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Syrien-Konflikt
"Chance auf politische Lösung steigt"

Nach den Beratungen in Wien über den Krieg in Syrien sieht der Arabienexperte Günter Meyer die Chance auf eine politische Lösung näher rücken. Immerhin hätten die USA eingelenkt und sich damit einverstanden erklärt, dass Assad für eine Übergangsperiode an der Macht bleiben könne. Das sei ein ganz wesentlicher Fortschritt, sagte Meyer im Deutschlandfunk.

Günter Meyer im Gespräch mit Dirk Müller | 24.10.2015
    Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt in Mainz
    Günter Meyer, Arabienexperte der Universität in Mainz (dpa / picture alliance / Peter Pulkowski)
    Dirk Müller: Der Krieg in Syrien – wie kann dieser beendet werden. Darum ringen auch Washington und Russland, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Zielen. Vielleicht ist das aber die Essenz, vielleicht ist das das Wichtigste, was vom Treffen in Wien gestern Abend übrig geblieben ist: Sie sprechen wieder miteinander, die USA und Russland. John Kerry und Sergej Lawrow wollen ihre Syrienberatungen immerhin schon in der kommenden Woche fortsetzen. Unser Thema jetzt mit Professor Günter Meyer, Arabienexperte der Universität in Mainz. Guten Tag, Herr Müller!
    Günter Meyer: Guten Tag, Herr Müller!
    Müller: Miteinander reden – warum soll das schon viel sein?
    Meyer: Nun, bisher gab es völlig unvereinbare Positionen, vor allem in der Frage Baschar al-Assad, soll der an der Macht bleiben oder nicht. Die USA haben jetzt immerhin eingelenkt, und sie sind damit einverstanden, für eine Übergangsperiode, dass Baschar al-Assad an der Macht bleiben kann, aber im Endeffekt auf jeden Fall er zurücktreten und durch ein anderes Regime ersetzt werden muss. Das ist schon mal ein ganz wesentlicher Fortschritt, und das ist zurückzuführen auf den Wendepunkt, der auf den 30. September festzumachen ist, als die russische Regierung mit ihrem militärischen Aufmarsch und mit ihren anschließenden Luftangriffen gegen die Position der Rebellen begonnen hat.
    Müller: Das hört sich so an, dass Wladimir Putin jetzt alle Karten in der Hand hat.
    Meyer: Hat er in der Tat. Er ist derjenige, der grundsätzlich für die Neuentwicklung verantwortlich ist. Wenn wir einen Blick zurückwerfen zum Frühjahr: Dort hatte das Regime schwere Verluste hinnehmen müssen, die Truppen waren weitgehend aufgerieben zu einem erheblichen Teil, immer größerer Geländeverlust, und da fiel bereits die Entscheidung, dass der Iran gemeinsam mit Russland dafür sorgt, dass es zu einer Stabilisierung der Herrschaftsgebiete von Baschar al-Assad kommt.
    "Diese moderaten Oppositionellen, das sind Reliktgruppen"
    Müller: Muss die Weltgemeinschaft jetzt damit rechnen, Herr Meyer, dass wir über den Verbleib von Baschar al-Assad eben durch das Einlenken, wie Sie es beschrieben haben, der Amerikaner noch in Jahren reden werden, wird der jahrelang bleiben?
    Meyer: Diese Frage ist zurzeit noch offen, aber es deutet viel darauf hin, dass wir jetzt zumindest die Chance haben, eine politische Lösung zu finden, die im Endeffekt durchaus so aussehen wird, dass Baschar al-Assad dann nicht mehr an der Macht ist, aber wie das passiert, das ist die unterschiedliche Auffassung zwischen Russland – Putin sagt, das darf nicht von außen bestimmt werden, darüber müssen die Syrer bestimmen, während die westliche Allianz gemeinsam mit den arabischen Gegnern von Baschar al-Assad den Rücktritt schon in einer sehr frühen Phase fordert.
    Müller: Wir haben häufig schon über die komplizierte Gemengelage in Syrien gesprochen, wie viele Gruppierungen, Strömungen miteinander, gegeneinander kämpfen. Haben jetzt die von uns oft so genannten moderaten Rebellen, die moderaten Oppositionellen das Nachsehen?
    Meyer: Diese moderaten Oppositionellen, das sind Reliktgruppen, Milizen, die je nach militärischer Lage durchaus das Lager wechseln. Wir haben es auch daran gesehen, dass diese Milizen von den USA etwa mit Waffen versorgt worden sind. Diese Waffen landeten dann nicht nur bei der al-Qaida zugeordneten Nusra-Front, sondern zum Teil auch beim Islamischen Staat. Das heißt, moderate verlässliche Rebellengruppen oder Milizen, die wirklich ein Fundament und auch ein Machtfaktor in Syrien darstellen, die gibt es nicht mehr.
    Müller: Also kann man auch gar nicht sagen, es gibt dort nur, aus amerikanischer Sicht, die eine Linie, Kampf gegen den IS?
    Meyer: Wir haben eine Initiative, die zunächst vom Iran ausgegangen ist, die dann von Russland aufgegriffen worden ist, nämlich die Forderung, gemeinsam alle gegen den Islamischen Staat vorzugehen. Die Differenzen bestehen allerdings darin, dass Russland sagt, wir gehen gegen Terroristen und Rebellen vor und dem Islamischen Staat, während die USA und ebenso die Türkei und Saudi-Arabien die Position einnehmen, dass es vor allem nicht gegen die Terroristen, die gegen das Regime sind, geht, sondern hier der Kampf gegen den IS im Vordergrund steht.
    Müller: Dass ich da noch mal nachfrage: Wenn jetzt offiziell argumentiert wird, zumindest von Saudi-Arabien und Iran, das ist nicht der Kampf gegen die Terroristen, die gegen das Regime arbeiten, wenn wir das richtig verstanden haben, sind es ja gerade Terroristen, die gegen das Regime gearbeitet haben, die wir auch unterstützt haben, also die der Westen unterstützt hat.
    Meyer: Die der Westen unterstützt hat, und das sind eben durchaus auch islamistische Gruppen …
    Müller: Das sind diese unsicheren Kantonisten, die Sie jetzt beschrieben …
    Meyer: Das sind einerseits die unsicheren Kantonisten, die als moderate Kräfte bezeichnet werden, die aber eng mit radikalen Gruppen, wie etwa Nusra-Front, Ahrar al-Scham, Hardcore-Islamisten dann tatsächlich auch zusammenarbeiten.
    Die Position von Russland ist wesentlich realistischer als die der USA
    Müller: Das hört sich so an, als könnten wir – ich sage jetzt wir, ist nicht ganz korrekt –, als könnten die Amerikaner, die westliche Allianz, nur die falschen unterstützen.
    Meyer: Die Position von Russland ist auf jeden Fall wesentlich realistischer als die Position der USA, denn deren bisherige Forderung, Assad muss weg, das würde bedeuten, Zusammenbruch des Regimes – wer bleibt als Machtfaktor über: Die militanten Islamisten, die würden die Kontrolle über den Staat übernehmen, aber es ist entscheidend, dass das Regime bestehen bleibt, dass die Institutionen bestehen bleiben, die Sicherheitskräfte, nur die garantieren, dass das Land nicht völlig in ein Chaos versinkt. Da sind die Russen eben auf der Position, dass sie sagen, wir müssen zur Stabilisierung des Regimes beitragen, um tatsächlich zu einer friedlichen dauerhaften Lösung auf politischer Ebene zu kommen.
    Müller: Jetzt muss ich Sie noch das fragen, Herr Meyer: Benutzt Wladimir Putin die russische Intervention auch dazu, die Flüchtlingszahlen nach Europa in die Höhe zu treiben?
    Meyer: Das ist sicherlich nicht seine Intention. Es geht bei der russischen Invasion oder Intervention ausschließlich darum, tatsächlich zu verhindern, dass das Regime zusammenbricht, denn diese Gefahr war sehr groß. Außerdem war geplant, dass die Opposition unter Führung von USA, Türkei und auch von Saudi-Arabien jetzt Anfang Oktober bereits eine Großinvasion vornehmen sollte an unterschiedlichsten Fronten. Das heißt, der Angriff, die Intervention von russischer Seite dient vor allem dazu, das Regime überhaupt noch am Leben zu erhalten, und eine Verhandlungsposition zu finden, wo es dann tatsächlich möglich ist, hier zu einer politischen Lösung zu kommen.
    Müller. Professor Günter Meyer bei uns heute Mittag in Deutschlandfunk, Arabienexperte der Universität Mainz. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag!
    Meyer: Vielen Dank, Herr Müller!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.