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"Syndrom der Kränkung und Dauer-Beleidigtsein"

Zwar erwartet der Politologe Hamed Abdel-Samad als Reaktion auf die geplante Koran-Verbrennung eines evangelikalen Priesters in den USA "auf jeden Fall Wut und Demonstrationen". Langfristig hofft er aber, dass die islamische Welt ihre Energien positiver investiert.

Hamed Abdel-Samad im Gespräch mit Christoph Schmitz | 08.09.2010
    Christoph Schmitz: Heute Abend, gleich um 18 Uhr, wird einer, der in der muslimischen Welt meist gehasste Europäer einen Medienpreis erhalten: der dänische Karikaturist Kurt Westergaard. Mit seinen Zeichnungen des Mohammeds mit Sprengstoff-Turban hatte er weltweit für böses Blut gesorgt und ist Anfang des Jahres knapp einem Mordanschlag entkommen. Politisch brisant ist, dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel der Preisverleihung der Journalistenvereinigung M100 in Potsdam beiwohnen wird.

    Zugleich plant ein evangelikaler Pastor in Florida, am 11. September den Koran zu verbrennen. Wie wird die muslimische, die islamische Welt darauf reagieren?

    – Der 1972 in Kairo geborene deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad erforscht den Zustand der islamischen Welt heute. In seinem neuen Buch heißt es, "Die islamische Welt hat ihr kulturelles Konto überzogen und lebt sträflich über ihre Verhältnisse. Was der Islam nun braucht, ist eine Inventur, durch die er sich von vielen Bildern trennen muss: Gottesbilder, Gesellschaftsbilder, Frauenbilder, Vor- und Feindbilder", so Abdel-Samad.

    Dient es der islamischen selbstkritischen Inventur, wenn heute Abend Bundeskanzlerin Merkel dabei ist, wenn der Mohammed-Karikaturist Westergaard einen Medienpreis erhält und wenn ein evangelikaler Pfarrer in den USA den Koran verbrennt?

    – Das habe ich Hamed Abdel-Samad am Münchener Flughafen telefonisch gefragt.

    Hamed Abdel-Samad: Erst mal muss man beide Aktionen nicht miteinander vergleichen. Westergaard bekommt einen Preis, die Kanzlerin vergibt ihm den Preis nicht und es war nicht ihre Idee, ihm den Preis zu verleihen. Deshalb darf man nicht die Situation überhöhen. Es ist in Ordnung, aus meiner Sicht, wenn die Kanzlerin da ist, solange sie keine offizielle Position auch in dieser Verleihung spielt.

    Was die Verbrennung des Korans angeht, das ist natürlich auch ein trauriges Zeichen der Niederlage einer demokratischen Streitkultur. Bücherverbrennung halte ich grundsätzlich für ein gefährliches Zeichen, egal ob dieses Buch Koran oder "Die satanischen Verse" heißt. - Deshalb darf man beide Aktionen nicht miteinander vergleichen.

    Schmitz: Welche Reaktionen erwarten Sie denn in der islamischen Welt auf die Westergaard-Auszeichnung in Anwesenheit der Kanzlerin, die man ja als Symbol nicht unterschätzen darf, und auf die Koran-Verbrennung?

    Abdel-Samad: Auf die Koran-Verbrennung auf jeden Fall Wut und Demonstrationen, kann auch in Gewalt münden, wie wir in den letzten Jahren erlebt haben. Aber das darf nicht als eine Rechtfertigung für Gewalt gesehen werden. Auch wenn die Verbrennung vom Koran zu verurteilen ist, muss die islamische Welt endlich damit anders umgehen, nicht immer mit Wut und Gewalt antworten, sondern man muss mit seinen Emotionen anders umgehen.

    Auf die Kanzlerin? – Ich glaube, die Aktion ist nicht so großartig. Von daher erwarte ich jetzt diesbezüglich keine große Protestaktion.

    Schmitz: Deuten Sie die Empfindlichkeiten vieler Muslime auf westliche Satire und tabulose Kritik als Zeichen für den von Ihnen in Ihrem Buch beschriebenen desolaten Zustand des kulturellen Kontos?

    Abdel-Samad: Ja. Ich nenne das Syndrom einer untergehenden Hochkultur, Syndrom der Kränkung und Dauer-Beleidigtsein. Und so kommt die islamische Welt nicht weiter. Man muss unverkrampfter mit solcher Kritik und mit solchen Phänomenen umgehen, auch wenn sie manchmal an die Grenze des Erlaubten gehen.

    Schmitz: Wie groß sind denn die Chancen, dass sich die islamische Welt in dieser Hinsicht etwas beruhigt?

    Abdel-Samad: Langfristig, glaube ich, sehe ich das schon. Man kann nicht ja die ganze Zeit nur mit Empörung reagieren. Ich glaube, man wird immuner. Je mehr Kritik, je mehr solche Aktionen kommen, gewöhnt man sich langsam daran. Und weil man die Energie einfach nicht hat, die ganze Zeit mit Demonstrationen und mit Wut zu reagieren. Und irgendwann müssen diese Energien positiver investiert werden, nämlich für die Veränderung der verfahrenen Situation in den islamischen Staaten. Das Hauptproblem der islamischen Welt ist nicht, dass der Westen Mohammed-Karikaturen zeichnet oder einen Preis an einen Karikaturisten gibt. Das Hauptproblem der islamischen Welt heißt Bildung, Geisteshaltung, die wirtschaftliche Situation. Und da muss man schon vor der eigenen Haustür kehren.

    Schmitz: Herr Abdel-Samad, Sie sind der einzige Moslem, der Westergaard persönlich getroffen hat, nach dem Anschlag auf ihn vor Kurzem. Welches Bild würden Sie Ihren muslimischen Brüdern in der Welt von Westergaard geben?

    Abdel-Samad: Kurt Westergaard ist ein Künstler in allererster Linie, der von seinem Recht auf Kunstfreiheit Gebrauch gemacht hat und den Propheten gezeichnet hat, wie er ihn sieht. Ich unterstütze ihn, nicht weil er den Propheten so gezeichnet hat. Ich mag das Bild nicht. Aber ich unterstütze ihn und bestärke ihn in seinem Recht, weiter zu zeichnen, wie er will und wen er will. Kurt Westergaard hat nur ein Kunstwerk dargelegt, das viele Provokationen und viele Emotionen in Gang gesetzt hat. Es sind die Betroffenen, die anders mit ihren Emotionen umgehen sollen, und nicht der Künstler mit seiner Kunst, meiner Meinung nach.

    Schmitz: ..., sagt der Politologe Hamed Abdel-Samad über Empfindlichkeiten in der islamischen Welt.