war nicht einfach für sie.
    Reil: Während dieses Aufenthaltes überlegen sie eben die ganze Zeit sollen sie zurückgehen in die Heimat, und es gibt einen sehr bewegenden Moment, wie ich finde, dass eine der beiden Mütter ihrem Sohn am Telefon sagt, dass er nicht zurückkommen soll, weil die Situation im Iran eben so gefährlich ist. Wie sind sie mit dieser Emotionalität der Situation des Entscheidens, ob die beiden zurückgehen sollen oder nicht, umgegangen?
    Meures: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass war eine sehr kurze Zeit, und ich hab davon nicht so viel mitbekommen, weil die beiden so sehr für sich waren. Sie haben die ganze Zeit Farsi gesprochen und es fand wenig Interaktion zwischen uns statt. Deswegen, ich war nicht involviert in den ganzen Entscheidungsprozess.
    Reil: Haben Sie heute noch Kontakt zu Anoosh und Arash?
    Meures: Ja, hab ich.
    Reil: Was machen die beiden?
    Meures: Sie legen jetzt auf. Also, sie fangen jetzt an Fuß zu fassen in der europäischen DJ-Szene und sind unterwegs in verschiedenen Clubs.