Samstag, 20. April 2024

Archiv

Massaker von Fivizzano
Auftrag für die Gegenwart

Deutsche Soldaten brachten vor 75 Jahren im italienischen Fivizzano Hunderte Zivilisten um. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gedachte dort nun der Opfer und bat um Vergebung. Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella sieht in der Lehre aus dem Massaker einen Auftrag für die Gegenwart.

Von Christoph Schäfer | 26.08.2019
Bundespräsident Steinmeier und der italienische Staatspräsident Mattarella legen an der Gedenktafel für die Opfer der Massaker von Fivizzano gemeinsam einen Kranz nieder.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella legen an der Gedenktafel für die Opfer der Massaker von Fivizzano gemeinsam einen Kranz nieder. (Bernd von Jutrczenka/dpa)
Die engen Straßen in der Gemeinde Fivizzano sind mit Menschen gefüllt. Die Bewohner jubeln, sind ergriffen und zutiefst berührt, als ihr "Presidente", der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella vor sie tritt. Sein Besuch soll frei von der jüngsten Regierungskrise, Streit und Hetze sein. Zumal Mattarella von seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier begleitet wird. Es ist hoher Besuch für die kleine Gemeinde in den Bergen im Norden der Toskana.
Genau hier gedenken die beiden Staatspräsidenten der Opfer von brutalen NS-Verbrechen. Sie ereigneten sich vor 75 Jahren. Auch wenn die Gräueltaten, vor allem die älteren Bewohner der Gemeinde bis heute prägen, für manche von ihnen ist dieser Gedenktag ein Zeichen einer tiefen Partnerschaft:
"In Zeiten, in denen die Wunden noch frisch und tief waren, haben wir es für richtig gehalten, einen Weg zum Frieden einzuschlagen. Und dass das italienische und das deutsche Volk brüderlich zusammen leben", findet dieser 70-Jährige Mann. Und appelliert für ein geeintes Europa.
Scham und Vergebung
Eine ältere Dame hingegen gibt zu erkennen, wie tief für sie der Schmerz durch die Gräueltaten sitzt: "Es ist ein trauriger Tag. Die Deutschen haben meinen Vater getötet. Ich bin nur hier, um Mattarella zu sehen." Und beginnt kurz darauf zu weinen.
1944 sind deutsche Soldaten der 16. SS-Panzergrenadier-Division - auch Reichsführer-SS genannt - mehrmals in den Dörfern von Fivizzano einmarschiert und haben Massaker an dessen Bewohner verübt, zwischen Mai und September, an rund 400 Menschen. Manche der Überlebenden, haben als Kinder ihre gesamte Familie verloren und wuchsen als Einzelkinder auf.
Zum Gedenken der Opfer legen Mattarella und Steinmeier in einem Staatsakt einen Kranz nieder und sprechen mit Überlebenden. Diese bittet der deutsche Bundespräsident in einer Rede um Vergebung - eingeübt in Italienisch:
"Ich stehe heute vor Ihnen als deutscher Bundespräsident und empfinde ausschließlich Scham über das, was Deutsche Ihnen angetan haben." Mit Trauer verneige er sich vor den Toten der Massaker. "Ich bitte Sie um Vergebung für die Verbrechen, die Deutsche hier verübt haben."
Massaker als Akt der Vergeltung
Während seiner Rede zeigen sich einige der rund 200 Anwesenden auf einer Piazza begeistert. Steinmeier will zugleich die deutsche Öffentlichkeit auf die NS-Verbrechen in Fivizzano aufmerksam machen.
Eingang zur Gedenkstätte KZ Buchenwald.
Neue Wege der Erinnerungskultur
Noch können Überlebende des Nationalsozialismus von ihren Erlebnissen persönlich berichten. Manche hoffen, dass ihre Enkelkinder ihre Geschichte lebendig halten. Doch es gibt Historiker, die im Schwinden der Zeitzeugen eine Chance für die Geschichtswissenschaft sehen.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Das Prinzip "Recht statt Krieg": Der Ankläger
Benjamin Ferencz ist der letzte lebende Ankläger der Nürnberger Prozesse. Im Gespräch mit dem Historiker Daniel Cil Brecher erzählt der 99-Jährige von seinen Erfahrungen, seiner Arbeit als Anwalt der Opfer von Kriegsverbrechen und seiner Förderung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.
Das Bündnis zwischen Deutschland und Italien endete im Zweiten Weltkrieg 1943, nachdem Italien einen Waffenstillstand mit den Alliierten geschlossen hatte. Deutsche Soldaten sind daraufhin in das Land einmarschiert. Gegen ihre Besatzer haben sich Partisanen immer wieder gewehrt - bei Gefechten, in denen es auch zu Toten kam. Angehörige der Wehrmacht und der Waffen-SS haben mit Massakern reagiert, wie in Fivizzano. Als Akt der Vergeltung.
Dass jene Barbarei ganze Jahrhunderte einer Zivilisation in einem Moment vernichten könne, lehrt Mattarella zufolge die Geschichte: "Dieses 'Nie wieder' ist nicht nur das Vermächtnis unserer jüngsten Geschichte, sondern ein Auftrag, der jeden Tag unser Dasein als Bürger begleitet."