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SWR-Symphonieorchester
Große Hoffnungen ruhen auf Currentzis

Teodor Currentzis soll es ab der Saison 2018/19 in Stuttgart richten: Dort sitzt das SWR-Symphonieorchester, das aus der Fusion der beiden Klangkörper des Südwestrundfunks entstanden ist. Nun hat der Grieche das Orchester erstmals dirigiert - und mit Bruckner sich und dem Orchester einiges abverlangt.

Von Ines Stricker | 22.01.2018
    Der griechische Dirigent Teodor Currentzis dirigiert am 07.11.2017 in Baden-Baden (Baden-Württemberg) im Festspielhaus die Oper La Boheme.
    Teodor Currentzis wird der erste Chefdirigent des SWR-Symphonieorchesters (picture alliance/dpa - Sebastian Gollnow/dpa)
    Musik: Bruckner, Sinfonie Nr. 9
    Die aktuelle Saisonbroschüre nennt die drei Hauptmerkmale des noch jungen SWR Symphonieorchesters: erstens, es sei "der Avantgarde in besonderer Weise verpflichtet", zweitens "verwurzelt in der Tradition des klassisch-romantischen Orchesterrepertoires" und ausgestattet drittens "mit besonderen Ansätzen in der historisch informierten Aufführungspraxis". Das klingt nach einer schlichten Aufzählung der höchst unterschiedlichen Profile von Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR und Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, ehemals eigenständig, nun fusioniert, zusammengefasst unter dem Motto "muss passen".
    Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekam den Musik-Gordi
    Der Beschluss zur Fusion liegt nun gut fünf Jahre zurück. Im September 2012 hatte der Rundfunkrat die Entscheidung mit großer Mehrheit getroffen, zum Zweck des Sparens. Der folgende Aufschrei in der Kulturszene und den Medien ging weit über die baden-württembergischen Landesgrenzen hinaus. Hunderte von Komponisten und Dirigenten weltweit protestierten, der Deutsche Musikrat verlieh Ministerpräsident Winfried Kretschmann gar den Musik-Gordi, eine Art goldene Zitrone. Genützt hat das alles nichts, seit der letzten Saison spielen die Musiker der beiden Orchester gemeinsam, in wechselnden Besetzungen und bisher auch unter wechselnden Dirigenten.
    Kein Wunder, dass auf Teodor Currentzis, dem mit 45 Jahren noch sehr jungen, aber schon international renommierten künftigen Chefdirigenten, große Hoffnungen ruhen. Und wirklich, Currentzis hat seine ersten Auftritte mit dem Orchester klug konzipiert. Die von ihm dirigierte neunte und letzte Sinfonie Anton Bruckners verlangt dem Orchester wie Dirigent alles ab: Es gibt teilweise extreme Gegensätzen zwischen Kammermusik- und wuchtigem Orchesterklang rasante dynamische Steigerungen.
    Musik: Bruckner, Sinfonie Nr. 9
    Teodor Currentzis kennt die beiden SWR-Vorgängerorchester und ihr spielerisches und klangliches Potenzial schon seit Jahren. Trotzdem zeugt es von Selbstbewusstsein, die erst seit Kurzem vereinigten Spieler gleich so zu fordern, zumal ihm für die Proben – wie im internationalen Konzertbetrieb üblich – nur ein paar Tage zur Verfügung standen. Aber der künftige Orchesterchef, das wurde bei seinem Gastspiel ganz eindeutig klar, hält nichts von halben Sachen.
    Unprätentiös und hoch konzentriert erschien Currentzis auf der Bühne der Stuttgarter Liederhalle, leitete mit Verve durch Bruckners zum Teil mächtige Klangkaskaden, die hier transparent erschienen, so dass die vorzüglichen Holzbläser klar heraustraten, und formte andererseits mit häufig ausladenden, aber weichen Gesten einen seidig-weichen, elastischen Streicherton.
    Teodor Currentzis - eigenwillig und fordernd
    Teodor Currentzis ist ein eigenwilliger Typ, der sich selbst vollkommen verausgabt, dasselbe aber auch vom Orchester fordert. Nicht alles lief glatt, nicht immer sammelten sich die Instrumentengruppen in Bruckners monumentalem letztem Werk geschlossen hinter dem Dirigenten, sodass es vereinzelt durchaus zu Spannungsverlust und Ungenauigkeiten kam. Umso beeindruckender war deshalb, wie Currentzis mit stellenweise energischen Gesten die Musiker immer wieder ins Boot holte und vereinigte, die Orchestercrescendi sehr konsequent und präzise aufbaute und auch in Pianissimo-Passagen die Spannung hielt.
    Eigenwillig auch die Programmierung: Anton Bruckners letzte Sinfonie ist dem lieben Gott gewidmet, an ihr hat der strenggläubige Katholik über einen Zeitraum von neun Jahren hinweg gearbeitet, bis zu seinem Tod im Mai 1896, ohne sie vollenden zu können. Fertig geworden sind nur drei Sätze, Bruckner selbst hatte als Ersatz für den fehlenden vierten sein "Te Deum" vorgeschlagen. Teodor Currentzis hat sich, wie viele seiner Kollegen, nicht daran gehalten. Statt einer wie auch immer gearteten Rekonstruktion in ähnlichem Stil dirigierte er nach dem langen Hörnerausklang des dritten Bruckner’schen Satzes György Ligetis "Lontano" für großes Orchester aus dem Jahr 1967 – ein scheinbar kühner, aber beim Hören völlig logisch erscheinender Übergang von der erahnten Ewigkeit Bruckners zu Ligetis instrumental strukturiertem endlosem Fließen.
    Musik: Ligeti, Lontano für großes Orchester
    Die Musikerinnen und Musiker des SWR Symphonieorchesters, so war im Vorfeld zu vernehmen, freuen sich auf die Zusammenarbeit mit Teodor Currentzis. Das war beim Antrittsbesuch des neuen Chefdirigenten auch zu spüren. Über weite Strecken entstand an dem eindrucksvollen Abend der Eindruck einer Verschmelzung von Dirigent und Klangkörper oder zumindest der Wunsch danach.
    Hoffnung auf eine neue Klangkultur
    Currentzis seinerseits hat es in einem Interview einmal als Fehler bezeichnet, zwei exzellente Orchester zu zerstören. Nun setzt er, das wird deutlich, viel daran, aus dem daraus hervorgegangenen Orchester alles herauszuholen, was die beiden Vorgänger ausgezeichnet hat.
    Wenn die Zukunft hält, was dieser erste Eindruck verspricht, dann könnte der zum einen selbstbewusste, zum anderen kompromisslos auf musikalische Exaktheit bedachte neue Chef das SWR Symphonieorchester tatsächlich zu einer neuen und besonderen Klangkultur führen. Grund zur Hoffnung gibt es jedenfalls.
    Musik: Bruckner, Sinfonie Nr. 9