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Symposium über Schönheit und Wahrheit
Zu schön, um nicht wahr zu sein?

Das Gute, Schöne, Wahre: Wie passen diese Begriffe zusammen, wie verhalten sie sich zueinander? Platon stellte als erster diese Fragen, die heute noch Generationen von Philosophen beschäftigen. Das Einstein Forum in Potsdam hat nun ein Symposium zum Thema: "Schönheit und Wahrheit" veranstaltet

Von Cornelius Wüllenkemper | 16.06.2018
    Raffaels "Schule von Athen"
    Raffaels Fresko "Schule von Athen", in dessen Zentrum die Philosophen Platon und Aristoteles stehen (imago/Imagebroker)
    Auch das Potsdamer Symposium wagte sich, wie Platon sagte, auf die "hohe See des Schönen". Gibt es reine Schönheit? Und wenn ja, wo finden wir sie? Der Experimentalphysiker Thomas Naumann vom Europäischen Zentrum für Kernforschung etwa widersprach der idealistischen Idee einer zweckfreien Schönheit.
    "Unsere Erfahrung zeigt, dass viele Wissenschaftler sich von Kriterien von Schönheit haben leiten lassen, versucht haben möglichst einfache, ästhetische und harmonische Formeln zu finden, und das hat auch häufig geklappt. Wenn ich mich auf die Wissenschaft beschränke ist es so, dass Schönheit auch heißt Funktionalität. Die Formeln müssen funktionieren, sie müssen passen auf die Wirklichkeit."
    Schönheit als Versprechen
    Schönheit sieht Naumann als möglichen, aber nicht immer verlässlichen Weg zur funktionalen Wahrheit. Den Philosophen wiederrum gilt für die Schönheit das gleiche wie für die Wahrheit und auch die Liebe: Sie ist zweckfrei, besteht aus sich selbst heraus. Wie aber konnte Platon an das Schöne in der Welt glauben, wenn er den Peloponnesischen Krieg, die Kapitulation seiner Heimat Athen und das Todesurteil gegen seinen geliebten Lehrer Sokrates miterlebte? Amber Carpenter, Professorin für Philosophie an der Yale-University gab die Antwort.
    "Die Vorstellung von der Schönheit der Realität ist eher ein Bestreben, eine Hoffnung. Sie ist das Versprechen, dass die unbegreifliche Hässlichkeit der Welt und das unfassbare Verhalten von Menschen gegenüber anderen Menschen, eben nicht alles ist. Ein Versprechen, dass das Leben mehr ist als ein endloses Abwägen von Elend und Vergnügen, bei dem man stets versucht, selbst auf der richtigen Seite zu stehen. Die Realität ist größer als das Gute oder das Schlechte an einem einzelnen Ort. Und die Machthaber haben nicht alleine deshalb Recht, weil sie an der Macht sind. Wer an die Schönheit der Realität glaubt, der glaubt zugleich daran, dass wir die Wahrheit erkennen können, ganz egal, ob sie gerade unseren Interessen dient oder nicht."
    Nackte Wahrheit
    Die Suche nach der Essenz des Guten, Wahren und Schönen bezeichnete der Hamburger Germanist und Publizist Jan Philipp Reemtsma als "philosophischen Spleen". Die menschliche Sehnsucht, den Kern der Schönheit und Wahrheit zu erkennen, habe derweil auch die Kunstgeschichte geprägt. An Bildern von Botticelli bis zu Klimt untersuchte Reemtsma eine Ikonographie, die Wahrheit, Schönheit und Nacktheit zusammenbringt.
    "Wenn nun die Malerei sich der Wahrheit als Personifikation – der Liebesgöttin meistens – annimmt, dann wird sie ausgezogen! Und so gibt es in der Moderne viele Bilder der nackten Wahrheit, es gibt sie bei Schiele, es gibt sie bei Klimt, und bei Hodler. Und sie fragen sich: wieso eigentlich, wenn es nicht in diesem Enthüllungstrieb läge, der Wahrheit und Schönheit zusammenbringt?"
    Als aktuelle Beispiele zog Reemtsma Überraschungs-Eier und die so genannten Unboxing-Videos heran, die Konsumenten beim schnöden Auspacken beliebiger Waren zeigen: Der Mensch folge seinem Zwang, die fassbare Realität zu entkleiden, um einen tieferen Sinn dahinter zu erkennen – auch wenn dort nichts Nennenswertes zu finden ist.
    Dass Wahrheit und Schönheit zumindest eng beieinanderliegen, gilt seit Platon bis heute, für Künstler, Philosophen und für Physiker. Das wurde auf dem Symposium im Einstein Forum deutlich. Für den, der daran glaubt, dass die Welt grundsätzlich gut beschaffen sei, ändern daran auch die unumgänglichen hässlichen Wahrheiten nichts.