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Syrien-Konferenz
Van Aken: Assad kann man nicht wegverhandeln

Bei der Syrien-Konferenz säßen Todfeinde zusammen an einem Tisch, die keinen Millimeter zurückweichen wollten, sagte der Linken-Politiker Jan van Aken im Deutschlandfunk. Solange die Rebellen aber darauf beharrten, dass der syrische Präsident Assad abtrete, werde es keine Lösung geben.

Jan van Aken im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 31.01.2014
    Tobias Armbrüster: Bei den Syrien-Gesprächen in Genf geht die erste Runde heute zu Ende.
    Jan van Aken ist Außenpolitiker der Linkspartei und war vor seiner Zeit als Abgeordneter im Bundestag unter anderem als UNO-Waffeninspekteur tätig. Herr van Aken, war diese erste Runde der Gespräche in Genf für Sie ein Erfolg?
    Jan van Aken: Erfolg ist ein großes Wort. Es war gut, weil es ist immer eine gute Nachricht, wenn Todfeinde anfangen, miteinander zu reden. Und es ist gut, dass die sich jetzt darauf geeinigt haben, in einer Woche weiterzureden. Das heißt: Prinzip Hoffnung; es ist auf dem richtigen Weg. Aber Erfolg ist, sage ich mal, der erste, wenn die Waffen tatsächlich schweigen. Das wird wahrscheinlich einer der nächsten Schritte sein, sich auf, und wenn es nur teilweise ist, Waffenstillstände zu einigen, und danach kommt dann irgendwann die politische Lösung.
    Armbrüster: Aber es sieht doch alles danach aus, als ob vor allen Dingen Präsident Assad diese Gespräche eher nutzt, um diesen Konflikt oder zumindest die Kriegshandlungen noch weiter in die Länge zu ziehen.
    van Aken: Ja. Das ist natürlich für alle Seiten jetzt ein Propagandainstrument und auch ein Propagandakrieg, den sie da führen. Sie wollen natürlich jeweils die Weltöffentlichkeit auf ihre Seite ziehen, und deswegen ist das ein ganz, ganz langer Prozess, ehe die sich einigen können. Ich glaube, es ist eine Illusion zu glauben, es wird am Ende der Verhandlungen und vielleicht sogar in wenigen Wochen schon eine neue Regierung ohne Assad stehen. Weil Sie werden so einen Bürgerkrieg nur beenden, wenn alle Seiten mit am Tisch sitzen und entsprechend ihres Einflusses in dem Land denn auch beteiligt werden. Das mag man jetzt doof finden, so wie ich es doof finde, aber Assad hat nun mal relativ großen Einfluss im Moment in Syrien und ich sehe nicht, dass es da kurzfristig eine Lösung gibt, eine Übergangsregierung ohne ihn. Auf der anderen Seite wird die Opposition natürlich auch, weil sie auch Einfluss hat, beteiligt sein, aber nur so kann eine Lösung aussehen, wenn tatsächlich die Waffen schweigen sollen.
    Teufelskreis der Waffenlieferungen
    Armbrüster: Nun gibt es viele internationale Vertreter, die sagen, wenn Assad jetzt während der Verhandlungen auf dem Boden Tatsachen schafft, dann müssen wir auch die Rebellen weiter aufrüsten.
    van Aken: Ja. Das ist natürlich ein ganz großer Fehler, weil die Logik ist immer: Der eine hat Waffen, jetzt müssen wir den anderen auch Waffen liefern. Und keiner stellt mal in den Raum, wie verhindern wir, dass der erste überhaupt Waffen bekommt. Seit zwei Jahren versuche ich, irgendwen davon zu überzeugen, dass man mehr dafür tut, dass keine Munition, keine Waffen ins Land reinkommen. Wir wissen, dass über die Türkei ganz viel da reingegangen ist. Wir wissen, dass Saudi-Arabien ganz viel Waffen liefert. Wir wissen, dass Russland Assad beliefert. Es gab keinen einzigen Versuch, irgendeines dieser Lieferländer daran zu stoppen. Und das finde ich eigentlich fatal. Und jetzt zu sagen, Partei A hat so viele Waffen, deswegen kriegt Partei B noch mehr Waffen, das ist irgendwie ein Teufelskreis. Den wollen wir doch gerade durchbrechen.
    Armbrüster: Aber dass Präsident Assad und die syrischen Truppen deutlich im Vorteil sind, was Waffen angeht, das können auch Sie nicht bestreiten.
    van Aken: Nein, natürlich ist er das und natürlich ist das auch schlecht. Aber wollen Sie sozusagen weiter aufrüsten? Was meinen Sie, wie dann die Russen sofort nachziehen, Assad noch weiter aufrüsten. Dann haben Sie eine Eskalation des Krieges. Wir wollen doch gerade einen Waffenstillstand erreichen, das Gegenteil. Man muss sich überlegen, was man politisch will. Und einen Krieg zu eskalieren, ist, denke ich, immer das Falsche.
    Armbrüster: Wir haben ja in den letzten Tagen nun auch erfahren, dass Assad nicht nur hochgerüstet ist, sondern dass er sogar sehr zögerlich damit ist, seine Chemiewaffen wie versprochen aufzugeben. Da ist die Rede davon, dass bisher nur vier Prozent der Waffen überhaupt zur Vernichtung freigegeben worden sind. Was sagen Sie dazu?
    van Aken: Das ist totaler Quatsch! Das ärgert mich auch richtig. Denn die, die das behaupten, die wissen, dass die Zahlen ganz andere sind. Diese vier Prozent, die beziehen sich auf alle Chemikalien in Syrien, die irgendwie mit dem Chemiewaffenprogramm zu tun haben. Tatsächliche Chemiewaffen sind aber gerade mal ein bisschen mehr als 100 Tonnen und davon ist schon über ein Drittel außer Landes geschafft worden. Dass das so lange gedauert hat, hat nichts mit Assad zu tun, der irgendwas verzögert, sondern es musste erst mal das Schiff fertiggemacht werden, auf dem das chemisch zersetzt wird, diese Nervengase. Das musste ins Mittelmeer fahren, das hat sich alles hingezogen. Da kann der Assad nun tatsächlich nicht so viel für. Der kann sehr viel dafür, dass er überhaupt ein Chemiewaffenprogramm hatte. Aber jetzt so zu tun, als ob nur vier Prozent – die Zahl ist schon mal falsch – vernichtet sind, und zweitens Assad die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben, ist einfach falsch. Assad bewegt sich dann, wenn Russland Druck macht. Im Moment macht Russland Druck auf ihn, diese Chemiewaffen zu vernichten, und ich kann an keiner Stelle erkennen, dass es Assad ist, der das in irgendeiner Form behindert.
    "Es muss etwas ganz Konkretes für die Menschen passieren"
    Armbrüster: Was erwarten Sie denn von den nächsten Gesprächen, die in einer Woche losgehen sollen?
    van Aken: Es muss einen Schritt weitergehen, oder zwei Schritte. Der erste Schritt ist, tatsächlich endlich irgendeine Art von humanitären Lösungen zu finden. Das was diese Woche schon mal verkündet wurde, was dann aber gar nicht eingetreten ist, da müssen die beiden Seiten es schaffen, vielleicht mal einen Tag einen Waffenstillstand, um dann Güter nach Homs reinzubringen. Wie auch immer das aussieht, aber es muss was ganz Konkretes für die Menschen passieren. Ich glaube, das müsste möglich sein. Das Zweite ist: Es müsste dann angefangen werden, über einen Waffenstillstand zu reden, um Luft zu schaffen für die weiteren Verhandlungen.
    Armbrüster: Woran liegt es denn Ihrer Ansicht nach, dass diese Hilfslieferungen nach Homs noch nicht zustande gekommen sind und auch das freie Geleit für Frauen und Kinder? Das wurde ja schon vor einigen Tagen vereinbart.
    van Aken: Da sitzen Todfeinde am Tisch und die haben alle Familienangehörige, Freunde in diesem Krieg verloren und die wollen keinen Millimeter zurückweichen. Und dann sagt die eine Seite, dann sagen die Rebellen, es darf auf gar keinen Fall auch nur ein Gramm Mehl irgendwie in Assads Hände gelangen, weil dann rüsten wir ihn ja für den Krieg auf. Und umgekehrt genauso. Das heißt, sie gönnen sich keinen Millimeter. Und das muss man durchbrechen und sagen, es muss Hilfslieferungen geben. Und natürlich profitieren am Ende alle Menschen davon, egal ob sie nun im Moment zu Assad oder zu den Rebellen halten. Diesen Punkt muss man überwinden. Es klang diese Woche an, hat nicht geklappt, ich glaube, nächste Woche müssten die so weit sein.
    Armbrüster: Was muss am Ende dieser Konferenz stehen? Muss Assad abtreten?
    van Aken: Wenn Sie nach müssen fragen, von mir aus ja. Er wird es praktisch nicht tun und solange die Rebellen darauf beharren, dass Assad abtritt, wird es keine Lösung geben, weil in Syrien on the ground ist Assad in vielen Regionen noch relativ stark. Es ist eine Illusion zu glauben, man kann ihn jetzt wegverhandeln. Es muss irgendeine Art von Übergangslösung geben, wo auch die Rebellen, verschiedenste Gruppen mit dran beteiligt sind, auch die Kurden übrigens im Norden, wie ich finde, und Assad wird sicherlich am Anfang auch mit dazugehören. Wie das dann langfristig organisiert wird, ist noch eine ganz andere Frage.
    "Je länger der Krieg läuft, desto stärker wird Al-Kaida in der Region"
    Armbrüster: Ist denn Assad auch derjenige, der dafür verantwortlich ist, dass immer mehr Al-Kaida-Kämpfer und ähnliche Gruppen in diesen Krieg mit reingezogen werden? Feuert er diesen Krieg damit noch weiter an?
    van Aken: Er hat natürlich gar kein Interesse daran, dass mehr Al-Kaida-Kämpfer sind. Er hat ja eher ein säkulares Regime gehabt. Er ist insofern dafür verantwortlich, weil er diesen Bürgerkrieg weiter in die Länge zieht, und je länger der dort tobt, desto mehr islamistische Kämpfer kommen ins Land. Aber die bekämpfen sich ja alle. Assad und die Islamisten bekämpfen sich vor Ort. Das sind also keine, die in irgendeiner Form eine Partnerschaft eingehen. Insofern ist das nur ganz indirekt, kann man dafür Assad die Schuld geben. Aber ganz praktisch: Je länger dieser Krieg läuft, desto stärker wird Al-Kaida in der Region. Das ist eine ganz gefährliche Entwicklung.
    Armbrüster: Jan van Aken war das, Außenpolitiker der Linkspartei und Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Besten Dank für das Gespräch, Herr van Aken.
    van Aken: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.