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Syrien-Konflikt
Knut Fleckenstein (SPD): Russland könnte Assad fallen lassen

Auch Russland könnte von seinem Kurs abweichen, Syriens Machthaber Assad zu schützen, glaubt der SPD-Europaabgeordnete Knut Fleckenstein. Im Deutschlandfunk kritisierte Fleckenstein, dass bislang jedoch nur ungenügend darüber nachgedacht worden sei, wie es nach einem Sturz des Diktators in Syrien weitergehen könne.

Knut Fleckenstein im Gespräch mit Peter Kapern | 12.09.2015
    Knut Fleckenstein, EU-Abgeordneter der SPD
    Knut Fleckenstein, EU-Abgeordneter der SPD (picture alliance/dpa/Markus Scholz)
    Es bringe nichts, die "Bösen" aus dem Amt zu drücken, ohne zu wissen, was danach in Syrien geschen solle, sagte Knut Fleckenstein (SPD).
    "Dort gibt es demokratische, semi-demokratische und ganz bestimmt undemokratische Oppositionsgruppen. Da müssen sich die großen Mächte unterhalten, sonst kommt es zu einer problematischen Situation."
    Fleckenstein lobte die Appelle von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier an die USA und Russland, von Alleingängen abzusehen: "In der Diplomatie müssen Wege gefunden werden, bei denen jede Seite ihr Gesicht behält."
    Er begrüßte zudem die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine. Der erste wirkliche Waffenstillstand im Land wecke Hoffnungen. "Es geht darum, eine neue Verfassung in der Ukraine zu erarbeiten, die nicht nur in Kiew gefällt, sondern auch in den Separatistengebieten."

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Bei mir im Studio ist nun Knut Fleckenstein, Europaabgeordneter der SPD und im Straßburger Parlament Mitglied der Russland-Delegation. Herr Fleckenstein, heute treffen sich die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine in Berlin. Dabei geht es natürlich um die Ukraine-Krise – erstaunlich genug einerseits, dem Außenministertreffen von heute soll aber Anfang Oktober auch noch ein Treffen mit Russlands Staatschef Wladimir Putin folgen, und noch erstaunlicher: Auf die Agenda des heutigen Treffens drängt nun plötzlich auch noch der Bürgerkrieg in Syrien, wo man sich eine Kooperation Russlands offensichtlich erhofft. Warum jetzt plötzlich diese dichten diplomatischen Kontakte zu Moskau, was hat da die Lage verändert?
    Knut Fleckenstein: Ich glaube, es sind zwei Dinge: Das eine ist, in der Ukraine selbst haben wir zum ersten Mal seit einigen Tagen eine wirkliche Waffenpause oder einen Waffenstillstand, und daraus entwickeln sich natürlich auch Hoffnungen, nun weiterzugehen. Es werden die schwereren Waffen zurückgezogen, das berichtet auch die OSZE, dass das wirklich in Gange kommt, und nun geht es darum, in der Ukraine die Kommunalwahlen durchzuführen, und zwar so, dass alle Beteiligten sie auch anerkennen wollen und können hinterher. Es geht darum, eine neue Verfassung in der Ukraine zu erarbeiten, die nicht nur denen in Kiew gefällt, sondern auch denen, die in den sogenannten Separatistengebieten im Moment die Macht ausüben. Und es geht auch ganz bestimmt darum, dass man gemeinsame andere Probleme hat, die man auch ansprechen wird. Sie haben die Syrien-Frage eben genannt, das drängt ja die Europäer ganz besonders aufgrund der Flüchtlingsströme leider erst, aber insgesamt ist das eine Sache, die man nur gemeinsam lösen kann.
    Kapern: Bleiben wir noch mal kurz bei der Situation in der Ostukraine. Sie haben gesagt, die Waffenpause, die erste echte Waffenpause, die es dort jetzt gibt, die macht tatsächlich mal Hoffnung und Appetit auf mehr. Bisher war die These ja, dort hat es keine echte Waffenruhe gegeben, weil Moskau dies nicht wollte. Warum, wenn diese These stimmt, will Moskau auf einmal diese Waffenruhe?
    Fleckenstein: Ich kann es Ihnen nicht sagen, warum es gerade jetzt passiert, aber ich glaube, das hat schon etwas damit zu tun, dass die gesamte Atmosphäre auch ein bisschen entkrampft. Das hat etwas mit dem Iran-Abkommen zu tun, das gemeinsam erarbeitet wurde und auch Gott sei Dank mal etwas erfolgreich erarbeitet worden ist, und meine große Hoffnung ist, dass man dadurch, dass man in der Ukraine einen Weg findet, wieder aufeinander zuzugehen, auch die Atmosphäre und den guten Willen von allen Seiten sieht, dann auch in Syrien gemeinsam zu handeln, weil nur gemeinsam dort etwas bewirkt werden kann.
    Kapern: Das klingt, Herr Fleckenstein, als sei internationale Diplomatie sehr stimmungsabhängig, wenn Sie sagen, dass aus einem Abkommen, das mit dem Iran geschlossen wird, so etwas wie eine gute Atmosphäre entsteht, die dann mehr ermöglichen könnte.
    Fleckenstein: Na ja, es geht – da haben Sie schon recht – es geht nicht nur um Stimmungen und um gute oder schlechte Gefühle, es geht ja immer auch um Machtfragen, aber es gibt bestimmte Punkte wie beispielsweise den Syrien-Konflikt, wo allen Beteiligten eigentlich klar sein muss, dass sie nicht gegeneinander, sondern nur miteinander eine Lösung dort finden können. Es geht einmal um den ISIS-Staat, es geht um die Frage, wie Herr Assad aus dem Amt genommen werden kann oder selber zu der Einsicht kommt, dass er gehen müsste oder muss, und es ist die Frage, was danach eigentlich geschieht, weil diese Frage ja in der Vergangenheit nicht häufig wirklich konsequent zu Ende gedacht worden ist und danach gehandelt worden ist, weil es nützt ja nichts, die Bösen sozusagen zur Seite zu drücken und dann nicht zu wissen, was dann geschehen soll.
    Kapern: Bleiben wir noch mal kurz bei der Ukraine, Herr Fleckenstein. Nun gibt es da Anfang Oktober auch noch ein Treffen mit dem russischen Staatspräsidenten Putin – was lässt sich aus der Tatsache, dass Angela Merkel und François Hollande bereit sind, sich mit ihm wieder an einen Tisch zu setzen, herauslesen? Was erkennt der erfahrene Außenpolitiker anhand dieses Termins?
    Fleckenstein: Also er erkennt, dass scheinbar auf allen Seiten die Hoffnung besteht, eine Einigung zu bekommen über die jetzt zu erfolgenden nächsten Schritte, die im Minsker Abkommen ja vorgezeichnet sind. Und da wir das ohne das Einverständnis und auch das deutlich sichtbare Einverständnis des russischen Staatspräsidenten nicht hinbekommen werden, ist das schon von Bedeutung, weil es strahlt ja auch in die Ukraine, es strahlt in die sogenannten Separatistengebiete hinein und gibt Hoffnung, dass ... Die treffen sich nicht, wenn sie nicht das Gefühl haben – jetzt sind wir schon wieder beim Gefühl –, wenn die nicht die Aussicht haben, dass da auch etwas Positives dabei herauskommt.
    "Weder die Russen noch andere sollten versuchen, da sozusagen im Alleingang etwas zu regeln"
    Kapern: Nun schauen wir auf den anderen Krisenbrennpunkt, auf dem der Westen mit Moskau vielleicht zu einer Kooperation gelangen könnte: Außenminister Steinmeier hat gestern wissen lassen, er sehe jetzt einen Moment für neue diplomatische Bewegung in Sachen Syrien, und zwar offensichtlich im Gespräch mit der Schutzmacht des syrischen Diktators Baschar al-Assad mit Russland. Sieht die deutsche Außenpolitik dies mit Blick auf das russischen Engagement aufseiten Assads etwas anders als die amerikanische Außenpolitik, denn wir haben ja gerade in dem Beitrag aus Washington gehört, dass in Washington die außenpolitischen Experten der Meinung sind, mehr als appellieren, Baschar al-Assad fallen zu lassen, könne man an Russland nicht, und in Washington glaubt offenbar auch niemand daran, dass Moskau sich tatsächlich von Baschar al-Assad abwenden würde.
    Fleckenstein: Es ist wie immer in der Diplomatie: Wenn Sie davon überzeugt sind, dass Sie nicht gegeneinander etwas sozusagen bewegen können, dass Sie Wege finden müssen, dass jede Seite ihr Gesicht behält und dass man eine gemeinsame Vision von Zukunft auch entwickelt, und das kann man nur, wenn man miteinander redet, und insofern glaube ich, ist es sehr wichtig, was der Herr Steinmeier gesagt hat. Weder die Russen noch andere sollten versuchen, da sozusagen im Alleingang etwas zu regeln, das würde ein sehr kurzer, wenn überhaupt, Sieg sein, weil die Frage, die wir uns doch stellen und Ihre Hörer sicher auch, ist die Frage: Wen bekämpfen wir da eigentlich und warum? Da haben wir einmal einen Diktator, der viel Elend über sein Land gebracht hat und der so in unseren Augen gar keine Zukunft dort mehr haben darf, wir haben auf der anderen Seite die Krieger des sogenannten Gottesstaates – wie kriegt man das in den Griff, und vor allem, wer wird danach eine staatliche Ordnung garantieren? Da gibt es demokratische, semidemokratische und ganz bestimmt nicht-demokratische Oppositionsgruppen – ich glaube, da müssen die großen Mächte sich schon miteinander unterhalten und einen gemeinsamen Weg finden, weil sonst wird es eine ziemlich furchtbare Fortsetzung einer ziemlich furchtbaren Situation.
    Kapern: Aber noch mal nachgefragt: Gibt es da eine Diskrepanz zwischen Berlin und Washington? Steinmeier sagt, es gibt ein Bewegungsmoment gemeinsam mit Russland in Sachen Syrien, und auf der anderen Seite sehen wir oder hören wir einen Schlagabtausch zwischen dem russischen Außenminister Lawrow und dem amerikanischen Außenminister Kerry. Der eine betont, wir werden an Baschar al-Assad festhalten, und der andere warnt davor, dass auch noch massenhaft russische Soldaten nach Syrien geschickt werden. Macht da Steinmeier etwas auf eigene Rechnung, ohne Washington ins Kalkül zu ziehen?
    Fleckenstein: Nein, ich glaube, Steinmeier appelliert an beide Seiten in Wirklichkeit, jetzt den Weg nicht zu gehen. Die einen werden immer mehr Waffen nach Syrien bringen, die Russen in diesem Fall, um Assad zu schützen. Sie selbst sagen ja, es geht nicht in erster Linie darum, Assad zu schützen, sondern es geht in erster Linie darum, die ISIS in Schach zu halten. Und die anderen sagen, die Amerikaner, uns geht es in erster Linie darum, den Herrn Assad aus dem Land zu bekommen, um dem Land eine Zukunft überhaupt zu ermöglichen. Das ist doch kein Entweder-oder. Und insofern hat Herr Steinmeier, wenn ich ihn richtig verstanden habe, völlig recht, wenn er daran appelliert, keiner sollte jetzt mit Alleingängen den anderen provozieren, sondern man muss sich zusammensetzen, um eine gemeinsame Lösung für dieses furchtbar geschundene Land zu finden.
    Kapern: Aber noch mal kurz nachgefragt: Halten Sie es für denkbar, dass Moskau Baschar al-Assad fallen lässt?
    Fleckenstein: Ja.
    Kapern: In der Tat?
    Fleckenstein: Das ist eine Frage sicherlich, die man so mit dem Ja nicht einfach beantworten kann, aber ich glaube, wenn eine Gesamtlösung erreicht werden kann, die zur Befriedung der Situation im Irak, vor allem aber jetzt hier in Syrien führt, würde man auf allen Seiten gut daran tun, nichts auszuschließen. Und ich glaube, da kann man auch mit Russland reden.
    Kapern: Um das ganz kurz zusammenzubinden noch zum Abschluss unseres Gesprächs, Herr Fleckenstein, die Lehre der letzten Monate lautet: Ohne Russland ist die westliche Außenpolitik impotent?
    Fleckenstein: Nein, aber es zeigt uns eben, dass die wirklich großen Probleme nicht eine Seite alleine manchmal lösen kann, sondern dass wir aufeinander angewiesen sind und dass wir deshalb alles tun müssen, um miteinander immer im Gespräch zu bleiben und gemeinsame Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden.
    Kapern: Knut Fleckenstein, Europaabgeordneter der SPD und im Straßburger Parlament Mitglied der Russland-Delegation. Herr Fleckenstein, danke, dass Sie heute morgen bei uns vorbeigekommen sind, danke für das Gespräch!
    Fleckenstein: Vielen Dank für die Einladung!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.