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Syrien
CDU-Politiker schließt Chemiewaffenvernichtung in Deutschland aus

Deutschland solle sich mit Expertenwissen bei der Vernichtung syrischer Chemiewaffen beteiligen und die Waffen nicht selbst vernichten, sagt Roderich Kiesewetter. Eine Vernichtung in Syrien senke das Gefahrenrisiko, sagt der CDU-Politiker.

Roderich Kiesewetter im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 18.11.2013
    Tobias Armbrüster: Wie soll es weitergehen mit den syrischen Chemiewaffen-Beständen? Wer soll diese Waffen zerstören? Allzu viele Länder gibt es nicht, die dafür infrage kommen. Albanien galt wochenlang als der favorisierte Partner, auch weil das Land große Erfahrungen mit der Vernichtung solcher Waffen hat. Aber am Freitag kam die Absage, die Regierung in Tirana fürchtet große Proteste der Bevölkerung. Aber auch Deutschland könnte jetzt ins Spiel kommen, denn auch die Bundesrepublik verfügt über eine Anlage zur Vernichtung von Chemiewaffen, und zwar im niedersächsischen Munster. – Am Telefon ist Roderich Kiesewetter, er sitzt für die CDU im Auswärtigen Ausschuss und ist dort unter anderem zuständig für Abrüstungsfragen. Schönen guten Morgen, Herr Kiesewetter.
    Roderich Kiesewetter: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Kiesewetter, könnte Deutschland diese Chemiewaffen aus Syrien vernichten?
    Kiesewetter: Herr Armbrüster, die Frage stellt sich nicht, weil Deutschland bisher nicht angesprochen wurde und sich unser Land bisher insbesondere in der Organisation für das Verbot der Chemiewaffen immer konstruktiv eingebracht hat und bisher in keiner Weise in dieser Sache angesprochen wurde. Also aus meiner Sicht stellt sich die Frage bisher nicht.
    Deutschland soll mit Expertise helfen
    Armbrüster: Muss Deutschland denn auf eine Anfrage warten?
    Kiesewetter: Nein, ich glaube nicht. Deutschland hat sich international sehr intensiv eingebracht, zuletzt am Freitag im Exekutivrat. Deutschland beteiligt sich an einem internationalen Fonds für die Vernichtung und insbesondere dann auch für die Verifikation der Chemiewaffen in Syrien und wir haben genug Expertise, uns international einzubringen. Aber ich sehe keinen Grund, diese Waffen in Deutschland zu vernichten.
    Armbrüster: Warum nicht? Es gibt jetzt wie gesagt reihenweise Absagen. Niemand weiß so richtig, wo das geschehen könnte. Nun steht diese Anlage in Munster, insgesamt drei Öfen, die Waffen vernichten, 50 Tonnen werden da jedes Jahr vernichtet. Warum kommt das für die syrischen Chemiewaffen nicht infrage?
    Kiesewetter: Sie haben selbst schon das Stichwort gegeben. Sie sprechen davon, dass wir eine Kapazität von 50 Tonnen im Jahr haben. Es stehen etwa 1000 Tonnen chemischer Kampfstoffe zur Vernichtung an aus Syrien. Das würde allein 20 Jahre dauern. Auch das ist ein Grund, warum sich Deutschland nicht beteiligen kann.
    Es geht um eine ganz andere Lösung. Zunächst einmal hat ja Syrien sich bereit erklärt, ganz klare Zeitlinien einzuhalten, und die gilt es zu verifizieren. Zum Beispiel geht es darum, dass bis Ende diesen Jahres ganz bestimmte Mittel bereits vernichtet werden und übergeben werden, dass bis 5. Februar (2014) die Chemiewaffen aus Syrien abgezogen werden und dass bis zum Sommer nächsten Jahres, also bis Juni, die Chemiewaffen restlos vernichtet sind. Dieser Zeitplan steht.
    Jetzt geht es darum, die Vernichtung zu organisieren, und dazu ist die Organisation für das Verbot der Chemiewaffen vergangenen Freitag zusammengekommen. Hier sind noch harte internationale Verhandlungen zu erwarten. Ich glaube auch, dass das nur in einer Gemeinschaftsanstrengung zu leisten ist und nicht mit einem einzelnen Land.
    Armbrüster: Dann könnte man das zum Beispiel gemeinschaftlich machen, dass Deutschland zumindest einen Teil davon nimmt.
    Kiesewetter: Nein. Ich denke, dass Deutschland etwas ganz anderes hat, ein ganz anderes Pfund, nämlich seine Experten. Wir haben, wie Sie selbst angesprochen haben, das Wehrwissenschaftliche Institut für Schutztechnologie und ABC-Schutz in Munster und die Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten. Die vernichten jedes Jahr etwa 50 bis 100 Stück chemischer Weltkriegsmunition, insbesondere aus dem Ersten Weltkrieg. Das sind Experten, die weltweiten vorzüglichen Ruf genießen. Die können sicherlich beraten.
    Aber das ist kein Grund, die Vernichtung auch in Deutschland zu machen. Schauen Sie mal, es geht auch darum, dass diese Mittel nicht viele Tausend Kilometer von Syrien entfernt vernichtet werden, sondern entweder im Land oder in unmittelbarer Nähe und alles andere wäre mit zu großem Risiko verbunden.
    Armbrüster: Na ja, Albanien stand auch lange Zeit auf dem Plan. Da ist der Entfernungsunterschied jetzt nicht so besonders groß.
    Kiesewetter: Albanien hätte den großen Vorteil gehabt eines Seetransports und auch nur über das Mittelmeer und auch nicht über irgendwelche Meerengen. Es geht ja hier auch um Gefährdung und Absicherung. Nein: Jedes Land ist in so einer Frage souverän.
    Aber Albanien – ich hatte erst vergangene Woche Gelegenheit, mit dem albanischen Außenminister zu sprechen – muss mit dem Regierungswechsel sehr stark auch innenpolitische Aspekte berücksichtigen und in den 1990er-Jahren kam es zu einem erheblichen Unglück in Albanien mit alten Chemiewaffen. Das hat sich in der Bevölkerung eingebrannt, da muss man Rücksicht nehmen. Und die internationale Gemeinschaft hat gewiss andere Möglichkeiten für eine Lösung.
    Armbrüster: Könnte es denn sein, dass Sie und andere Politiker in Deutschland auch davor zurückschrecken, solche Waffen nach Deutschland zu holen, einfach weil man generell schlechte Erfahrungen hat mit Gefahrguttransporten, etwa mit Castor-Behältern?
    Kiesewetter: Gut: Deutschland hat ja im Jahr 1992 über die Operation Lindwurm den Abzug der chemischen Waffen der US-Amerikaner aus Deutschland hervorragende Erfahrungen gemacht. Die Expertise ist da.
    Aber ich schließe es aus, dass Deutschland sich daran beteiligt, Chemiewaffen innerhalb Deutschlands zu vernichten. Es ist doch viel wichtiger, dass wir uns diplomatisch einsetzen, dass überhaupt erst mal der Bestand geklärt wird in Syrien. Syrien hat 1000 Tonnen angegeben. Wir wissen ja gar nicht, ob das die tatsächliche Zahl ist. Ich vermute, dass die Dunkelziffer höher ist. Und es geht auch darum, eine sichere Übergabe dieser Chemiewaffen zu ermöglichen in Syrien und das zu kontrollieren. Ich glaube, das ist erst einmal erheblich mehr Arbeit und bedarf viel mehr Fokussierung der internationalen diplomatischen Anstrengungen, und dann lässt sich immer noch eine Lösung finden, wo es vernichtet wird. Entscheidend ist erst mal, die Sicherung und die gesicherte Übergabe in internationale Verantwortung dieser Chemiewaffen.
    Armbrüster: Roderich Kiesewetter war das, CDU-Außenpolitiker, über die große Frage, wo jetzt eigentlich die syrischen Chemiewaffen vernichtet werden sollen. Er sagt, auf jeden Fall nicht in Deutschland. Besten Dank, Herr Kiesewetter, für das Gespräch.
    Kiesewetter: Auf Wiederhören! Danke schön, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.