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Syrien braucht "Solidarität mit diesem geknechteten Volk"

Dramatisch und katastrophal sei inzwischen auch die Situation der Menschen in der Gegend um Damaskus, sagt Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Jede Hilfslieferung oder Spende sei wichtig - wenn auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Rudolf Seiters im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 24.07.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Die syrische Opposition, sie ist bisher zu schwach, um Präsident Assad zu stürzen. Aber sie ist auch zu stark, als dass sie sich durch das syrische Militär kleinmachen ließe. Das hat der Anschlag in Damaskus in den innersten Machtzirkel Assads in der vergangenen Woche gezeigt. Auch im Land selbst scheint sich der Machtbereich der Aufständischen eher auszuweiten. Aber der Machtapparat des syrischen Präsidenten, der bleibt auch nicht untätig.

    Am Telefon begrüße ich Rudolf Seiters, er ist Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Guten Morgen, Herr Seiters.

    Rudolf Seiters: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Seiters, über 100.000 Menschen sind bereits außer Landes geflohen, in die Türkei, nach Libanon, nach Jordanien. Im Land selbst sollen 600.000 Menschen auf der Flucht sein. Was kommt da auf uns zu?

    Seiters: Also wir sind auch in Deutschland auf das Äußerste besorgt beim Roten Kreuz über die Situation in Syrien und in den umliegenden Ländern. Das Internationale Rote Kreuz, das Syrische Rote Kreuz – mit beiden haben wir gute Kontakte und enge Verbindungen. Der humanitäre Bedarf steigt täglich, Tausende Menschen fliehen, das haben Sie selber gesagt, vor den Kämpfen innerhalb Syriens. Nach Angaben des Internationalen Roten Kreuzes sind jetzt 60 Schulen in der Gegend um Damaskus zu Unterkünften umfunktioniert worden für die von Gewalt betroffenen Familien.

    Der Syrische Rote Halbmond hat damit begonnen, in diese Unterkünften Hilfsgüter zu liefern, also alles das, was notwendig ist, Medikamente und Lebensmittel. Aber es zeigt allein der Umstand, dass in diesen Schulen mehr als 11.800 Menschen Zuflucht dort gefunden haben, wie dramatisch, wie katastrophal die Situation ist, und die Zahl der Flüchtlinge in den Ländern, Nachbarländern, Libanon, Türkei und Jordanien, steigt täglich.

    Heckmann: Was wissen Sie denn, Herr Seiters, über die Situation dort in den Flüchtlingslagern außerhalb Syriens und in Syrien selbst?

    Seiters: Nun, es ist eine große Herausforderung, natürlich auch für die Nachbarländer, die vielen zehntausende Menschen zu versorgen, die aus Syrien dorthin fliehen. Aber innerhalb von Syrien selber spricht man auch davon, dass die Versorgungslage für rund 1,5 Millionen Zivilisten immer schwieriger geworden ist. Der Syrische Rote Halbmond ist in Syrien die einzige Hilfsorganisation, die mit rund 10.000 Helfern in ganz Syrien im Einsatz ist. Das ist ein gefährlicher Einsatz, vor einigen Wochen ist dort der syrische Generalsekretär des Roten Halbmondes erschossen worden. Andere Helfer waren in tödlicher Gefahr, sind auch getötet worden. Vor einigen Wochen war der Präsident des Syrischen Roten Halbmondes, Dr. Attar, noch in Berlin und hat uns über die Lage damals berichtet. Aber es ist in der Tat so, dass seit diesem Zeitpunkt die Lage sich noch unglaublich verschärft hat.

    Heckmann: Die internationalen Hilfsorganisationen sind bisher in den Nachbarländern aktiv. Vor dem Hintergrund, was Sie eben gerade gesagt haben, wie wichtig wäre es denn für Sie, auch im Land selber, in Syrien selber aktiv werden zu können?

    Seiters: Nun, wir haben ja eine Absprache mit dem Internationalen Roten Kreuz, dass in Kriegsgebieten, in Bürgerkriegsgebieten oder in ganz gefährlichen Krisensituationen das Internationale Rote Kreuz in Genf die Federführung hat, aber es wird unterstützt durch die nationalen Hilfsorganisationen, und das Deutsche Rote Kreuz gehört zu den großen. Wir unterstützen auch in Absprache mit Genf den Syrischen Halbmond mit Projekten, die mit Hilfe des Auswärtigen Amtes finanziert werden, mit einem Gesamtvolumen von derzeit 1,1 Millionen Euro. Die Maßnahmen kommen Personen zugute, die in Not geraten sind. 5000 Familien haben wir versorgt in den letzten Monaten, sukzessive mit allen möglichen Hilfspaketen und Nahrungsmitteln.

    Heckmann: Das hört sich an wie ein Tropfen auf den heißen Stein.

    Seiters: Das ist wohl richtig, ja. Wir können 1,1 Millionen geben, wir sind dankbar für diese Unterstützung durch das Auswärtige Amt, aber wir sind auch dankbar für Spenden, die wir bekommen. Aber das hilft trotzdem, wenn Sie auch sagen, Tropfen auf den heißen Stein. Wir haben die Logistik-Kapazitäten für den Syrischen Roten Halbmond mit Lastwagen, Ambulanzen, Lagerhallen-Ausstattung und ähnlichen Dingen verbessert und Training der Mitarbeiter verbunden, damit sie klar kommen mit der Ankunft der Hilfsgüter, über die Lagerung bis zur Verteilung. Also es ist schrecklich, dass man nicht mehr helfen kann, aber trotzdem: Jede Spende ist wichtig, ist auch ein Zeichen der Solidarität mit diesem geknechteten Volk.

    Heckmann: Herr Seiters, in Libyen hat der UNO-Sicherheitsrat ja damals eine Flugverbotszone eingerichtet zum Schutz der Zivilbevölkerung, und die wurde ja dann von NATO-Staaten durchgesetzt. Wie dringlich wäre eine solche Maßnahme im Fall Syriens, zum Schutz der Bevölkerung eben?

    Seiters: Ja es gibt aus der Sicht des Internationalen Roten Kreuzes und auch unserer Sicht natürlich drei Prioritäten. Erstens, es muss in jedem Falle gewährleistet werden, was leider nicht der Fall ist im Augenblick, der freie Zugang für Helfer des Syrischen Roten Halbmondes. Es muss darauf gedrängt werden, dass die Zivilbevölkerung geschützt wird und das humanitäre Völkerrecht gewahrt wird. Das hört sich jetzt alles sehr schön an, aber es ist eben im Augenblick nicht die Wirklichkeit und die Realität, weil man sich über diese Forderungen hinwegsetzt, zu denen man sich ja verpflichtet hat in internationalen Verträgen und durch die Ratifizierung auch des humanitären Völkerrechts. Leider ist es so, dass dies nicht gewahrt wird, so dass die Helfer in unmittelbarer Not und Gefahr sind.

    Heckmann: Jetzt gab es aus Damaskus gestern die Äußerung, das Giftgas, über das der Staat verfügt, Syrien verfügt, würde nicht gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt, sondern sei entwickelt worden, um einen Angriff von außen abzuwehren. Ein möglicher Einsatz von Giftgas – ist das ein Szenario, über das auch Sie sich Gedanken machen?

    Seiters: Ja natürlich wird man bei solchen Ankündigungen immer besorgter, und dies ist ja ein Schreckensszenario, das aufgebaut wird. Wie weit dies eine Drohung ist und wie weit es Realität werden könnte, kann ich nicht beurteilen. Das Rote Kreuz setzt sich natürlich immer nicht nur mit der Gefahr einer Naturkatastrophe auseinander, sondern auch mit solchen Entwicklungen, die Sie gerade beschrieben haben. Aber es ist schwer, für eine humanitäre Organisation hier mehr zu tun, als sich auf Gefahrensituationen vorzubereiten.

    Heckmann: In welcher Form tun Sie das?

    Seiters: Das wollte ich gerade sagen. Das geht aber wahrscheinlich nur in einer unzulänglichen Weise, denn auch das Internationale Rote Kreuz kann ja in Syrien nur bedingt tätig werden. Und eine Organisation wie der Rote Halbmond hat ja auch nur beschränkte Mittel, um sich gegen eine solche Katastrophe zu schützen. Das heißt also, man kann nur hoffen, dass dies zu einem Szenario gehört, das nie Wirklichkeit wird.

    Heckmann: Das wäre also ein absolutes Schreckensszenario. – Herr Seiters, die internationale Gemeinschaft, die ist ganz offenbar gescheitert, den Konflikt mittels Sanktionen kleinzuhalten. Was muss die Konsequenz sein? Früher zu intervenieren, auch mit militärischen Mitteln?

    Seiters: Sie wissen, dass das Rote Kreuz ein absolut prioritäres Ziel hat, nämlich Hilfe zu leisten für Menschen, die in Not sind, und diese Hilfe würde möglicherweise gefährdet werden, auch für den Syrischen Roten Halbmond, wenn sich das Rote Kreuz zu politischen Fragen zu dezidiert äußert und auch Stellung bezieht, die das Prinzip der Neutralität und der Unparteilichkeit verletzt. Da sind wir in einer anderen Situation als andere Organisationen, die dies stärker tun können. Aber der Appell ist natürlich absolut notwendig an die internationale Staatengemeinschaft, alles zu tun, alles zu tun, was möglich ist, um die Kämpfe zu beenden. Aber das sind Appelle, die im Augenblick ja auch daran scheitern, dass es keine Einmütigkeit im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gibt.

    Heckmann: Genau so ist es. – Rudolf Seiters war das hier im Deutschlandfunk im Gespräch, der Präsident des Deutschen Roten Kreuzes. Herr Seiters, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Seiters: Alles Gute, danke.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Rudolf Seiters, DRK-Chef
    Rudolf Seiters (Deutscher Bundestag)