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Syrien-Krieg
"Die internationalen Mächte wissen nicht weiter"

Der Politologe Volker Perthes rechnet nicht damit, dass die UNO einen Nachfolger für den zurückgetretenen Syrien-Sondervermittler, Lakhdar Brahimi, benennen wird. Dessen Entscheidung habe sich schon länger abgezeichnet. Der Syrien-Konflikt sei in den Schatten der Ukraine-Krise gerückt, die internationale Politik agiere hilflos.

Volker Perthes im Gespräch mit Thielko Grieß | 15.05.2014
    Der deutsche Politologe Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik
    Der Politologe Volker Perthes (picture-alliance/ ZB/ Jan Woitas)
    Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik stimmte Brahimi im Deutschlandfunk zu, der erklärt hatte, im Syrien-Bürgerkrieg gebe es nichts mehr zu vermitteln. Brahimi habe seinen Schritt schon länger angekündigt, lediglich die Einigung zwischen US-Außenminister John Kerry und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow auf eine neue Genfer Konferenz Anfang dieses Jahres habe ihn zunächst von einem Rücktritt abgehalten. Der Politikwissenschaftler sagte, mit seiner Kritik am UNO-Sicherheitsrat habe der ehemalige Sondervermittler vor allem auf China und Russland abgezielt, die mit ihrem Veto Schritte gegen das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad verhindert hatten.
    Es sei nun wichtig, dass die internationale Politik weiter diskutiere, wie die humanitäre Hilfe für Syrien organisiert werden kann. Doch Syrien in den Schatten der Ukraine-Krise gerückt, sagte Perthes weiter. Die Schritte, die man gehen könne, wolle man nicht gehen. Russland habe nicht vor, Druck auf Assad auszuüben, die USA seien nicht bereit, die Machtgewichte auf syrischem Boden zu ändern.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Die internationalen Medien berichten in diesen Tagen viel über den Konflikt in der Ukraine und übersehen dabei leicht einen Konflikt, der schon drei Jahre dauert und der im Nahen Osten zu einem unvorstellbaren Flüchtlingselend geführt hat: der Krieg in Syrien. Auch dort sind bislang alle diplomatischen Bemühungen ohne Ergebnis geblieben. In dieser Woche ist nun auch der offizielle Vermittler der UNO von seinem Posten zurückgetreten: Lakhdar Brahimi. Mein Kollege Thielko Grieß hat über diesen Schritt und über die aktuelle Entwicklung in Syrien gestern Abend mit Volker Perthes gesprochen, dem Nahost-Experten und Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
    Thielko Grieß: Hat Lakhdar Brahimi recht, wenn er zu erkennen gibt, in diesem Bürgerkrieg in Syrien gibt es nichts mehr zu vermitteln?
    Volker Perthes: Ich glaube, für den Moment ist das richtig, und die Vereinten Nationen werden auch kurzfristig wohl keinen Nachfolger oder keine Nachfolgerin für Lakhdar Brahimi benennen. Brahimi hat ja auch gestern noch mal gesagt, wo er die Verantwortlichkeit dafür sieht, dass seine Vermittlungsmission gescheitert ist. Er sagte einmal, die Sicherheitsratsmitglieder haben ihre Verantwortung nicht wahrgenommen, werden ihrer Verantwortung nicht gerecht, und es reicht nicht, der UN einen Vermittlungsauftrag zu geben, aber dann im Sicherheitsrat nicht zu agieren, und er hat auch relativ deutlich für seine diplomatischen Verhältnisse Kritik am syrischen Präsidenten geübt, der den letzten Versuch einer Vermittlung unterminiert hat, indem er jetzt Wahlen hat ausschreiben lassen für seine eigene Wiederwahl.
    Grieß: Meint er mit seiner Kritik an den Mitgliedern des Sicherheitsrates gleichmäßig alle fünf, oder vor allem China und Russland, so wie man es vielleicht vermuten könnte?
    Lakhdar Brahimi während einer Pressekonferenz.
    Lakhdar Brahimi tritt als UN-Syriensondergesandter zurück. (dpa / Salvatore Di Nolfi)
    Perthes: Ja, so könnte man es vermuten. Aber Lakhdar Brahimi ist lang genug Diplomat gewesen und er ist ja auch mit der Stimme Russlands und Chinas eingesetzt worden als Sondervermittler, genießt auch - jedenfalls sah es so aus - das Vertrauen Moskaus und Pekings, sodass er da keine direkte Kritik wohl äußern wollte.
    "Eigentlich wollte er schon vor einem Jahr seine Mission an den Nagel hängen"
    Grieß: Warum dieser Zeitpunkt jetzt?
    Perthes: Lakhdar Brahimi hat das seit einiger Zeit schon angekündigt. Eigentlich wollte er schon vor einem Jahr seine Mission an den Nagel hängen, oder an den Generalsekretär der UN zurückgeben, und dann gab es diese Einigung zwischen Außenminister Kerry und Außenminister Lawrow, es doch noch mal mit einer neuen Genfer Konferenz zu versuchen, die dann nicht so schnell wie geplant, aber immerhin Anfang dieses Jahres 2014 stattgefunden hat, und damals hat dann Brahimi in dem gleichen Ton gesagt, na ja, wenn ihr euch bemüht, eine solche Konferenz zusammenzubekommen, wenn ihr, Russland, das Regime dahin bekommt und ihr, die USA, die Opposition dahin bekommt, dann mache ich auch weiter mit meiner Vermittlungsmission.
    Grieß: Und diese Konferenz, wir erinnern uns, die hat im Januar in Montreux und in Genf stattgefunden. Die ist ergebnislos zu Ende gegangen, keine zählbaren Resultate auf dem Tisch. Das hat sich seither auch eigentlich nicht geändert. Da stellt sich die Frage, Herr Perthes: Gibt es eigentlich noch so etwas wie eine internationale Syrien-Politik, oder ist das inzwischen ein weißer Zettel?
    Perthes: Die Diplomaten verschiedener Außenministerien werden Ihnen sagen, dass es eine gibt. Es treffen sich auch in dieser Woche wieder die Vertreter der wichtigen internationalen Staaten, die sich um Syrien kümmern, kommen zusammen, um einmal mehr darüber zu reden, wie man etwa die humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge organisieren kann. Das ist auch wichtig, dass das getan wird, denn wir haben hier etwa neun Millionen Leute, die auf der Flucht sind, innerhalb oder außerhalb des Landes. Aber tatsächlich ist Syrien, ob man das wahrhaben will oder nicht, in den Schatten der Ukraine-Krise gerückt. Man sieht wenig Chancen, hier eine wirklich aktive, energische internationale Zusammenarbeit auf den Weg zu bekommen, die so etwas wie eine von außen forcierte Transition auf den Weg bringen könnte, oder auch nur einen von außen forcierten Waffenstillstand. Das Interesse der USA, sich energischer einzumischen, ist so gering, dass man eher davon sprechen kann, das ist gar nicht vorhanden. Wir haben das auch gesehen bei der Auseinandersetzung zwischen dem französischen und dem amerikanischen Außenminister in diesen Tagen, wo Fabius sehr deutlich gesagt hat, wenn ihr Amerikaner bereit gewesen wärt zu handeln - und er meinte, militärisch zu handeln -, dann hätten wir Franzosen ja mitgemacht.
    "Die internationalen Mächte wissen nicht richtig weiter"
    Grieß: Aber ist dieses Argument, dass die Ukraine-Krise jetzt in den Vordergrund gerückt sei, ich meine, was de facto, wenn man sich die Berichte, die Schlagzeilen anschaut, ja möglicherweise auch stimmt - aber Diplomatie wird ja doch hinter den Kulissen getrieben -, ist das nicht möglicherweise nur vorgeschoben, weil die Ukraine dankbarerweise hilft, davon abzulenken, dass der internationalen Gemeinschaft zu Syrien schon lange nichts mehr einfällt?
    Perthes: Ja, das hört sich ein bisschen zynisch an. Aber natürlich ist ein Korn Wahrheit da dran. Die internationalen Mächte wissen tatsächlich nicht richtig weiter, beziehungsweise die Schritte, die man gehen könnte, die will man nicht gehen aus unterschiedlichen Gründen. Russland will keinen Druck auf Assad ausüben und fühlt sich eigentlich in seiner Rolle ganz wohl, wo es Assad am Leben hält und der Westen sozusagen in seiner Impotenz vorgeführt wird. Die USA sind bereit, humanitäre Hilfe zu geben, ein wenig Waffen zu liefern, ein wenig Rebellen auszurüsten, aber sie sind eben nicht bereit, entscheidend die Machtgewichte auf dem Boden in Syrien zu verändern, sodass da eine andere, auch politische Situation entstehen würde.
    Armbrüster: Volker Perthes war das, der Nahost-Experte und Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Thielko Grieß.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.