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Syrien-Einsatz
Entscheidung ohne Volkes Stimme

Abgeordnete sind gewählte Vertreter des Volkes und sollen in seinem Sinne politische Entscheidungen treffen. Viele Bürgerinnen und Bürger fühlen sich aber aktuell nicht gut vertreten, denn der geplante Syrien-Einsatz der Bundeswehr stößt allerorten auf Kritik.

Von Stefan Maas | 03.12.2015
    Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Fraktionschefin, am 2.12.2015 im Bundestag in der Debatte über den Syrien-Einsatz der Bundeswehr.
    Katrin Göring-Eckardt, Grünen-Fraktionschefin: "ISIS muss militärisch bekämpft werden, da sind wir mit Ihnen einig." (dpa / picture alliance / Bernd von Jutrczenka)
    "Wir fordern alle Bundestagsabgeordnete auf, morgen ihre Verantwortung ernst zu nehmen, das Volk zu schützen und zum Wohle des Volks zu stimmen."
    Das Brandenburger Tor ist hell erleuchtet, ein riesiger Weihnachtsbaum funkelt auf dem Pariser Platz. Vorweihnachtliche Stimmung will bei den rund 400 Demonstranten aber nicht aufkommen. Sie schwenken Fahnen und tragen Plakate: No War – kein Krieg - gegen den Einsatz der Bundeswehr in Syrien, den der Bundestag morgen beschließen wird. Auch Petra Pau steht in der Menge, die Bundestagsvizepräsidentin der Linken:
    "Ich halte es für wichtig, dass ich mich als Parlamentarierin, die morgen im Plenarsaal die Argumente austauscht und am Ende abstimmen muss, mich auch außerhalb des Parlaments mit Bürgerinnen und Bürgern entsprechend konfrontiere und mit ihrer Meinung."
    Auch wenn Pau nur wenige Minuten bleibt, ihre Meinung sagen die Anwesenden deutlich:
    "Von Deutschland darf nie wieder ein Krieg ausgehen."
    "Volksvertreter sitzen nicht in unserem Regime, definitiv nicht. Also, ein Volksvertreter würde nicht gegen das Volk agieren und einen Krieg heraufbeschwören."
    "Für mich ist jeder, der morgen entscheidet, irgendwie ein Möder."
    Militäreinsätze sind keine Lösung
    Militärisch lässt sich das Problem in der Region nicht lösen, ist auch Reiner Braun überzeugt. Er ist Sprecher der Berliner Kooperation für den Frieden und einer der Organisatoren der Demonstration. Der Kampf-Einsatz in Afghanistan, nach dessen Ende die Taliban stärker seien als zuvor, sei nur das jüngste Beispiel, wo eine militärische Lösung fehlgeschlagen sei – sagt Braun - aber nicht das einzige:
    "Von daher muss man sich mal die Frage stellen, wenn man mit dem gleiche weitermacht, was das bedeutet. Also, wenn das ein Alkoholiker wäre, glaubt man, dass man den Alkoholiker trocken kriegt, indem man ihm mehr Schnaps gibt? Das funktioniert doch nicht."
    Deutschlands künftige Rolle in der Welt
    Er hofft, dass die heutige Demo nur die erste von vielen ist, um zu zeigen, die Menschen im Land sind nicht einverstanden mit der Politik der Regierung. Seiner Ansicht nach geht es derzeit um eine entscheidende Frage:
    "Welche Rolle Deutschland zukünftig spielen wird in dieser Welt. Ist es eine friedliche Rolle oder eine Weltmacht-Rolle, die immer auch Krieg mit beinhaltet."
    Viele Politiker, davon ist Braun überzeugt, haben ihre Antwort schon gefunden:
    "Diese Entscheidung hat in der politischen Elite leider die große Mehrheit für Weltmachtrolle plus Krieg entschieden."
    Eine Meinung, die oft zu finden ist an diesem Abend vor dem Brandenburger Tor. Aber auch im Internet. Beispielhaft dafür sind die Facebook-Einträge unter dem Deutschlandfunk-Beitrag, der über die gestrige Diskussion im Bundestag berichtet:
    Helmut Maeder schreibt:
    "Dank dem Fraktionszwang. Wieso wählen wir eigentlich noch diese Pappnasen?"
    Olaf Schäfer:
    "Was hat ein Krieg mit der Bekämpfung von Terror zu tun? Was gerade passiert ist ein Verbrechen und wir werden da in einen Schlamassel rein gezogen, dessen Ende niemand absehen kann."
    Jens Meier fragt:
    "Findet Politik eigentlich nur noch im (großkoalitionärem) [sic!]"Hinterstübchen" und in Talkshows statt? Unglaublich, wie "alternativlos" hier erneut auf die "Tube" gedrückt wird... ohne Sinn, ohne Verstand... und ohne Plan!"
    Neue Töne bei den Grünen
    Den Plan vermisst auch die grüne Opposition im Bundestag. Pauschal Nein sagen wie die Linken will sie nicht, erklärt gestern Katrin Göring-Eckhardt, die Fraktionsvorsitzende:
    "ISIS muss militärisch bekämpft werden, da sind wir mit Ihnen einig."
    Töne, die man den Grünen früher so nicht gehört hätte, bis zu rot-grünen Regierungszeiten und Joschka Fischer. Leicht haben sich die Grünen ihre Entscheidung zum "Nein" nicht gemacht. Aber, sagt die Fraktionschefin, ohne UN-Mandat fehlt die Legitimation - und erklärt frei nach dem früheren grünen Außenminister:
    "Sie haben uns nicht überzeugt!"
    An dieser Aufgabe versucht sich heute Vormittag die Verteidigungsministerin:
    "(Ich) möchte hier ganz deutlich noch einmal machen, dass militärische Mittel kein Selbstzweck sind. Sie sind immer selbstverständlich eingebettet in ein Gesamtkonzept, insbesondere ein politisches Konzept."
    Ursula von der Leyen ist die Bundespressekonferenz gekommen, um das Konzept der Regierung zu erklären und sich den Fragen der Journalisten zu stellen. Schwarzer Blazer, hellblaue Bluse, fast scheint es, sie trage Uniform. Ursula von der Leyen erscheint abgekämpft als sie vor der großen blauen Wand sitzt. Sie schaut ernst, die steile Falte zwischen ihren Augen deutlich sichtbar, die Stimme gewohnt zackig. Bis zu der Frage, ob sie sich bei Amtsantritt habe vorstellen können, Soldaten in Einsätze nach Mali und Syrien zu schicken – und wie sie damit persönlich umgeht:
    "Uhm, ich hätte, äh, vor zwei Jahren mir nie vorstellen können, in was vor Abgründe man zum Teil guckt. Und gleichzeitig ist mein, ja, ich kann schon sagen, meine tiefe Hochachtung gewachsen vor der Aufgabe, die die Bundeswehr hat."
    Schwere Entscheidungen
    Das müssten auch die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen den Menschen immer wieder sagen, findet Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Der Vorwurf, die Abgeordneten machten es sich bei der Entscheidung über einen solchen Einsatz zu leicht, mag er so nicht stehen lassen.
    "Ich glaube, dass die Bevölkerung ein sehr gutes Gespür dafür hat, dass wir es uns auch nicht leicht machen mit diesen Entscheidungen, dass wir auch ringen."
    Ebenso wenig will er der These zustimmen, die Kritiker auf der Straße und in den sozialen Netzwerken hätten das Thema nicht genug durchdrungen, um zu verstehen, was ein Nein bedeuten würde.
    "Die Erfahrung ist schon so, dass in Deutschland bei Umfragen häufig eine Mehrheit der Meinung ist, wir sollten uns nirgendwo einmischen. Aber wenn man dann einzelne Einsätze konkret abfragt, dann kriegt man im Zweifel dann doch im Einzelfall eine Mehrheit."
    45 Prozent der aktuell vom Meinungsforschungsinstitut YouGov Befragten sind für den am Dienstag vom Kabinett beschlossenen Einsatz von Aufklärungsflugzeugen, über den morgen der Bundestag abstimmen wird, 39 Prozent sind dagegen.