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Syrien-Gespräche in Genf
"Assad sitzt fester im Sattel denn je"

Die angestrebte politische Lösung für den Syrien-Konflikt liege aktuell in weiter Ferne, sagte der Sicherheitsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik im DLF. Die stärkere Seite bei den Verhandlungen in Genf sei das Assad-Regime. Dessen mangelnde Kompromissbereitschaft erkläre sich auch durch die militärische Unterstützung Russlands.

Markus Kaim im Gespräch mit Christiane Kaess | 30.01.2016
    Die Teilnehmer der Syrien-Friedensgespräche sitzen an einem viereckigen Tisch in einem Gebäude der Vereinten Nationen in Genf zusammen. at the opening of Syrian peace talks with the Syrian government delegation at the United Nations (UN) Offices in Geneva
    Das syrische Oppositionsbündnis hat sich lange geziert, ob man überhaupt an den Genfer Syriengesprächen teilnehmen soll. (afp / Fabrice Coffrini)
    Das Hohe Komitee, das sich aus syrischen Oppositionsgruppen zusammensetzt, habe bekundet, dass in Genf gar nicht über eine politische Lösung nicht verhandelt werde, sagte Markus Kaim im DLF. Stattdessen solle es nur um humanitäre Hilfe für die vom Assad-Regime belagerten Städte gehen, so der Sicherheitsexperte von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der syrische Machthaber habe ein Interesse an einer Verzögerung der Gespräche, um seine Position zu stärken. Aufgrund der militärischen Unterstützung Russlands seit September sitze Assad "fester im Sattel denn je", sagte Kaim.
    Nach seiner Einschätzung gehen die Verhandler in Genf nun davon aus, die nächsten zwei bis drei Wochen kontinuierlich Gespräche zu führen. Es gehe darum, eine gewisse Verhandlungsdynamik in Gang zu bringen. Dabei sei es richtig, zunächst auf humanitäre Erleichterungen für Menschen in den belagerten Städten zu setzen. Sowohl das Assad-Regime als auch oppositionelle Gruppen setzen laut Kaim Hunger als wirksame Kriegswaffe ein.
    Im Hinblick auf Resultate der Gespräche in Genf äußerte sich der Sicherheitsexperte pessimistisch: "Wir brauchen erheblichen internationalen Druck von Russland und Iran, um zu Ergebnissen zu kommen." Problematisch sei, dass nicht Vertreter aller Akteure mit am Verhandlungstisch säßen. Dabei sei ein dauerhafter Waffenstillstand ohne Gruppen wie die Kurden, Al-Nusra, aber auch den sogenannten Islamischen Staat nicht erreichbar.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Das sogenannte Hohe Verhandlungskomitee, kurz HNC, ist das wichtigste syrische Oppositionsbündnis. Und umso gewichtiger war seine Weiterung bis gestern, zu den Friedensverhandlungen in Genf zu kommen. Jetzt scheint es eine Wende zu geben. Eine Delegation des HNC könnte schon heute Abend oder morgen in Genf eintreffen. Die wichtigsten politischen und militärischen Gegner des Assad-Regimes, sie könnten dann mit Vertretern des Regimes zwar nicht mit einem Tisch sitzen – verhandelt werden soll nämlich in getrennten Räumen, zwischen denen die Vermittler hin- und herpendeln –, aber es würde eben verhandelt.
    Und darüber sprechen möchte ich jetzt mit Markus Kaim, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Kaim!
    Markus Kaim: Guten Tag, Frau Kaess!
    Kaess: Die Verhandlungen mit den Vertretern des syrischen Regimes zu beginnen, diese Taktik des UN-Sondergesandten de Mistura, die Opposition unter Druck zu setzen, ist die aufgegangen?
    Kaim: Nach all dem, was wir wissen oder wie es aussieht, würde ich sagen, sie ist aufgegangen. John Kerry, der amerikanische Außenminister hat erheblichen Druck in den letzten Tagen noch einmal ausgeübt bei seinem Besuch in Riad, hat dem Führer des Hohen Verhandlungskomitees Riad Hijab, dem ehemaligen syrischen Ministerpräsidenten, der dann die Seiten gewechselt hat, deutlich gemacht, dass eine Verweigerung zu einer Isolation dieser Gruppierung führen würde. Aber ich glaube, man muss realistisch sein – und das ist ja auch im Beitrag bereits gerade angesprochen worden, was erreicht werden kann –, die angestrebte politische Lösung ist in weiter Ferne. Und wenn ich das richtig sehe, hat das Hohe Verhandlungskomitee auch bereits bekundet, dass darüber gar nichts zu verhandeln sei, sondern dass es jetzt erst mal darum ginge, humanitäre Erleichterung vor allem in den Städten zu erwirken, in den 15 Städten, die vom Assad-Regime belagert werden.
    Kaess: Und genau das ist bisher die Forderung des HNC, die haben gesagt, die Vertreter der Opposition, erst wenn das Regime des Diktators Baschar al-Assad den Beschuss ziviler Ziele stoppe, dann sei die Teilnahme an diesen Verhandlungen sinnvoll. Ist denn jetzt auf diese Forderung verzichtet worden oder tut sich da tatsächlich etwas hinter den Kulissen, diese Forderung umzusetzen?
    Kaim: Ich kann natürlich auch nicht hinter die Kulissen gucken, aber es ist genau, wie Sie sagen. Das ist die Conditio sine qua non des Hohen Verhandlungskomitees, dass es keine Verhandlung über eine politische Agenda geben würde, also das, was die internationale Gemeinschaft Ende letzten Jahres verabschiedet hat, diesen Zeitplan, innerhalb von sechs Monaten eine Übergangsregierung zu erstellen und dann innerhalb von 18 Monaten zu einer Verfassungsreform und zu freien, fairen Wahlen zu kommen, darüber noch gar nicht zu sprechen, solange eben diese Übergriffe, die Belagerung und auch die systematische Aushungerung von Zivilisten in bestimmten Städten durch das Assad-Regime anhält. Und dementsprechend ist es auch erst mal nachvollziehbar, dass die Gruppierung oder das Hohe Verhandlungskomitee und die syrische Regierung sich gar nicht direkt gegenübersitzen werden, sondern in diesen sogenannten Proximity Talks, also in diese Gespräche begeben werden, wo sie in unterschiedlichen Räumen ein und desselben Hotels sitzen und die Vermittler von de Mistura zwischen den verschiedenen Parteien pendeln.
    Kaess: Und wie realistisch noch mal ist diese Forderung der Opposition, Erleichterung für die Zivilbevölkerung, dass da tatsächlich sich etwas tut?
    Kaim: So sehr ich mir das wünschen würde, die stärkere Seite ist im Moment das Assad-Regime. Und da hat ganz eindeutig mit dem russischen militärischen Engagement seit September zu tun. Seitdem ist der Vormarsch oppositioneller Gruppen weitgehend gestoppt, im Gegenteil, das Momentum ist wieder aufseiten von Präsident Assad. Das heißt, er hat ein Interesse oder sein Regime hat ein Interesse an einer Verzögerung dieser Gespräche, weil die Zeit ganz eindeutig für Präsident Assad spielt. Von daher bin ich eher sehr skeptisch, was Fortschritte in diesem Bereich betrifft.
    Kaess: Wieso spielt die Zeit für Präsident Assad?
    Kaim: Weil vor einiger Zeit, vielleicht nehmen wir mal einen Referenzpunkt, von einem Jahr tatsächlich er militärisch in die Defensive geraten war, weite Teile des Landes unter Kontrolle von anderen, dem IS oder militärischen oppositionellen Gruppen gewesen sind. Und das hat sich deutlich verändert. Diese Defensivposition ist einer Offensivposition gewichen, mit militärischer Unterstützung Russlands seit September, mit einer militärischen Unterstützung durch den Iran, die schon viel früher begonnen hat, und dementsprechend sitzt er jetzt, zumindest was die Zeit des Bürgerkriegs, also die letzten fünf Jahre betritt, fester im Sattel denn je, Präsident Assad. Und aus dieser Stärke heraus erklärt sich glaube ich auch die mangelnde Konzessionsbereitschaft. Und das lässt mich eben zu der Schlussfolgerung kommen, dass wir, so sehr wir uns Fortschritte mindestens im humanitären Bereich wünschen würden, also Belagerung beenden, das Ende von Bombardierung und die Freilassung von politischen Gefangenen, befürchte ich doch, dass das erst einmal außerhalb der Reichweite ist.
    Kaess: Wie wackelig ist dann die Opposition als Partner in diesen Verhandlungen?
    Kaim: Also, es ist ja ein sehr heterogenes Bündnis, das Hohe Verhandlungskomitee. Also, hier findet sich eine sehr diverse Ansammlung von oppositionellen Gruppen, auch militärischen Gruppen, also bewaffneten Rebellengruppierungen, die letzten Reste dessen, was wir vor wenigen Jahren als die freie syrische Armee kannten. Und wie heterogen diese Gruppierung gewesen ist, lässt sich ja daran ablesen, dass es erheblichen Drucks aus Saudi-Arabien bedurfte. Man hat diese Gruppierung ja im Dezember in Riad zusammengebracht und unter erheblichem Druck ihnen klargemacht, dass sie sich zu einer Art Verhandlungsdelegation vereinigen müssten. Aber wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass hier auch viel Trennendes gegenüber dem Gemeinsamen überwiegt.
    Kaess: Warum hat das Regime von Assad so ein großes Interesse, auch die humanitäre Situation von Zivilisten so katastrophal zu halten?
    Kaim: Weil hier Hunger, um es mal an einem Beispiel deutlich zu machen, in einer Jahrtausende alten Tradition als Waffe eingesetzt wird, und als sehr wirksame Waffe eingesetzt wird. Bestimmte Gebiete, die militärisch gegebenenfalls nicht oder nur mit einem hohen Blutzoll zu erobern sind, werden systematisch ausgehungert. Und da haben wir in den letzten Monaten fürchterliche Bilder gesehen aus einzelnen, kleineren Städten, die eben entsprechend abgeriegelt worden sind. Fairerweise muss man sagen, diese Praxis geht nicht nur von dem Assad-Regime aus, auch einzelne Rebellengruppen haben sich hier das zu Schulden kommen lassen. Aber es wird systematisch als Kriegswaffe genutzt, um die Position des Gegners zu schwächen.
    Kaess: Herr Kaim, Sie haben ja jetzt sehr pessimistische Aussichten für diese Verhandlungen gezeichnet. Wie lange geben Sie dem Ganzen, bis die Gespräche platzen oder bis man eben doch eventuell kleine Schritte nach vorne macht?
    Kaim: Also, das ist aus heutiger Sicht spekulativ. Ich glaube, die Verhandler gehen jetzt erst mal davon aus, zwei bis drei Wochen zu versuchen, kontinuierlich in Genf zu verhandeln. Also jetzt nicht ein Eröffnungstreffen zu haben und dann wieder abzureisen, sondern so eine gewisse Verhandlungsdynamik in Gang zu bringen. Und ich halte es auch für durchaus richtig, die politische Agenda, die wir gerade eben besprochen haben, erst mal hinten anzustellen und auf den Bereich der humanitären Erleichterung zu fokussieren. Nur, ich glaube, da wird es erheblichen internationalen Drucks bedürfen, gerade vor allem von russischer und iranischer Seite, um hier zu einzelnen Fortschritten zu kommen.
    Kaess: Wie entscheidend wäre die Teilnahme kurdischer Gruppen an diesen Genfer Gesprächen gewesen?
    Kaim: Ich glaube, wir werden zu der Schlussfolgerung kommen ... Ein Problem ist, dass viele nicht am Tisch sitzen. Jabhat al-Nusra, also der syrische Ableger sitzt nicht mit am Tisch, die Kurden sitzen nicht mit am Tisch, IS sitzt nicht mit am Tisch, das sind sozusagen aus heutiger Sicht selbstverständliche Perspektiven. Aber im Beitrag ist bereits an...
    Kaess: IS sollte mit am Tisch sitzen, meinen Sie damit?
    Kaim: Ja, zumindest ... Im Beitrag ist es ja gerade angeklungen: Ein dauerhafter Waffenstillstand für Syrien in seiner Gänze wird ohne diese Gruppen nicht erreichbar sein. Und dementsprechend, so gewöhnungsbedürftig die Perspektive aus heutiger Sicht ist: Ich glaube, an einer Form von politischer Auseinandersetzung führt kein Weg vorbei.
    Kaess: Die Einschätzung von Markus Kaim, er ist Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke für dieses Gespräch heute Mittag, Herr Kaim!
    Kaim: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.