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Suzan-Lori Parks
Episches Drama gegen das Vergessen

Pulitzer-Preisträgerin Suzan-Lori Parks erzählt die Geschichte der Afroamerikaner als eine Art Totenbuch, das ständig neu geschrieben wird. Vollgepackt mit Ironie, Witz und viel Jazz wirft sie in ihrem Theaterstück einem von Polizeigewalt und rassistischer Hetze geprägten Amerika eine Zeremonie des Überlebens entgegen.

Von Andreas Robertz | 14.11.2016
    Die US-amerikanische Autorin und Dramatikerin Suzan-Lori Parks bei den Tony Awards 2012
    Die US-amerikanische Autorin und Dramatikerin Suzan-Lori Parks (picture alliance / dpa / Jason Szenes)
    "The Death of the last Black Man in the Whole Entire World aka The Negro Book of the Death" - allein dieser Stücktitel verrät, dass Autorin Susan-Lori Parks sich nicht Kleineres vorgenommen hat, als die Kulturgeschichte des schwarzen Amerikas neu zu schreiben. Assoziativ um das Grundthema der unaufhörlichen Vernichtung des schwarzen Körpers gebaut, springt sie dabei in tausenden Jahren Kulturgeschichte hin- und her, vom alten Ägypten bis hin zur Black Lives Matter Bewegung der Gegenwart.
    "I am broadcaster. Headline tonight: The news is: Gamble Mayor, the absolutely last livin' Negro man in the whole entire known world - is dead.”
    Erbe der afroamerikanischen Identität
    Ein Mann, den sie "Black Man with Watermelon" nennt, stirbt, aber sein Geist kann keine Ruhe finden. Seine Frau, "Black Woman with fried Drumsticks", trauert um ihn, spricht unaufhörlich mit seinem Geist: zwei Figuren im Limbo, die sich erinnern. Zum Beispiel an die Felder, auf denen sie als Sklaven gearbeitet haben, an die Zeit, als gelynchte Schwarze zu Tausenden an den Bäumen der Südstaaten hingen, an die Ertränkten und Hingerichteten, an die Proteste der 60er Jahre und an das geröchelte: "I can’t breath" des Eric Garner, der 2014 von Polizisten in New York erwürgt wurde.
    "Must have rained. Uh! Our crops have prospered. Must have rained why ain’t that somethin’ - uh - why aint that somethin’ somethin’ - uh! - somethin’ nice.
    Doch das Stück ist kein Beklommenheitsdrama, sondern ein kunstvolles großes Gedicht im Stil des Poetry Slam. Ein neunköpfiger Chor aus illustren Gestalten mit so seltsamen Namen wie "Yes and Green Black-Eyed Peas Cornbread" oder "Lots of Grease and Lots of Pork" oder "And Bigger and Bigger and Bigger" bevölkert die Bühne, singt, tanzt und stirbt immer wieder aufs Neue. Die Namen haben alle etwas mit Klischees zu tun, mit denen man sich über Schwarze in den USA lustig gemacht hat. Gleichzeitig gehören sie zum Erbe der afroamerikanischen Identität. Immer wieder sagt eine Figur: "Schreib es auf! Schreib es auf und leg es unter einen Stein, damit sie nicht behaupten können, es hätte uns nie gegeben." Dazu sagt Regisseurin Lileana Blair-Cruz:
    "Wo wir politisch jetzt stehen, ist beängstigend. Es gibt so viele Beispiele für die Gewalt gegen Schwarze. Aber was mir wichtig bei all den Fällen von Polizeigewalt scheint, ist, dass es die zunehmende Tendenz gibt, die Vorfälle aufzuschreiben, die Namen der Gestorbenen aufzuschreiben und sie immer wieder laut zu nennen."
    Auf der Suche nach Frieden
    Die Regisseurin hat sich für eine leere Bühne entschieden, denn in Suzan-Lori Parks Stück ist die Sprache der Ort des Geschehens. Dafür sind die Kostüme wunderbar pointiert. Zum Beispiel der elegante Gehrock des schwarzen Plantagenbesitzers, das schneeweiße Kleid des Sklavenmädchens oder die roten Sneaker und die Kapuzenjacke einer Figur, die an Trayvon Martin erinnert, jenen 2012 in Florida erschossenen Jugendlichen, dessen Tod die größten landesweiten Proteste seit der Bürgerrechtsbewegung vor 50 Jahren auslöste. Immer wieder unterbricht der Chor mit Witz und Ironie.
    "Now: Ours laughed one day uhloud in from thuh sound hittin thuh air smakity sprung up I, you, He, She, It."
    Und immer wieder läuft "Black Man with Watermelon" mit einem Strick um den Hals zwischen dem Chor hin- und her auf der Suche nach Frieden. Für Regisseurin Lileana Blair-Cruz ist Suzan-Lori Parks Text aber auch eine Würdigung der schwarzen Kultur, ihrer Musik, ihrer Sprache und der Kraft ihres Überlebenswillens.
    "Es gibt hier aber auch eine Zelebration von schwarzer Kultur, die Chance von Freude und Kraft und Stärke. Und das ist gerade jetzt sehr wichtig."
    Kraft aus der Geschichte ziehen
    In "The Death of the last Black Man in the Whole Entire World aka The Negro Book of the Death" hat Susan-Lori Parks das Motto der neuen Protestbewegung "Black Lives Matter" ganz wörtlich genommen und einen wildpoetischen Text über den Reichtum und die Kraft der afroamerikanischen Geschichte geschrieben, eine Geschichte, die wie seine Menschen zählt - "matters". Angesichts eines republikanischen Präsidenten, der sich im Wahlkampf populistisch der Ängste vieler Amerikaner bedient und sich demonstrativ hinter das Vorgehen der Polizei gestellt hat, wird es wichtig sein, Kraft aus dem Erbe der eigenen Geschichte zu ziehen und sich nicht in ein Gefängnis aus Angst und Paranoia einsperren zu lassen.