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Syrien-Gespräche in Genf
"Es könnte nach vorne gehen"

Jan van Aken, der außenpolitische Sprecher der Links-Fraktion im Bundestag, ist optimistisch, dass es spätestens nächste Woche neue Syrien-Gespräche geben wird. "Alle Seiten wissen, dass sie militärisch nicht gewinnen können", sagte van Aken im DLF. Und das sei die beste Ausgangslage.

Jan van Aken im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.03.2016
    Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion
    Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion (imago/Müller-Stauffenberg)
    Mario Dobovisek: Allmählich sollen sie wieder aufgenommen werden, die Syrien-Friedensgespräche in Genf. Offizieller Start der neuen, zuvor vertagten Runde ist heute. Jedenfalls wird der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura ab heute in Genf wieder auf Gesprächsteilnehmer warten. Ob und wann diese eintreffen, bleibt aber ungewiss. Die Opposition hatte ihr Kommen zugesagt, dann wieder in Frage gestellt. Inzwischen heißt es, dass es am Wochenende, spätestens am Montag losgehen könnte. Viele Konjunktive und offene Fragen, über die wir sprechen wollen mit Jan van Aken, dem außenpolitischen Sprecher der Linkspartei im Bundestag und gerade zu Gesprächen bei den Vereinten Nationen in New York. Guten Abend, Herr van Aken!
    Jan van Aken: Guten Abend! Oder schönen guten Morgen nach Deutschland.
    Dobovisek: Glauben Sie daran, dass es in den nächsten Tagen tatsächlich wieder Gespräche geben wird?
    van Aken: Im Moment bin ich wirklich optimistisch. Ich meine, wenn Sie mich vor einem Monat gefragt hätten, hätte ich das nicht für möglich gehalten, dass wir jetzt seit elf Tagen eine Feuerpause haben, die halbwegs gut sogar hält, und das ist natürlich die Voraussetzung für weitere Gespräche. Anders herum sind natürlich die Gespräche auch Voraussetzung für ein Anhalten der Feuerpause. Deswegen sind, glaube ich, alle Beteiligten im Moment bereit dazu, mehr oder weniger. Ich bin relativ optimistisch.
    Dobovisek: Beide Seiten können sich annähern bei möglichen Gesprächen. Das setzt voraus, dass die Opposition tatsächlich auch anreist. Da gab es viel Hin und Her in den letzten Tagen. Wie ist Ihr aktueller Stand?
    van Aken: Ich habe heute hier in New York bei Gesprächen gehört, am 14., am nächsten Montag soll es diese Gespräche geben. Aber aus Saudi-Arabien, wo die syrische Opposition sitzt oder ein Teil davon, hört man Gemischtes. Ich denke, am Ende hängt es natürlich hauptsächlich auch von Saudi-Arabien, vom Staat Saudi-Arabien ab und von der Türkei, die dort eher auf einer Linie sind, ob sie nun der Opposition raten oder sie drängen zu kommen oder nicht. Im Moment halte ich es für sehr gut möglich, dass am Ende die Wichtigsten doch mit vor Ort sind. Andere Teile der Opposition wie die Kurden sind eh nicht eingeladen, aber sie halten sich trotzdem an die Waffenruhe. Im Moment spricht alles dafür, dass es zu Gesprächen kommen könnte.
    Dobovisek: Haben Sie den Eindruck, Herr van Aken, dass alle Beteiligten, alle Seiten die, nennen wir es mal, Bedenkzeit der vergangenen Wochen und auch die Feuerpause genutzt haben?
    van Aken: Na ja. Ich glaube, durch diese elf Tage Feuerpause, die wir jetzt hatten, gibt es so was wie ein Vertrauen möchte ich das nicht nennen, aber ein Gefühl, es könnte nach vorne gehen, denn wir haben ja die Situation, dass, glaube ich, mittlerweile alle Seiten wissen, dass sie das militärisch nicht gewinnen können. Dadurch, dass Russland relativ brutal in den letzten Wochen bombardiert hat, gibt es mittlerweile eine militärische Situation, wo keiner wirklich nach vorne kommen kann. Und das ist immer die beste Ausgangslage für Gespräche, wenn alle wissen, zu einem Frieden oder zu einer Lösung, wo wir auch Teil einer Lösung sind, kommen wir nur, wenn wir miteinander reden. Da sind wir gerade und ich hoffe, dass alle Beteiligten einsehen, dass sie, wenn sie jetzt nicht mitreden, am Ende nur verlieren können.
    Dobovisek: Zwischen Russland und den USA beobachten wir in den vergangenen Wochen eine Annäherung zumindest in Worten. Wie müsste sich diese Annäherung bei den Friedensgesprächen ab dem Wochenende, ab Montag ausdrücken?
    "Viele verschiedene Gruppen unter einen Hut bringen"
    van Aken: Ich glaube, das ist gar nicht das größte Problem. Natürlich steht immer im Raum die große Frage, ist an einer Friedenslösung am Ende Assad mit beteiligt oder nicht. Da sagen die Russen, er muss mit dabei sein, die Amis sagen, auf gar keinen Fall. Das halte ich am Ende für lösbar mit Übergangslösungen.
    Dobovisek: Wie denn?
    van Aken: Na ja. Es wird mit Sicherheit eine Übergangslösung geben, wo am Anfang noch das Regime Assad mit beteiligt ist und nach einer gewissen Zeit, ein, zwei drei Jahre, das wird dann zu verhandeln sein, dann nicht mehr. Das finde ich jetzt relativ einfach diplomatisch lösbar. Schwierig ist halt, dass es so viele verschiedene Parteien gibt, dass natürlich die Saudis und die Türkei noch mal ganz andere Interessen haben, dass es dort die kurdischen Gruppierungen gibt, die dann natürlich sagen, sie wollen Autonomie und in irgendeiner Form an den Gesprächen beteiligt werden. Viele verschiedene Interessen unter einen Hut zu bringen, ist am Ende schwieriger als dieser Gegensatz zwischen Russland und den USA, die, glaube ich, da relativ weit sind in ihren Gesprächen.
    "Europa schaut im Moment wie das Kaninchen auf die Schlange, auf die Türkei"
    Dobovisek: Beim EU-Gipfel mit der Türkei am vergangenen Montag ging es unter anderem um die Finanzierung der Flüchtlingshilfe. Hunderttausende syrische Flüchtlinge leben auch in Flüchtlingslagern zum Beispiel in Jordanien. Darüber führen Sie gerade auch Gespräche bei den Vereinten Nationen in New York. Wie groß ist da der Hilfsbedarf?
    van Aken: Der ist riesig und das ist natürlich einer der Punkte, der völlig vernachlässigt wird. Europa schaut im Moment wie das Kaninchen auf die Schlange, auf die Türkei, versucht, die Flüchtlingsfrage mit der Türkei zu regeln, und verliert dabei manchmal aus den Augen, dass Länder wie Libanon, Jordanien fast noch eine viel größere Last zu tragen haben, darunter fast zusammenbrechen, auch als Staaten zusammenbrechen. Hier bei der UNO werde ich in den nächsten Tagen auch mit den entsprechenden Einrichtungen Gespräche führen, woran liegt es eigentlich genau, dass das Geld immer wieder fehlt, dass die Nahrungsmittelhilfe immer wieder gekürzt werden muss. Wer zahlt da eigentlich nicht? Was funktioniert da nicht? Und wenn man dann gleichzeitig sieht, dass Erdogan es schafft, der Türkei dort sechs Milliarden aus Europa zu erpressen, da stimmt irgendwas nicht im Gleichgewicht.
    "Man muss irgendwann auch sagen, hier ist Stopp für die türkische Regierung"
    Dobovisek: Welche Rolle spielt dabei Deutschland?
    van Aken: Na ja. Deutschland ist, glaube ich, ganz zentral dabei. Angela Merkel hat offenbar entschieden, dass sie beide Augen fest zukneift, was die Menschenrechte in der Türkei angeht, die Verfolgung von Journalisten, den Krieg dort im Südosten gegen die Kurden, weil sie einzig und allein auf die Flüchtlingsfrage guckt. Und ich glaube, solange Deutschland und die EU die Türkei nur durch die Flüchtlingsbrille sehen, solange wird man in Syrien nicht weiterkommen. Ich glaube, man muss irgendwann auch mal sagen, hier ist Stopp für die türkische Regierung, sie darf ihr Spiel nicht auf dem Rücken der Menschen in Syrien und der Flüchtlinge austragen.
    Dobovisek: Ohne Zweifel spielt die Türkei eine entscheidende Rolle, um die Zahl der Flüchtlinge in Mitteleuropa zu reduzieren. Die Gespräche am Montag wurden vertagt. Der Preis sozusagen wird weiter verhandelt werden. Wie hoch darf dieser Preis am Ende sein?
    van Aken: Ich glaube, er darf nicht so hoch sein, dass man bei einem Menschen wie Erdogan oder der jetzigen türkischen Regierung wirklich ganz wegschaut bei der Menschenrechtslage und dann sogar noch eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht stellt für jemand, der gerade Zeitungen schließt und Journalisten ins Gefängnis steckt. Das darf nicht sein. Und vor allen Dingen lässt sich über so einen Weg die Flüchtlingsfrage überhaupt nicht lösen, weil die Menschen fliehen aus Syrien, weil dort Krieg ist, und solange sich das nicht ändert, werden sie eben die andere Route über Libyen nehmen, über andere Mittelmeer-Wege. Deswegen müsste eigentlich im Moment viel stärker im Fokus die Syrien-Frage sein und nicht so sehr die Frage, was können wir tun, damit die Türkei die Flüchtlinge zurückhält.
    Dobovisek: Lässt sich die EU von der Türkei erpressen?
    van Aken: Im Moment ja, ganz klar, und ich glaube, da hat auch Angela Merkel einen ganzen Großteil Schuld auf sich geladen, dass sie diese Erpressung mitmacht. Denn wenn ich gleichzeitig sehe - ich war vor wenigen Wochen im Südosten der Türkei, in Diyarbakir -, dass dort die türkische Armee kurdische Stadtteile bombardiert, dass die Türkei nach Syrien reinbombardiert auf kurdische Stellungen, die gleichzeitig von den USA unterstützt werden, da macht diese türkische Regierung ein derart schmutziges Spiel und Merkel macht das mit. Das geht so nicht.
    Dobovisek: Jan van Aken, Außenpolitiker der Linkspartei, gerade zu Gesprächen in New York. Vielen Dank für das Interview und eine gute Nacht Ihnen.
    van Aken: Danke!
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen