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Swiss-Leaks
"Banken müssen sittenwidrige Geschäfte einfrieren"

"Wir sprechen hier über Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Terrorfinanzierung, Verstöße gegen das Kriegswaffen-Kontrollgesetz", sagte der ehemalige Steuerfahnder Rudolf Schmenger im DLF. Die Aufdeckung der dubiosen Geschäfte der Schweizer Bank HSBC berge politische Sprengkraft - auch weil der Skandal zeige, wie wenig Deutschland auf der Höhe der Zeit sei.

Rudolf Schmenger im Gespräch mit Jasper Barenberg | 11.02.2015
    Menschen auf einer Rollstreppe, im Hintergrund das spiegelverkehrte Logo des HSBC-Bank.
    Die Machenschaften der Bank HSBC sorgt weltweit für Empörung. (picture alliance / dpa / David G. Mcintyre)
    Dirk Müller: Ein internationales Recherche-Netzwerk hat es aufgedeckt: Swiss-Leaks ist das Stichwort. Es geht um milliardenfache Steuerhinterziehung mit Hilfe des Schweizer Ablegers der Großbank HSBC. Zu den Kunden zählten Politiker, Sportler, Künstler, auch Kriminelle und Diktatoren. Vor acht Jahren sind die Daten an die französischen Behörden weitergeleitet worden. Mein Kollege Jasper Barenberg hat darüber mit dem früheren Steuerfahnder Rudolf Schmenger gesprochen. Seine erste Frage: Hat dieses Ausmaß überrascht?
    Rudolf Schmenger: Dieses Material hat politischen Sprengstoff, weil es zeigt auf, dass man über einen sehr langen Zeitraum in Deutschland die Kapitalflucht nicht ernst genommen hat, und leider wurden diese Verfahren in Deutschland auch nicht organisiert auf die Steuerfahndungsstellen beziehungsweise zur Staatsanwaltschaft weitergeleitet, weil es hätte meines Erachtens federführend eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft dieses qualifizierte Kontrollmaterial abarbeiten müssen. Nur so wäre sichergestellt gewesen, dass man heute die Fragen beantworten kann, die man leider nicht beantworten kann.
    Jasper Barenberg: Welche Fragen kann man denn nicht beantworten?
    Schmenger: Man kann zum Beispiel diese Fragen nicht beantworten: Wie viele Fälle sind überhaupt eingegangen in Deutschland? Welche Steuerfahndungsstelle hat welche Fälle bearbeitet? Welche Fälle wurden mit welchen Mehrsteuern abgeschlossen? Welche Steuerfahndungsstelle hat welche Beihilfehandlungen gegen verantwortliche Mitarbeiter veranlasst und durchgeführt? Das sind alles Fragen, die auch Schattenseiten auf die Ermittlungstätigkeit im eigenen Land aufwerfen.
    Andererseits hat dieses Material natürlich schon eine gewisse Brisanz, weil es wurde minuziös aufgezeigt, wie man hier Milliarden-Geschäfte mit Kriminellen in der Schweiz zumindest in der Vergangenheit abgewickelt hat. Weil man darf ja nicht verkennen: Wir haben hier Nummernkonten, wir reden über Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Terrorfinanzierung, über Verstöße gegen das Kriegswaffen-Kontrollgesetz, Korruption, und deshalb haben wir hier einerseits für die Ermittlungsbehörden einen Jahrhundertfund; andererseits hat dieses Material aber, wie schon eingangs ausgeführt, politische Sprengkraft, weil man auch endlich in Deutschland der Bevölkerung erklären muss, dass die Steuerfahndungsstellen gar nicht dieses Personal aufweisen, das sie dringend bräuchten, um all die Anzeigen nach dem Legalitätsprinzip abzuarbeiten.
    "Es wird noch sehr viel mehr sein"
    Barenberg: Lassen Sie uns vielleicht die Aspekte der Reihe nach noch mal ein bisschen vertiefen, Herr Schmenger. Was dieses Material selber angeht, sagt der Informant selbst, Hervé Falciani, das sei nur die Spitze des Eisberges. Würden Sie nach all dem, was Sie wissen, sagen, das kann sehr gut sein, da kann noch viel mehr sein an Unterlagen?
    Schmenger: Es wird sehr viel mehr sein, weil man darf nicht die anderen Banken aus dem Fokus verlieren. Wir haben hier jetzt betreffend einer Privatbank mit Sitz in Genf diese Unterlagen und die Bankkunden, die haben ja gewisse Vorstellungen und gehen zu ihrer Bank, und was die Bank A nicht bietet, das wird die Bank B oder die Bank C dann zur Verfügung stellen und wird die Transferwege ermöglichen. Das heißt, das ist ein knallhartes Geschäft und hier kann man sich natürlich über Ethik und über all diese Fragen austauschen. Ich vertrete die Auffassung, nachdem jetzt diese Vorgehensweise bekannt wurde, dass Banken Glaubwürdigkeit nur dann zurückerlangen können, wenn sie diese sittenwidrige Geschäfte einfrieren und mit den betroffenen Staaten Regelungen finden, dass die betroffenen Staaten zu dem Geld gelangen, das ihnen per Gesetz sowieso zustehen würde.
    Dienstmarke eines Steuerfahnders auf einer Akte des Finanzamts
    "Wir brauchen dringendst eine Bundessteuerfahndung", sagt Schmenger. (dpa / picture-alliance / Uli Deck)
    "Wir brauchen dringendst eine Bundessteuerfahndung"
    Barenberg: Was die Kunden aus Deutschland angeht dieser Bank, da scheint es ja so zu sein, dass die Liste der Betroffenen im Grunde doppelt so lang ist wie gedacht, dass aber die deutschen Behörden gar nicht alle Informationen aus Frankreich übermittelt bekommen haben. Da ist von 2.106 Kunden mit Bezug zu Deutschland die Rede; übermittelt haben die Behörden aus Frankreich aber nur 1.136. Jedenfalls so vielen Fällen sind die Behörden in Deutschland nachgegangen. Wie erklären Sie sich das?
    Schmenger: Das ist menschliches Versagen einerseits. Spannend wird die Frage sein, das wird auch in den nächsten Tagen dann publik werden, wie viele Fälle gingen tatsächlich nach Deutschland, sind vielleicht sogar in Deutschland Fälle versandet. Das ist auch ein Phänomen, dass natürlich dann die, die Datenzugriff haben, ihre menschlichen Züge walten lassen. Dann kann es zum Beispiel passieren, dass Fälle aussortiert werden. Die Fahndung unterliegt keiner Kontrolle. Das heißt, wir brauchen dringendst eine Bundessteuerfahndung und neben der Bundessteuerfahndung auch eine vernetzte EU-Fahndung. Nur so können wir überhaupt im Rahmen der Globalisierung dieser ganzen Kapitalwanderungen Herr werden. Das heißt, wenn wir natürlich nicht mal im eigenen Land professionell aufgestellt sind, wie wollen wir dann im Rahmen der Globalisierung unseren Bürgern wirklich seriös mitteilen, dass wir hier auf Augenhöhe uns mit diesen Kriminellen duellieren können.
    Barenberg: Sie haben ja selbst als Steuerfahnder gearbeitet. Sie sagen also auch aus eigener Erfahrung, dass die Behörden in Deutschland einfach nicht gut aufgestellt sind bei dieser Art von Delikten in dieser Größenordnung.
    "Wir brauchen Vordenker beim Thema Kapitalflucht"
    Schmenger: Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen: Wir leben nicht mehr in den 60er-, 70er-Jahren, sondern es hat sich im Rahmen der Globalisierung vieles verändert. Die Transferwege heute: In Bruchteilen von Sekunden können Sie Gelder von Deutschland über Schweiz nach Singapur und wieder zurück transferieren. Das sind alles Dinge, die natürlich für eine Ermittlungsbehörde hoch kompliziert sind, wenn sie nicht auf dem Stand der Technik sich befindet.
    Wir bräuchten meines Erachtens in unserem Land wirkliche Insider und Vordenker, die der Politik mit Rat zur Seite stehen und den Politikern wirklich aufzeigen, was ist heute überhaupt alles möglich, über was reden wir überhaupt, wenn wir über Kapitalflucht reden. Ich habe teilweise die Wahrnehmung, dass unsere Politiker sich über Dinge gegenüber der Bevölkerung einlassen, die sie im Kern gar nicht verstanden haben und auch nicht verstehen können. Das ist das Dilemma, in dem wir uns heute befinden.
    Müller: Mein Kollege Jasper Barenberg im Gespräch mit dem früheren Steuerfahnder Rudolf Schmenger.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.