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Symphonie der Trauer
Engel des Grauens

Ein Cover wie aus der Death-Metal-Schmiede, dazu die hör- und spürbare Verzweiflung des Komponisten über den Tod zweier geliebter Menschen: Die Neu-Aufnahme mit den Essener Philharmonikern unter der Leitung von Tomáš Netopil erweckt das wenig bekannte Meisterwerk der Spätromantik, die Symphonie in c-Moll ("Asrael") von Josef Suk, zu neuem Leben.

Von Johannes Jansen | 14.05.2017
    Sensenmann ist am Samstagabend (17.07.2010) im Schlossgarten auf dem Mittelalterlichen Phantasie Spectaculum in Bückeburg zu sehen.
    Endzeitstimmung und Todesraunen bestimmen das Werk Josef Suks (picture alliance / dpa / Peter Steffen)
    MUSIK: Josef Suk, 1. Satz aus: Symphonie in c-Moll, op. 27 "Asrael"
    Eine gewisse Furchtlosigkeit sollte mitbringen, wer diese neue CD zum ersten Mal ins Abspielgerät legt. Aber der Mut wird belohnt. Drücken wir also beherzt auf die Starttaste. Am Mikrofon: Johannes Jansen.
    Schon die Cover-Gestaltung könnte man als Warnung verstehen: Auf tiefschwarzem Grund, halb verdeckt von roten Blockbuchstaben, prangt Asrael, der Todesengel. In der einen Hand das Stundenglas, in der anderen die Sense und auf einem Spruchband, das um Beine und Lenden weht, eine Zeile von Ovid: finis coronat opus. Das Ende krönt das Werk. Um soviel vorwegzunehmen: Es handelt sich hier nicht um Rockmusik für böse Jungs aus sinistrer Death-Metal-Schmiede, und das krönende Ende fällt auch eher leise aus. Die 60 Minuten bis dahin aber führen durch abgründige symphonische Gefilde. Pauken und Große Trommel, wie überhaupt die Instrumente der tieferen Region, finden ausgiebig Verwendung in dieser Symphonie in c-Moll ("Asrael") von Josef Suk in einer beim Label Oehms Classics erschienenen Neu-Aufnahme mit den Essener Philharmonikern unter der Leitung von Tomáš Netopil.
    Endzeitstimmung und Todesraunen gehören zur DNA spätromantischer Musik an der Schwelle zur Moderne. Aber nicht immer ist als tatsächlicher oder vorweggenommener Bezugspunkt und Quelle aller Düsternis der Erste Weltkrieg anzunehmen. Niemand muss die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts bemühen, um den Schlüssel zu dieser Symphonie zu finden. Er liegt allein in der Verzweiflung des Komponisten über den Tod zweier geliebter Menschen. Schicksalsschläge von solcher Wucht, die ihn im Abstand nur eines Jahres trafen, zerstören einen Mann - oder wecken alles an Kraft, was in ihm steckt.
    So sah es Josef Suk, der eine Trauersymphonie im Gedenken an seinen Schwiegervater Antonín Dvořák begonnen hatte. Eine Arbeit, die ihn bis an die Grenzen forderte. Noch ehe sie vollendet war, verlor Suk seine Frau, Otilie, Dvořáks Tochter. Leid türmte sich auf Leid und formte den Prozess des Schaffens: eine Qual, aber auch ein Weg, den Schmerz zu überwinden. Einen bereits begonnenen vierten Satz verwarf der Komponist, schrieb ihn neu und fügte noch einen fünften Satz hinzu. Hier der Beginn des dritten, in dem das Blitzen der Sense in den schneidenden Dissonanzen unschwer auszumachen ist - und in den Synkopen vielleicht der Hack-Rhythmus eines Tanzes mit dem Todesengel.
    MUSIK: Josef Suk, 3. Satz aus: Symphonie in c-Moll op. 27 "Asrael"
    Auch ohne weit außerhalb von Suks eigener Vorstellungswelt liegende Hollywood-Assoziationen erschafft diese Musik Momente der Angst. Hoffnung und verklärende Erinnerung schimmern zuweilen auf, aber das Grundmotiv ist alptraumhafte Trauer und überlagert auch den zarten Sostenuto-Mittelteil des dritten Satzes, in dem sich alles wie zu einer Symphonie in einer Symphonie verdichtet.
    Die vielen Schichten der Partitur offenzulegen, setzt eine tiefe Werkkenntnis und überdurchschnittliche Probenintensität voraus. Hier kommt der Chef der Essener Philharmoniker, Tomáš Netopil, ins Spiel. Geboren in Kroměříž (Kremsier), woher auch der bedeutende Dirigent und Suk-Vertraute Václav Talich stammt, verbindet Netopil wahrscheinlich mehr mit diesem Werk als die meisten Dirigenten seiner Generation, ob Tschechen oder nicht. Wie Suk und Talich, die beide große Geiger waren, ist auch Netopil als Streicher ausgebildet. Die Vermutung, das habe ihm bei der akribischen Erarbeitung des "Asrael" mit seinen Essenern genützt, bestätigt sich in allen Registern dieser ebenso kniffligen wie nuancenreichen Partitur.
    MUSIK: Josef Suk, 4. Satz aus: Symphonie in c-Moll, op. 27 "Asrael"
    Hinter der exzellenten Streichergruppe stehen Bläser und Schlagwerk nicht zurück, doch wird bei ihnen deutlicher, dass Netopil Transparenz mehr schätzt als Saft und Kraft. Das zeigt exemplarisch der "Otilie"-Satz, über dessen an Dvorák gemahnenden Märchenzauber sich zum Ende ein Schleier legt, den es dann mit Eintritt des Finales brutal zerreißt. Auch hier verleitet Netopil sein Orchester nicht zum Exzess, sondern behält das Ganze im Blick als ein Tableau vielfach gebrochener Klangschönheit, dessen Komplexität sogar manches von Mahler übertrifft.
    MUSIK: Josef Suk, 5. Satz aus: Symphonie in c-Moll, op. 27 "Asrael"
    Zu einer rundum überzeugenden Einspielung wird diese "Asrael"-Symphonie auch dadurch, dass ihr nicht der teilweise fehlerhafte Erstdruck und Stimmensatz aus dem Jahr 1907 zugrunde liegt, sondern eine Neu-Edition nach einer von Vaclav Talich mit dem Komponisten abgestimmten Aufführungspartitur aus dem Jahr 1922, die man angesichts der Überlieferungslage wohl als Fassung letzter Hand betrachten muss.
    Neben vielen Abweichungen im Detail umfasst sie vor allem einen auf sechs Hörner aufgestockten Bläserapparat, um dem "Pedalklang" im Orchester - oder, mit Talichs Worten, »der Weichheit der Kraft« - noch etwas aufzuhelfen. Gute Arbeit ist auch der Aufnahmetechnik zu bescheinigen, die kein über-räumliches, doch tief gestaffeltes Klangbild realisiert.
    Gewöhnungsbedürftig bleibt das Cover, das man sich auch als Tankverzierung auf einem schweren Motorrad oder der Kutte seines Fahrers vorstellen könnte. Aber, um das Gedankenspiel noch etwas weiter zu treiben: Diese "Asrael"-Symphonie könnte auch den härtesten Kerl zur Sanftmut und Läuterung bewegen, allein schon durch den letzten Satz. Nach schwerem Kampf, im Pianissimo und etwas fahl in der Instrumentation mit gedämpftem Blech, aber in reinstem C-Dur leuchtet uns das Ende mild entgegen.
    MUSIK: Josef Suk, 5. Satz aus: Symphonie in c-Moll op. 27 "Asrael"
    Ein wenig bekanntes Meisterwerk der Spätromantik, die Symphonie in c-Moll für großes Orchester ("Asrael") von Josef Suk, ist in einer Aufnahme mit den Essener Philharmonikern unter der Leitung von Tomáš Netopil beim Label Oehms Classics erschienen. Mit den Schlusstakten dieser ohne Abstriche empfehlenswerten Interpretation verabschiedet sich am Mikrofon Johannes Jansen.
    CD-Infos:
    Josef Suk, Symphonie in c-Moll op. 27 ("Asrael")

    Essener Philharmoniker, Ltg. Tomáš Netopil
    Oehms Classics (LC 12424), Best.nr. 4260330918659 (EAN)