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Syrer Al-Mousllie
"Keine nachhaltige Lösung ohne die syrische Bevölkerung"

Durch den Waffenstillstand herrsche in Syrien derzeit eine sehr vorsichtige Ruhe, sagte Sadiqu Al-Mousllie, Vertreter der syrischen Opposition, im DLF. Er äußerte aber auch Kritik. Russland und die USA hätten jene nicht mit einbezogen hat, die sich von extremistischen Gruppierungen distanziert hätten - ebensowenig wie die syrische Opposition.

Sadiqu Al-Mousllie im Gespräch mit Martin Zagatta | 13.09.2016
    Der syrische Oppositionsvertreter Sadiqu Al-Mousllie
    Der syrische Oppositionsvertreter Sadiqu Al-Mousllie (dpa / picture-alliance / Stefan Jaitner)
    Martin Zagatta: Einzelne Gefechte hat es wohl gegeben, seit die Waffenruhe gestern mit Sonnenuntergang in Syrien in Kraft getreten ist. Aber keine Bomben mehr auf Aleppo und auch sonst scheint die Abmachung, die die USA da mit Russland getroffen haben, im Großen und Ganzen zu funktionieren.
    Mitgehört hat Sadiqu Al-Mousllie. Er ist der Vorsitzende der Initiative für Bürgerrechte in Syrien und gehört dem Syrischen Nationalrat an beziehungsweise der Syrischen Nationalen Kommission, der auch von der Bundesregierung anerkannten sogenannten gemäßigten Opposition Syriens. Guten Tag, Herr Al-Mousllie!
    Sadiqu Al-Mousllie: Guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Al-Mousllie, vereinzelte Gefechte, die Waffenruhe funktioniert aber einigermaßen, sagt unser Korrespondent. Deckt sich das auch mit Ihren Informationen jetzt aktuell heute Mittag?
    Al-Mousllie: Von den Leuten, die wir kennen, und von den Leuten auch, deren Familien noch unten sind, hören wir, dass eine gewisse Ruhe herrscht, natürlich eine sehr vorsichtige Ruhe. Grundsätzlich ist es auch natürlich eine Atempause für die Zivilisten, die tagtäglich die Bombardierungen erleben und erleben durften.
    Zagatta: Wie sehen Sie denn diese Waffenruhe? Ist das mehr als eine Atempause? Denn Sie unterstützen ja auch die Freie Syrische Armee. Ist die oder sind Sie jetzt einverstanden mit dieser Waffenruhe? Soll die lange dauern?
    Al-Mousllie: Grundsätzlich ist es natürlich so: Alles was das Leid der Zivilbevölkerung verringert, ist zu begrüßen und auch gewollt und gewünscht von Seiten der Syrer, aller Seiten, sei es Opposition, bewaffnet, politisch oder was auch immer. Nur es kommt immer darauf an, wie das wirklich umgesetzt wird und wie lange. Das Problem was wir haben ist, dass die Russen und die Amerikaner sich geeinigt haben auf eine Waffenruhe, ohne jetzt auch direkt die Syrer mit einzubeziehen, sei es die Freie Syrische Armee oder auch die politische Opposition, und wie weit das durchsetzbar ist, auf dem Boden, im Feld, das wird sich zeigen. Wo sie sich wirklich geeinigt haben, ist auf jeden Fall der Kampf gegen den IS. Gegen IS kämpft die Opposition seit Jahren. Da ist an sich nichts Neues für die Zivilbevölkerung. Das wird noch getestet.
    "Wir sprechen hier von einer konfessionellen Säuberung"
    Zagatta: Aber wenn man diese Bilder sieht, dieses Sterben in Syrien, dass da Hunderttausende schon gestorben sind, Millionen auf der Flucht, ist dann diese Waffenruhe schon ein Wert an sich, auch wenn sich politisch jetzt ja nicht viel ändert? Weil mit dieser Abmachung bleibt ja alles im Prinzip beim Alten, Assad bleibt an der Macht.
    Al-Mousllie: Wie gesagt, es ist auf jeden Fall eine Sache, die für die Zivilbevölkerung zu begrüßen ist, und gerade auch die Orte, die belagert sind, können ein bisschen durchatmen. Denn es ist nicht nur Belagerung und Fassbomben da, sondern auch nur Belagerung. Weil Sie haben auch jetzt, selbst bei diesem Waffenstillstand, der am Anfang ist, auch belagerte Orte in Syrien, die nach wie vor nicht gut versorgt sind, weder medizinisch noch mit Nahrungsmitteln noch mit Baby-Milch oder was auch immer. Ganze Orte werden auch ins Exil geschickt, wie zum Beispiel vor ein paar Tagen in Darayya. Das ist ein Zustand, den man nicht so aushalten kann. Es hört sich immer wieder schlimm an, aber die Leute erleben das, nämlich dass die aus ihren Häusern hinausgetrieben worden sind in Darayya. Selbst die Leute in der Nähe von Darayya, das heißt in Moadamyah, das ja auch belagert ist - die haben da Zuflucht gesucht -, die Soldaten vom Regime sind auch da reingegangen und alle Leute, die von Darayya in Moadamyah wohnten und Zuflucht gesucht haben, sind auch rausgeschmissen worden. Das heißt, man versucht, hier einen ganzen Ort zu säubern. Wir sprechen hier von einer konfessionellen Säuberung.
    Zagatta: Jetzt wollen die Amerikaner mit den Russen zusammen zumindest diesen Waffenstillstand durchsetzen. Herr Al-Mousllie, wenn es dazu kommt, wenn dann wenigstens die Waffen ruhen, ist das dann der Preis, den man nach so einem langen Krieg vielleicht auch zahlen muss, dass man sich dann damit abfinden muss, jetzt aus Sicht auch der Opposition, dass man Assad nicht wie ursprünglich gewünscht, dass man ihn nicht wegbekommt?
    Al-Mousllie: Was wir eigentlich sehen, auch seitens der Opposition - das wurde auch in London vorgestellt vor ein paar Tagen. Es wurde ein Papier vorgestellt, wie auch die Vision der Opposition wäre für die Übergangsphase und was danach sein sollte. Und wir hören auch von den Helfern der Opposition und der syrischen Bevölkerung, dass es nach wie vor so ist, dass Assad nicht gewünscht ist, weder in der Übergangsphase, noch danach. Natürlich gibt es einige Kräfte und internationale Akteure, die sich schwer das vorstellen. Aber egal welche Lösung man da angeht, man muss sich eins immer vor Augen führen: Eine nachhaltige Lösung, ohne die syrische Bevölkerung mit einzubeziehen und deren Opfer, die sie bis jetzt gebracht haben, mit bestimmen zu lassen, wird es nicht mehr geben. Denn da haben die Syrer viel zu viel verloren. Wir wollen natürlich den Waffenstillstand, und ich glaube, das wird auch kommen für eine gewisse Zeit. Die Frage ist, ob es so lange anhält.
    Zagatta: Bedingung jetzt, dass die Waffen schweigen - das ist so vereinbart worden -, ist auch, dass sich die Freie Syrische Armee oder gemäßigte Rebellengruppen, wie sie hier bezeichnet werden, dass die sich von der Ex-Nusra-Front, von diesem Al-Kaida-Ableger lossagen, weil da gibt es ja wohl vor Ort Zusammenarbeit. Ist das realistisch? Sind Sie dazu bereit?
    Al-Mousllie: Ich habe da natürlich jetzt nicht die Macht, die Autorität über sie, aber ich glaube auch, wir haben es in den letzten Tagen und in den Wochen auch gehört, dass die Gruppe sich losgesagt hat von Al-Kaida. Natürlich inwieweit das jetzt wirklich auf dem Boden der Tatsachen ist und den Tatsachen entspricht, das können die Leute im Felde besser beurteilen. Eins ist wichtig, zu wissen, dass wie auch die Amerikaner und die Russen sich geeinigt haben, weiterhin gegen diese Gruppierung auch zu gehen, muss man immer damit rechnen, dass man Zivilisten trifft. Und wenn wir wissen, wie die Struktur in Syrien ist, kann man schon jetzt sagen, dass das nicht möglich ist, aus der Luft diese Menschen oder diese Kämpfer dann wirklich zu verfolgen, ohne dass da auch viele Zivilisten als Opfer fallen. Das heißt, die Art und Weise, wie man da die Sache angeht, ist falsch. Man müsste mit der syrischen Opposition zusammenarbeiten, und diejenigen, die sich in der Tat distanzieren von solchen Praktiken und von der Beziehung zu Al-Kaida und anderen extremistischen Gruppierungen, sollten auch mit einbezogen und ins Boot geholt werden. Denn man braucht ein Syrien, das für alle Syrer da ist - sei es derjenige, der mit einer islamischen Richtung ist, oder der andere, der auch vielleicht überhaupt nichts mit Religion anfangen kann. Aber da sind Menschen, die alle Syrer sind, und die müssen in einem geeinigten und demokratischen Syrien leben können.
    "Seit einem Jahr haben die Russen viel mehr bombardiert und Menschen getötet, als sie geholfen haben"
    Zagatta: Auf der anderen Seite, Herr Al-Mousllie, hat ja dieser Krieg gezeigt, dass die Freie Syrische Armee, diese gemäßigten Rebellen, auf die der Westen setzt, militärisch nicht in der Lage sind, Assad zu stürzen, und erst recht nicht, seit die Russen so massiv eingegriffen haben in den Krieg. Ist dieses Ziel jetzt realistisch mit dem Eingreifen der Russen? Das können Sie ja im Moment wohl vergessen.
    Al-Mousllie: Es ist aus meiner Sicht natürlich mehr als realistisch, weil wir wissen auch, wie die Sachen auf dem Boden der Tatsachen laufen. Natürlich seit einem Jahr haben die Russen viel mehr bombardiert und Menschen getötet, als sie geholfen haben. Wir wissen aber auch, dass die Freie Syrische Armee in den letzten Tagen sehr weit und sehr gut auch vorangekommen ist gegen IS und andere Gruppierungen im Norden Syriens, mithilfe der türkischen Truppen. Das heißt, die Möglichkeit ist da und mit der Freien Syrischen Armee kann man sehr gut arbeiten. In den letzten Jahren wurde die Freie Syrische Armee künstlich schwach gehalten und man hat dagegen gearbeitet und nicht zugelassen, dass die wirklich in der Art und Weise ausgestattet werden, damit sie auch vorankommen, weil die Bevölkerung auf der Seite dieser Freien Syrischen Armee steht. Man muss nur die Möglichkeit haben, auf dem Boden wirklich sich bewegen zu können.
    Zagatta: Der syrische Oppositionspolitiker Sadiqu Al-Mousllie heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Al-Mousllie, ich danke für das Gespräch.
    Al-Mousllie: Bitte schön, Herr Zagatta.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.